Es erscheint zunächst als vermessen, Clark Darlton, K. H. Scheer
und Philip K. Dick in eine Reihe stellen zu wollen, doch die Autoren haben
etwas gemeinsam – davon abgesehen natürlich, daß sie
im Genre der Science Fiction geschrieben haben. Es existieren Biographien
über sie, im Fall von Clark Darlton sogar über einen lebenden
Autor.
Philip K. Dick gehört seit jeher zu meinen bevorzugten Autoren. Ich
besitze seine SF-Romane komplett – immerhin wurden sie ausnahmslos
in das Deutsche übersetzt – und den größten Teil
der Storybände (mir fehlen lediglich zwei davon, aber sobald ich
die zehnbändige Kurzgeschichtensammlung Dicks, die im Haffmans Verlag
erschienen ist, komplettieren kann, spielt das keine Rolle mehr). Deshalb
zögerte ich nicht, mir seine Biographie zu beschaffen, als ich von
ihrer Existenz erfuhr: PHILIP K. DICK – GÖTTLICHE ÜBERFÄLLE
von Lawrence Sutin.
Die Biographien von Heiko Langhans über CLARK DARLTON – DER
MANN, DER DIE ZUKUNFT BRACHTE und über KARL-HERBERT SCHEER –
KONSTRUKTEUR DER ZUKUNFT erhielt ich dagegen vom SFCD. Auch wenn (SF-,
nicht PR-) Romane von Darlton und Scheer zu meinen ersten Leseerfahrungen
in der SF gehörten, hätte ich die Biographien nicht selbst erworben,
brachte aber zumindest der über Darlton ein gewisses Interesse entgegen.
Die Scheer-Biographie hätte ich vermutlich nicht gelesen, wenn sich
ein Artikel über diese drei Biographien nicht förmlich angeboten
hätte...
Sowohl Ernsting als auch Scheer gehören zu jener Generation, deren
Kindheit und Jugend von der Machtergreifung und -entfaltung der Nazis
und durch den Zweiten Weltkrieg geprägt wurde. Walter Ernsting, 1920
geboren, wurde 1939 von der Gestapo verhört. Ein Jahr später
wurde er zur Wehrmacht eingezogen und in Polen, Ostpreußen, Norwegen
und Rußland eingesetzt, wo er in Gefangenschaft geriet. Wegen eines
geringfügigen Vergehens verurteilt kehrte er erst 1950 nach Deutschland
zurück.
Bereits vor dem Krieg war Ernstings Interesse an phantastischer Literatur
geweckt worden: Er las Romane von Robert Straumann und Hans Dominik und
die Serie SUN KOH. Als er nach seiner Rückkehr nach Deutschland bei
den Briten arbeitete, stieß er in ihren Shops auf die ersten Nachkriegs-Pulp-Magazine,
die SF-Stories boten. Von der deutschen SF jener Zeit enttäuscht
(JIM PARKERS ABENTEUER IM WELTRAUM) suchte Ernsting den Pabel Verlag auf,
um ihn von einer Heftreihe, bestehend aus angloamerikanischen Romanen,
zu überzeugen – mit Erfolg.
In
den nächsten Jahren etablierte Ernsting die ersten SF-Heftserien
in Deutschland (UTOPIA, TERRA). Unter dem Pseudonym Clark Darlton gelang
ihm die Veröffentlichung des ersten Romans, indem er den Lektor in
den Glauben versetzte, er sei der Übersetzer des Romans... Da Ernsting
nicht nur an den Autoren und den Romanen, sondern auch den Lesern gelegen
war, setzte er die erste Leserkontaktseite durch. 1955 gründete er
den SFCD, und 1957 wechselte er von Pabel zu Moewig. Gleichzeitig kam
es zu den ersten Unstimmigkeiten im SFCD.
