Zu meinen Lieblingsautoren in der Science Fiction gehört der Engländer Brian (M.) Stableford. Mein erster Kontakt zu seinen Werken bestand in zwei oder drei Romanen aus seinem sechsbändigen DAEDALUS-Zyklus aus dem Goldmann Verlag, erschienen in den siebziger Jahren (und gefunden auf einem Ramschtisch), die mir ausgesprochen gut gefielen. Später komplettierte ich den Zyklus, der aus den Romanen PARADIES DES UNTERGANGS (Goldmann SFTB 23282), SCHMETTERLINGE IM PARADIES (Goldmann SFTB 23285), DIE DRITTE LANDUNG (Goldmann SFTB 23317), DER SONNENSTAAT (Goldmann SFTB 23316), DAS MACHTGLEICHGEWICHT (Goldmann SFTB 23349) und DAS PARADOX DER FREMDEN WESEN (Goldmann SFTB 23371) besteht, über Antiquariate.
Das Raumschiff DAEDALUS wird zu den Kolonien entsandt, die die Erde vor ein bis zwei Jahrhunderten gründete und sich selbst überließ. Die Entwicklung der Kolonien hat unterschiedliche Wege genommen, die teilweise auf die Besatzung der DAEDALUS erschreckend wirken. Diese Entwicklungen, die sich aus den Wechselwirkungen zwischen den Kolonisten und den Ökologien ergaben, aufzuklären und den Nachkommen der Kolonisten, wenn möglich, Hilfe zu bringen, ist die Aufgabe der DAEDLUS. Stableford entwirft in dem DAEDALUS-Zyklus verschiedenartige ökologische Modelle und bemüht sich, sie wissenschaftlich plausibel darzustellen, was auf Leser auf mich, die im Gegensatz zu Stableford nicht Biologie und Soziologie studiert haben und deshalb keine Lücken in seinen Konstruktionen zu entdecken vermögen, durchaus überzeugend wirkt.
In einem Artikel habe ich den DAEDALUS-Zyklus in KOPFGEBURTEN 3 (der Space Opera-Themenausgabe von Januar 94) ausführlich vorgestellt. Ich habe allerdings vor, den Text auf meine Homepage einzustellen, wenn ich endlich die Zeit und die Motivation finde, intensiv daran zu arbeiten – vielleicht nach dem Erscheinen dieser WHISPERING TIMES-Ausgabe...
Eine ähnliche Arbeit Stablefords ist der ebenfalls sechsbändige GRAINGER-Zyklus. Grainger wird in den Dienst des Wissenschaftlers Titus Charlot gepreßt und Pilot der DRONTE, eines neuartigen Raumschiffs, das anderen Fahrzeugen weit überlegen ist. Während seiner sechs Einsätze, beschrieben in den Romanen DAS WRACK IM HALCYON, DER SCHATZ DES SCHWARZEN PLANETEN, DIE WELT DER VERHEISSUNG, DAS PARADIES-PRINZIP, DAS GÖTTERDÄMMERUNGSPROGRAMM und SCHWANENGESANG, trifft er ebenso wie die Besatzung der DAEDALUS auf ökologische Rätsel. Die Bände sind auch erschienen in dem Sammelband DIE SAGA VOM RAUMPILOTEN GRAINGER (Bastei/Lübbe SFTB 23062).
Über den GRAINGER-Zyklus habe ich natürlich auch einen Rezensionsartikel verfaßt, dessen Veröffentlichung allerdings über eineinhalb Jahrzehnte zurückliegt (Oktober 87 in den CLUBNACHRICHTEN 113). Den Weg in meine Homepage wird der Artikel aber wohl nicht finden: Ich habe ihn zwar bereits mit einem Computer verfaßt, infolge mehrere Systemwechsel verfüge ich jedoch nur noch über einen Ausdruck – aber selbst wenn ich noch über eine Diskette verfügen würde, wäre das Dateiformat inzwischen ohnehin inkompatibel...
Ein weniger interessanter, nur dreibändiger Zyklus von Brian M. Stableford ist DAS REICH DES TARTARUS: DIE ERDE ÜBER UNS (Goldmann SFTB 23279), DIE VERGESSENE HÖLLE UNTER UNS (Goldmann SFTB 23308) und ZURÜCK DES LICHT (Goldmann SFTB 23311). Auf der Plattform und in den Bauten weit über der Erdoberfläche hat sich eine neue Zivilisation etabliert, während die zurückgebliebenen Menschen in Vergessenheit gerieten, nun jedoch wieder auf sich aufmerksam machen.