1960/1961 konzipierte Darlton mit K. H. Scheer die PERRY RHODAN-Serie,
auf die sich sein schriftstellerisches Engagement zukünftig konzentrieren
sollte. Darlton war ein sehr fleißiger Autor: Schrieb er 1961 „nur“
acht (Heft-) Romane, inklusive der PR-Bände, waren es ein Jahr darauf
bereits über zwanzig und 1963 immerhin noch knapp zwanzig, jeweils
einschließlich der PR-Hefte. Die zweite Hälfte der sechziger
Jahre sollte für ihn eine Umbruchphase werden: Die Haltung der Öffentlichkeit
gegenüber der PR-Serie wurde kritischer, und nach Auseinandersetzungen
im SFCD gab er das Amt des Vorsitzenden auf.
Anfang der siebziger Jahre schloß Darlton einen unvorteilhaften
Verlagsvertrag ab, begann eine Zusammenarbeit mit Erich von Däniken,
die in dem Roman DER TAG, AN DEM DIE GÖTTER STARBEN mündete,
arbeitete ab 1973 an der ATLAN-Serie mit, die vier Jahre zuvor etabliert
worden war. 1981 zog Ernsting nach Irland, von 1982 bis 1986 erschien
eine vierundzwanzigbändige Taschenbuchreihe (CLARK DARLTON –
BESTSELLER AUS ZEIT UND RAUM), die seine serienunabhängigen Romane
enthielt. 1986 starb seine dritte Frau; von seinen ersten Partnerinnen
hatte er sich scheiden lassen. 1992 erschien Darltons letzter (PR-) Roman.
K. H. Scheer war acht Jahre jünger als Ernsting. Während seiner
Schulzeit las er Romane von Kurd Laßwitz, Jules Verne und Hans Dominik,
außerdem entwickelte er ein großes Interesse an den Naturwissenschaften.
Im Gegensatz zu Ernsting meldete er sich freiwillig zum Militärdienst,
und zwar zur Marine, angeblich um einen Fronteinsatz zu vermeiden. In
einem U-Boot wären seine Überlebenschancen allerdings nicht
größer als an einer Landfront gewesen... Nach Kriegsende verdiente
Scheer als Musiker seinen Lebensunterhalt, bevor 1948 sein erster Roman
STERN A FUNKT HILFE in einer Zeitschrift erschien.
Diese Veröffentlichung eröffnete ihm den Leihbuchmarkt: In den
folgenden Jahren schrieb Scheer Krimis, Agenten- und Seefahrerromane und
natürlich auch SF. Darltons Aktivitäten ließen Scheer
nicht unberührt: Er tritt 1955 in den SFCD ein, verließ ihn
jedoch nach drei Jahren und gründete einen eigenen Club, die STELLARIS
SF-INTERESSENGEMEINSCHAFT, der offenbar erste Club neben dem SFCD. Die
ersten Heftromanreihen boten ihm Nachdruckmöglichkeiten für
seine Romane; 1957 startete seine SF-Agentenserie ZUR BESONDEREN VERWENDUNG
(ZBV).
In demselben Jahren, in dem der erste PR-Roman erschien, heiratete Scheer.
Ab 1963 erschienen einige seiner (serienunabhängigen) Romane als
Taschenbuchnachdrucke im Heyne Verlag, ansonsten konzentrierte sich Scheer
auf die Arbeit an der PR-Serie, konzeptionierte die Handlung, erstellte
die Exposés und schrieb Romane. Er fand nur noch wenig Zeit, um
neue serienunabhängige Romane zu schreiben. 1967 kam der PR-Film
in die Kinos, die Verfilmung eines (serienunabhängigen) Romans von
Scheer scheiterte dagegen. Ein Jahr darauf löste Scheer in einem
Interview in dem TV-Magazin MONITOR eine Kritikwelle (auch in anderen
Medien) gegen die PR-Serie aus.
1971 mußte Scheer aus Gesundheitsgründen die Exposé-Erstellung
zunächst zeitweise abgeben, im Jahreswechsel 1973/1974 komplett (an
William Voltz), die Übergabe der ATLAN-Exposé-Redaktion war
1973 bereits erfolgt. In diesem Zeitraum erhielt Scheer jedoch das Angebot,
seine ZBV-Serie zu überarbeiten und fortzusetzen, das er annahm.
Die ZBV-Fortsetzung endete 1977, ein Jahr zuvor startete die Taschenbuchreihe
UTOPIA BESTSELLER, in der Scheers serienunabhängige Romane nachgedruckt
wurden.
Nicht nur aus zeitlichen und gesundheitlichen, sondern auch aus inhaltlichen
Gründen zog sich Scheer Ende der siebziger Jahre aus der Mitarbeit
an der PR-Serie zurück. Erst 1982 erfolgte ein erstes Comeback, das
scheiterte, 1986 ein zweites. 1991 erschien Scheers letzter (PR-) Roman,
er starb in diesem Jahr an einer Lungenentzündung.
Beiden Biographien sind Übersichten über die Themenkreise der
Autoren und über ihre wichtigsten Romanen angefügt. (Die Erstveröffentlichungen
und Nachdrucke sind als Übersichten in den Text integriert.) Darlton
bevorzugte Space Operas, Zeitreisen und thematisierte mehrfach die Folgen
eines Atomkrieges, abenteuerlich dargestellt. Scheer schrieb ebenfalls
Space Operas und SF-Agenten-Romane (in Form seine ZBV-Serie), mehr oder
minder militärisch geprägte Action (Protagonisten, Schauplätze,
Handlungen) in einem meist ökonomischen Stil.
Den
Biographien ist gemein, daß der Leser im Grunde viel mehr über
die Entwicklung der deutschen SF-Szene, der PR-Serie und des Fandoms (vor
allem in den fünfziger und sechziger Jahren) als über Darlton
und Scheer selbst erfährt. So verwundert es auch nicht, daß
die Biographien mit diversem Material über die PR-Serie aufgefüllt
wurden, vor allem in der über Scheer. In der Darlton-Biographie wird
diese Funktion dagegen von diversen Anekdötchen in Wort und Bild
wahrgenommen.
Es fällt auch ein gewisser Trend zur Verharmlosung in den Biographien
auf, in der Darlton-Biographie die Darstellung seines Militärdienstes,
die sich stellenweise wie ein Abenteuerurlaub liest, und die Rolle Wernher
von Brauns in der NS-Zeit (dem Ernsting nach Kriegsende begegnete), während
in der Scheer-Biographie der Hang des Autors nach militärisch geprägten
Romanhandlungen nicht hinterfragt wird. Sollte nur die gerade einmal achtmonatige
Dienstzeit bei der Kriegsmarine dafür verantwortlich sein...?!
Die Lektüre der Darlton-Biographie hat mich immerhin dazu bewogen,
mir den Folgeband zu seinem Jugendbuch DAS WELTRAUM-ABENTEUER (Heyne Jugend-TB
3 und 14), der sich seit Jahrzehnten in meiner Sammlung befindet, und
den STARLIGHT-Zyklus aus seiner Taschenbuchreihe (Nr. 10, 12, 14 und 16)
zu beschaffen. (Der zweite Roman aus dem Zyklus, VATER DER MENSCHHEIT,
gehörte nicht nur zu meinen Leseerfahrungen mit Darlton, sondern
zu meinen ersten in der SF überhaupt, und hat mich seinerzeit fasziniert.)
Für ausgeschlossen halte ich es aber, daß ich die Scheer-Romane,
an deren Lektüre ich mich erinnern kann (KORPS DER VERZWEIFELTEN
, DER VERBANNTE VON ASYTH und DIE MÄNNER DER PYRRHUS, erschienen
seinerzeit als Doppelbände 21/22, 37/38 und 53/54 in der TERRA NOVA-Heftreihe),
wieder erwerben werde. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Scheer-Biographie
mittelfristig in meiner Sammlung verbleiben wird.
Die Biographie von Lawrence Sutin, PHILIP K. DICK – GÖTTLICHE
ÜBERFÄLLE unterscheidet sich bereits äußerlich deutlich
von denen über Darlton und Scheer. Letztere sind auf 224 Seiten beschränkt
(inklusive der Anhänge) und erschienen im Design der PERRY RHODAN-Silberbände,
PHILIP K. DICK – GÖTTLICHE ÜBERFÄLLE ist dagegen
ein dickes Buch mit immerhin 551 Seiten (einschließlich der Anmerkungen,
eines chronologischen Überblicks, der Bibliographie und des Stichwortregisters).