In seinen Einzelromanen SELBSTMORD IM ALL (Goldmann SFTB 23258); ZEITSPRÜNGE (Goldmann SFTB 23377) VORSTOSS IN DIE HOHLWELT (Knaur SFTB 5788) und DIE TORE VON EDEN (Knaur SFTB 5803) wandte sich Stableford einerseits gänzlich anderen Inhalten zu, variierte andererseits sein Standardthema aus den DAEDALUS- und GRAINGER-ZYKLEN. DER BLINDE WURM (Bastei/Lübbe Fantasy-TB 20046) ist sein bislang einziger Fantasy-Roman bzw. sein einziges unter diesem Label publizierte Buch (eine konfuse Mischung aus einer Endzeitvision und Reisen durch diverse Universen).
Der DAEDALUS- und der GRAINGER-Zyklus sowie der eine oder andere zyklenunabhängige Roman nehmen in der Space Opera eine Sonderstellung ein. Es sind ausgesprochen plausible Romane in einem Subgenre, in dem sich auch viele unmotivierte und irrationale Handlungsmuster finden lassen. Außerdem sind sie (mit einem Umfang von etwa jeweils 200 Seiten) erfreulich kompakt.
In seinem bislang letzten Roman, DAS REICH DER ANGST (Ullstein Paperback 22418), kehrte Stableford auf die Erde zurück. DAS REICH DER ANGST ist ein Alternativweltroman, auch wenn der Band diesen Eindruck zunächst nicht erweckt, da Vampire die Menschheit beherrschen. Doch genau wie für die ökologischen Rätsel in seinem Space Operas weiß Stableford für die dominante Stellung der Vampire eine wissenschaftlich plausible Erklärung (im Rahmen des Romans) anzubieten. DAS REICH DER ANGST ist mit knapp 500 Seiten deutlich umfangreicher als die vorangegangenen Romane Stablefords, was aber durch den Inhalt durchaus gerechtfertigt wird.
Nach DAS REICH DER ANGST erschienen, sehr zu meinem Bedauern, keine weiteren Romane Stablefords. Umso erfreuter war ich, als die GENESYS-Trilogie angekündigt wurde. Ich war keineswegs überrascht darüber, daß wieder ein Zyklus bzw. eine Trilogie Stablefords erscheinen sollte (immerhin bilden die zyklenunabhängigen Romane die Minderheit in seinem Werk), aber mit einem Gesamtumfang von immerhin etwa 1.400 Seiten schien die GENESYS-Trilogie dem HERRN DER RINGE folgen zu wollen...
Die GENESYS-Trilogie erschien in der Fantasy-Reihe des Heyne Verlags, umfaßt die Romane DAS BLUT DER SCHLANGE, DAS FEUER DES SALAMANDERS und DAS RÄTSEL DER CHIMÄRE, und ist natürlich keine Fantasy im klassischen Sinn. Die Trilogie ist vielmehr eindeutig der Science Fiction, mag auch das wissenschaftliche und technische Niveau der Welt, in der die Protagonisten agieren, nicht sehr hoch sein.
DAS BLUT DER SCHLANGE beginnt mit einer Wirtshausschlägerei in Xandria, in die der Kartenzeichner und ferentianische Ex-Prinz Andris Myrasol verwickelt wird. Von der königlichen Garde als Schuldiger ausgemacht wird er von Hauptmann Jacom Cerri und seiner Truppe in das Gefängnis geworfen, wo er sowohl das Interesse der xandrianischen Prinzessin und Hexe Lucrezia als auch des Kaufmanns Carus Fraxinus erregt. Während Fraxinus an den Fähigkeiten Myrasols als Kartenzeichner interessiert ist, will Lucrezia ihn für ihre Experimente verwenden: Sie hat von der Händlerin Hyry Keshvara Samen aus den bislang unerreichbaren Gegenden südlich der Dragomitenberge erhalten, die nur in Menschen gedeihen. (Stablefords Hexen sind keineswegs magiebegabt, sie haben vielmehr gute Kenntnisse von Giften und anderen chemischen und biologischen Substanzen.)