Dick wurde (genau wie Scheer) 1928 geboren. Es war eine Frühgeburt,
seine Zwillingsschwester Jane starb etwa sechs Wochen danach, was Dick
(nachdem er ihren Tod begriffen hatte) während seines Lebens nicht
überwinden sollte. Seine Eltern ließen sich scheiden, es folgten
mehrere Umzüge, der letzte nach Berkeley. Im Alter von zwölf
Jahren entdeckte er die OZ-Romane von Frank Baum und las das erste SF-Magazin,
was seine Interesse an weiteren Pulp-Magazinen weckte, die er zu sammeln
begann. Er schrieb Kurzgeschichten und Gedichte, die in regionalen Zeitschriften
veröffentlicht wurden.
Während seiner Schulzeit traten gesundheitliche Probleme auf: Tachykardie
(Herzjagen), Agoraphobie (Angst vor freien Plätzen), Klaustrophobie,
Schwindel und Asthma, unter denen er auch im Laufe seines weiteren Lebens
(in unterschiedlichen Ausprägungen) leiden sollte. Wegen schulischer
Probleme besuchte er zeitweise ein Internat. Mit fünfzehn fand er
eine Anstellung in zwei Plattenläden, was ihn prägen und Auswirkungen
auf seine späteren Romane haben sollte. Vier Jahre später verließ
er den Haushalt seiner Mutter, kurz darauf ging er seine erste Ehe ein,
die ein halbes Jahr hält.
1951 heiratete Dick seine zweite Frau Kleo, außerdem erschient in
dem Magazin F + SF seine erste Kurzgeschichte. Er verlor seine Anstellung
in den Plattenläden und konzentrierte sich völlig auf das Schreiben:
1953 erschienen dreißig Kurzgeschichten aus seiner Schreibmaschine,
1954 achtundzwanzig. Mitte der fünfziger Jahre brach der Markt der
Pulps zusammen, so daß Dick sich dem Verfassen von Romanen zuwandte.
Von 1951 bis 1958 verfaßte Dick dreizehn Romane, davon sieben Mainstream;
er begann, unter dem Einfluß von Amphetaminen zu schreiben. Dicks
Ambitionen galten in den vierziger und fünfziger Jahren vor allem
dem Mainstream, allerdings erfolglos.
Mit SOLAR LOTTERY (HAUPTGEWINN: DIE ERDE, Goldmann SFTB 0131) erschien
1955 sein erster Roman. 1958 lernte Dick seine Nachbarin Anne kennen und
lieben, ließ sich von Kleo scheiden und heiratete Anne. Er verfolgte
seine Mainstream-Ambitionen weiter, aber wegen seiner anhaltenden Erfolglosigkeit
und der geringen Honorare für seine SF-Stories und -Romane blieb
er (in einem gewissen Maß) genauso von Anne finanziell abhängig
von Kleo. 1960 wurde seine Tochter Laura geboren.
1962 erschien mit dem Alternativweltroman THE MAN IN THE HIGH CASTLE (DAS
ORAKEL VOM BERGE, Bastei/Lübbe SFTB 22021) sein erster großer
Erfolg, der Roman erhielt und den HUGO und verkaufte sich (in der Zweitauflage)
gut. Dicks Produktivität war in der ersten Hälfte der siebziger
Jahre ungebrochen, in den Jahren 1963/1964 verfaßte er elf Romane,
darunter MARTIAN TIME-SLIP (MOZART FÜR MASIANER, Insel Verlag) und
THE THREE STIGMATA OF PALMER ELDRITCH (LSD-ASTRONAUTEN, Insel Verlag).
Er nahm in dieser Zeit zusätzlich zu den Amphetaminen auch Anti-Depressiva
ein. Die Konflikte mit seiner Frau eskalierten, als er sie eine psychiatrische
Klinik einweisen ließ; die Trennung und die Scheidung ist danach
nur eine Frage der Zeit. Dick hatte außerdem eine Vision: Er erblickte
eine Fratze am Himmel.