Myrasol wird schließlich von seiner Cousine Merel Zabio befreit. Das Chaos, das durch den Überfall auf die königliche Münze durch den Dieb Checuti entsteht, hilft ihnen bei der Flucht. Lucrezia gerät unfreiwilligerweise in die Fänge der Schergen Checutis, was Belin, den König Xandrias, veranlaßt, Cerri mit der Verfolgung der Flüchtigen zu beauftragen – weniger ein Vetrauensbeweis als vielmehr eine Bestrafung, da Cerri sich bei der Verteidigung der königlichen Zitadelle übertölpeln ließ.
Cerri vermag Checuti zu stellen, aber weder festzunehmen noch Lucrezia zu befreien, die inzwischen Hyry Keshvara übergeben wurde und vor den Heiratsplänen ihres Vaters flieht, nicht ahnend, daß ihre Mutter Ereleth mit Dhalla, einer Riesin, ihr folgt. Der Hauptmann schließt sich nach diesem Fehlschlag der Expedition Carus Fraxinus‘ und Aulakh Pars in den Süden an, die sich dort Profitmöglichkeiten erhoffen, nach dem die Dragomitenberge offenbar passierbar geworden sind (sonst hätten die fremdartigen Samen Xandria nicht erreichen können).
Stableford macht in DAS BLUT DER SCHLANGE von vorneherein deutlich, daß seine Protagonisten Nachkommen von Raumfahrern sind, die den (namenlosen) Planeten vor Jahrhunderten (oder Jahrtausenden?!) besuchten. Er stellt den drei Teilen des Romans Auszüge aus den „Genesys-Apokrypten“ voran, den Überlieferungen, die unter den Menschen seiner Welt kursieren und die auch in den Dialogen seiner Protagonisten immer wieder auftauchen. Bislang ist der einzige Unterschied zwischen der Ursprungs- und der neuen Welt der Menschen der massive Zerfall, der in letzterer herrscht: Steinmauern zerbröckeln, Stahl rostet, und zwar in einem hohen Tempo usw.
Hyry dringt mit Lucrezia in den Wald der absoluten Nacht ein, wo sie ihren ersten Kampf überstehen und später getrennt werden. Hyry trifft auf Schlangen, humanoide Wesen mit pigmentierter Haut und gespaltenen Zungen, Lucrezia dagegen auf die Hügelfrauen, die mit den Dragomiten in einer Symbiose leben. Die Dragomiten sind insektenähnliche Wesen, allerdings von der Größe von Nashörnern, die von den Menschen gefürchtet und meist bekämpft werden.
Ein Angriff der Dragomiten auf die Expedition der Menschen unterbleibt allerdings, stattdessen nimmt die Hügel- bzw. Dragomitenkönigin Verhandlungen mit ihnen auf. Ereleth, Andris, Checuti u. a. dringen in den Dragomitenhügel ein, in dem sie auf weitere Menschen treffen, die mit den Dragomiten zusammenleben. Hyry und Lucrezia erreichen ebenfalls den Dragomitenhügel. Die Verhandlungen zwischen den Menschen und der Hügelkönigin finden durch den Angriff eines rivalisierenden Dragomitenstammes ihr Ende.
Zum Ende des ersten Romans gibt Stableford einige Hintergrundinformationen. Die Menschen, eine Reihe von Tieren und Pflanzen wurden ihrer neuen Heimat genetisch angepaßt, offenbar unter Verwendung von DNA-Material einheimischer Lebensformen. Das bislang stabile Verhältnis zwischen den Menschen und der ursprünglichen Flora und Fauna ihrer neuen Heimat ist aus den Gleichgewicht geraten; in der Ökologie des Planeten findet ein Umbruch statt, der weitreichende Auswirkungen zu haben scheint, auch wenn seine Gründe – noch – im Dunkeln liegen.
Im zweiten Roman der GENESYS-Trilogie, DAS FEUER DES SALAMANDERS, zieht die Expedition, der sich die Schlangen und die überlebenden Dragomiten und Hügelfrauen angeschlossen haben, weiter Richtung Süden. Sie stoßen auf eine Mauer aus Dragomitengebeinen, die das vermuten läßt, was General Shabir, Befehlshaber der Armee der Neun Städte, bei einer Unterredung kurz darauf bestätigt: Dragomiten sind im Territorium der Neun Städte nicht erwünscht. Fraxinus gelingt es jedoch, ein Abkommen mit Shabir auszuhandeln: Die Karawane zieht unter Begleitung Shabirs und seiner Armee weiter, um tiefer im Süden den Fluß in Richtung der gesprenkelten Wüste überqueren zu können, von der aus der weitere Weg zum Feuer des Salamanders führen soll.
Doch Shabir ist und bleibt mißtrauisch. Er läßt Andris entführen und verhören, und auf der Brücke die Expedition angreifen. Es kommt zu einem spektakulären Kampf, den die Expedition durch den Einsatz der Dragomitenkriegerinnen, der Riesin Dhalla und von Sprengstoff für sich entscheiden kann. Sie werden freilich erneut getrennt: Ereleth, Fraxinus, Dhalla, die Hügelfrau Vaca Metra und die Schlange Mossassor erreichen das Ostufer, während Lucrezia, Checuti, Ssifuss und Jume Metra auf der Westseite zurückbleiben und den Weg durch die bittersüßen Sümpfe antreten müssen. Cerri, Hyry Keshvara, Aulakh Phar und Merel Zabio treiben flußabwärts und werden rasch von Amyas, einem Verbündeten Shabirs, gefangengenommen.
Shabir setzt die Verfolgung von Ereleth, Fraxinus und ihren Begleitern fort. Es kommt zu einem erneuten Kampf, bei dem Shabir nochmals geschlagen und gefangengenommen wird. Die Gruppe trifft auf eine Gruppe Salamander, die Schlangen ähneln, aber kleiner und stämmiger sind, und zieht mit ihnen weiter zur Kristallstadt der Salamander. Währenddessen haben Andris, Lucrezia und die übrigen Mitglieder ihrer Gruppe unter den Giften der Sümpfen zu leiden. Delirierend werden Andris und Lucrezia von den Deisten, einer Sekte, deren Religion dem Christentum ähnelt, aufgegriffen und gesundgepflegt. Als Andris eine psychedelische Droge nimmt, wird die Siedlung der Deisten von Menschen und Riesenschlangen angegriffen. Andris und Lucrezia können fliehen und treffen in den Sümpfen auf Ssifuss.
Die Gefangenen Amyas erreichen die Stadt Antiar, in der sie in einem Aufstand ihre Freiheit wiedergewinnen können. Cerri, Phar und Merel sehen jedoch keine andere Alternative, als in Amyas Söldnerarmee anzuheuern, die das Letzte Bollwerk zum Süden verteidigen soll. Hyry bleibt verschollen. Phar und Merel setzen sich von der Armee ab, Cerri wird in einem Kampf verwickelt und wird von einer menschenähnlichen, aber mit Raubtierkopf und Skorpionstachel ausgestatteten Manticore gefangengenommen.
Der weitere Weg von Phar und Merel wird nicht beschrieben, jedenfalls treffen sie am Feuer des Salamanders auf Ereleth, Fraxinus, Dhalla und die anderen Mitglieder der Gruppe. Gemeinsam wohnen sie der Entstehung einer neuen Lebensform bei.
Stableford kreiert in DAS FEUER DES SALAMANDERS genau wie in dem vorangegangenen Band eine Reihe von – wie sie in den Romanen genannt werden – unirdischen Lebensformen. Auch wird wieder deutlich gemacht (nicht zuletzt durch das Interesse der Deisten an Andris), daß die Menschen auch Gene der einheimischen Intelligenzen (Schlangen, Salamander) in ihrem Genom tragen und teilweise selbst Chimären sind (Dhalla, Hügelfrauen). Nach dem die Salamander bereits von einer Zeit des Entstehens gesprochen hatten, die sich in Abständen von achttausend Jahren wiederholt, gibt Stableford die Information preis, daß die Mechanismus der unirdischen Evolution andere sind als die der irdischen.
In ersten Teil von DAS RÄTSEL DER CHIMÄRE sehen sich Andris, Lucrezia und Ssifuss der Verfolgung durch die Riesenschlangen und die Halbmenschen ausgesetzt, die die Siedlung der Deisten überfallen haben. Fatalerweise handelt es sich um zwei Kolonnen: Die ersten können sie in einen Hinterhalt locken und niedermetzeln, außerdem werden dabei die Gefangenen – die überlebenden Deisten – befreit. Die zweite Kolonne ist jedoch gewarnt, in dem Kampf wird Lucrezia verwundet und Andris gefangengenommen. Die Wende bringt erst das Eingreifen von Checuti und Jume Metra, die ihrerseits die zweite Gruppe verfolgten, zu deren Gefangenen u. a. Hyry Keshvara gehörte, die bei dieser Gelegenheit selbstverständlich befreit wird.
Gleichzeitig ziehen die Manticore Kasdeja und Jacom Cerri zur Nabe des Rades, von dem letzterer wortwörtlich eingewickelt wird.
Nach ihrer Wiedervereinigung trennen sich die Wege der (ersten) Reisegruppe wieder. Lucrezia, Ssifuss und Hyry folgen Andris, während sich Checuti und Jume Metra zum Garten von Idun aufmachen, der, so die Überlieferungen, von der Besatzung des Raumschiffs errichtet wurde, nachdem die erste Stadt zerfallen war, und bei dem es sich wahrscheinlich um die Wiege der Chimäre handelt. Andris wird gefunden, nachdem sich sein Schicksal erfüllt hat: Er ist zu einem Baum in einem entsprechenden Garten geworden. Die übrigen Wesen, denen Lucrezia, Ssifuss und Hyry begegnen, sind zu „ihren“ Gärten unterwegs – eine weiterentwickelte Variante der lebenden Steinen, denen die Reisenden zum ersten Mal in DAS FEUER DES SALAMANDERS begegneten?!
Mossassor, Aulakh Phar, Fraxinus, Merel Zabio, Vaca Metra, Dhalla und Shabir erreichen den Handschuh der Freude, eine Wegstrecke, auf der sich nicht nur einem verlustreichen Angriff von Halbmenschen ausgesetzt sind, sondern auch mit Checuti und Vaca Metra zusammentreffen. Die Sporen der fremdartigen Flora setzen ihnen zu, doch vor Attacken weiterer Feinde schützt sie eine Eskorte von Sphingen, die zum Garten von Idun begleitet, wo sie auf Lucrezia und ihre Begleiterinnen treffen. In einer Pyramide werden sie alle einer Metamorphose unterworfen, doch nur Fraxinus, Cerri, Ssifuss, Hyry, Mossassor, Merel und Lucrezia können das Gebäude wieder verlassen – wiederhergestellt, und doch verändert.
Stableford bietet in der GENESYS-Trilogie sein Standardthema dar, den Entwurf einer fremdartigen Ökologie und ihr Einfluß auf die Menschen, die in ihr leben. Der Plot ist immerhin etwas komplexer als in seinen bisherigen, thematisch ähnlichen Romanen: Die ersten Kolonisten trafen auf lebende, nicht unbedingt intelligente Böden, deren Evolution sich nicht kontinuierlich, sondern schubweise vollzieht. Sie vereinnahmen Lebensformen, sowohl fremde als auch eigene, die sie das letzte Mal geschaffen haben, verändern die DNA und stoßen neue Lebensformen aus, die darauf genetisch programmiert sind, bei der nächsten „Zeit des Entstehens“ zu ihren Böden zurückzukehren. Um unter diesen Umständen den Fortbestand ihrer Spezies zu sichern, schufen die Menschen ihren eigenen Boden, ohne eine Vermischung jedoch vollständig verhindern zu können und zu wollen.
Die GENESYS-Trilogie ist die umfangreichste Arbeit Stablefords, die bislang in Deutschland erschienen ist. Selbst seine früheren sechsbändigen Zyklen überschritten einen Gesamtumfang von etwa 1.000 Seiten nicht. Zum ersten Mal schildert Stableford (auch hier die Einschränkung: zumindest in seinen auf Deutsch erschienenen Romanen) die Auswirkungen einer fremden Ökologie aus der Sicht der unmittelbar Betroffenen. In der GENESYS-Trilogie schwenkt kein Raumschiff in den Orbit das Planeten zu bringen, um Analysen anzustellen und um die Situation der Kolonisten zu verbessern. Freilich trägt der Plot auch unter Berücksichtigung dieses Aspektes keine Handlung von über 1.400 Seiten.
Zwar hätte Stableford die lange Reise seiner Protagonisten nicht nur in wenigen Kapiteln schildern können, doch führen Andris, Ereleth, Lucrezia, Hyry, Cerri, Checuti, Fraxinus und die anderen Figuren überwiegend Gespräche, wenn sie nicht gerade gegen jedesmal übermächtiger werdende Gegner verteidigen müssen. Erstaunlich ist das hohe intellektuelle Niveau dieser Diskussionen, in denen schon mal Begriffe wie „Evolution“ oder „Pädogenese“ fallen – und das, obwohl die Landung des Raumschiffes vermutlich bereits mehrere Tausend Jahre zurückliegt und Überlieferungen allenfalls mündlich weitergegeben werden konnten, weil für die Welt der GENESYS-Trilogie ein ständiger Zerfall typisch ist. Von Universitäten o. ä. ist konsequenterweise in den Romanen nicht die Rede... Das Muster von der Trennung der Protagonisten, dem Verfolgen von eigenen Wegen, diversen Kämpfen, der Wiedervereinigung, erneuter Trennung usw. wiederholt sich zudem häufig und wird nur durch das Auftauchen neuer Lebensformen variiert.
Ausgesprochen geschickt es ist immerhin, wie Stableford seine Protagonisten in Situationen bringt, die ihnen nur die Alternative lassen, die Reise zum Garten von Idun anzutreten, ob sie das nun wollen oder nicht. Das unplausibel hohe Niveau der Diskussionen der Protagonisten mag noch hingenommen werden, da nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Leser verstehen müssen, was warum geschieht (und ich auch keine Lösung für dieses Problem anbieten kann...)
Die GENESYS-Trilogie hat meine Erwartungen enttäuscht. Stableford ist mit der Trilogie dem bereits seit Jahrzehnten in der Science Fiction anhaltenden Trend zu umfangreichen Einzelromanen und (vor allem) Zyklen gefolgt, deren Inhalt den Umfang nicht rechtfertigt. Verkürzt auf einen Roman, allenfalls zwei Romane hätte er die Geduld seiner Leser in geringerem Maß strapaziert. Dazu hätte er vielleicht gar nicht einmal die Länge der Reise seiner Protagonisten verkürzen müssen, sondern lediglich ihre Anzahl, was durch den Wegfall von Parallelhandlungen zu einer Umfangreduzierung geführt hätte.
Über den kommerziellen Erfolg der GENESYS-Trilogie in Deutschland liegen mir mangels Quellen Informationen nicht vor. Es wäre schade, wenn ein etwaiger Mißerfolg das Erscheinen weiterer Romane Stablefords verhindern würde. Stableford hat im angloamerikanischen Sprachraum über 50 Romanen veröffentlicht, von denen lediglich knapp die Hälfte in das Deutsche übersetzt wurden (weitere Informationen auf seiner Homepage: //freespace.virgin.net/diri.gini/brian.htm). Er ist unprätentiöser Autor, der hierzulande eher als „Geheimtip“ gilt als einen großen Bekanntheitsgrad zu genießen. Trotz aller Kritik würde ich es sehr bedauern, wenn die mittelmäßige GENESYS-Trilogie die Übersetzung und Veröffentlichung weitere Romane Stablefords verhindern würde.

Bibliographie der GENESYS-Trilogie:

DAS BLUT DER SCHLANGE
SERPENT’S BLOOD/THE FIRST BOOK OF GENESYS, 1996, Übersetzung aus dem Englischen von Michael Siefener, 654 Seiten, Heyne TB 9134, 2001, Coverzeichnung: Thomas Thiemeyer.
DAS FEUER DES SALAMANDERS
SALAMANDER‘S FIRE/THE SECOND BOOK OF GENESYS, 1996, Übersetzung aus dem Englischen von Michael Siefener, 687 Seiten, Heyne TB 9135, 2001, Coverzeichnung: Thomas Thiemeyer.
DAS RÄTSEL DER CHIMÄRE
CHIMERA’S CRADLE/THE THIRD BOOK OF GENESYS, 1997, Übersetzung aus dem Englischen von Michael Siefener, 718 Seiten, Heyne TB 9136, 2002, Coverzeichnung: Thomas Thiemeyer.

 

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