Dick heiratete 1966 zum vierten Mal (Nancy), ein Jahr später erblickte
seine zweite Tochter Isa das Licht der Welt. 1968 bzw. 1969 erschienen
DO ANDROIDS DREAM OF ELECTRIC SHEEP? (BLADE RUNNER, Heyne SFTB 3969) und
UBIK (UBIK, Suhrkamp TB 440). Ende der sechziger Jahre begann Dicks bislang
größte persönliche Krise: Das Finanzamt forderte Nachzahlungen
und Bußgelder, 1969 erfolgte die Trennung von Nancy. In den ersten
Jahren der Siebziger wurde in Dicks Haus mit Drogen gehandelt; er selbst
hatte bereits Jahre zuvor Erfahrungen mit LSD gemacht. Bei einem Einbruch
wurde sein Stahlschrank, in dem er wichtige Papiere aufbewahrte, aufgebrochen.
Unter
diesen Umständen glich seine Reise zu einem SF-Kongreß im Februar
1972 im kanadischen Vancouver einer Flucht. Er hielt dort seine Rede „The
Android and the Human“ („Androiden und Menschen“, KOSMISCHE
PUPPEN UND ANDERE LEBENSFORMEN, Heyne SFTB 4328) und blieb nach dem Ende
des Kongresses in Kanada. Nach einem Selbstmordversuch wurde er in das
Drogenrehabilationszentrum X-Kalay aufgenommen, in dem er drei Wochen
blieb. Er beendete den Amphetaminmißbrauch und kehrte in die USA
zurück (diesmal in das Orange Country). Dick lebt zunächst von
den Auslandsausgaben seiner Romane, lernte Tessa kennen, die 1973 seine
fünfte Frau wurde. 1974 erscheint FLOW MY TEARS, THE POLICEMAN SAID
(EINE ANDERE WELT, Heyne BIBLIOTHEK DER SCIENCE FICTION LITERATUR 32).
Im Februar und März 1974 hatte Dick wieder Visionen und Halluzinationen
– diesmal aber intensiver und anhaltender als zuvor. Dick nannte
das Wesen, das seiner Ansicht nach mit ihm in Kontakt getreten war, VALIS,
ein „Vast Active Living Intelligence System“ („Voluminöses
Aktives Lebendiges Intelligenz-System“). Dieser Kontakt sollte ihn
nicht nur zum Verfassen zum immerhin drei Romanen bewegen, sondern auch
zu einem Tagebuch, der EXEGESE, die er nach diesem Kontakt begann und
die bis zu seinem Tod einen Umfang von immerhin achttausend Seiten erreichen
sollte. Dick versuchte in der EXEGESE, die Natur von VALIS auszumachen:
Ist es seine zweite Identität, eine KI aus der Zukunft oder schlicht
Gott?!
Sein Biograph bietet einen medizinischen Erklärungsversuch für
diese, die vorangegangenen und die noch folgenden Visionen an, und zwar
als Auswirkungen einer Schläfenlappen-Epilepsie, die auch die verbissene,
endlose Arbeit an seiner EXEGESE erklärt.
Die siebziger Jahre waren in finanzieller Hinsicht erfreulich für
Dick: Seine Einkünfte stabilisierten sich aufgrund von Nachdrucken
und von Auslandsveröffentlichungen, außerdem zeigten diverse
Hollywood-Studios Interesse an der Verfilmung bestimmter Romane, so auch
an DO ANDROIDS DREAM OF ELEKTRIC SHEEP?. 1975 erschien sein erster Mainstream-Roman:
CONFESSIONS OF CRAP ARTIST, den Dick bereits 1959 schrieb. Seine fünfte
Ehe scheiterte allerdings, er verließ Tessa 1976.
In seinen letzten Lebensjahren arbeitete Dick hartnäckig an der literarischen
Aufarbeitung seiner Erlebnisse aus Februar und März 1974. Den ersten
Roman, RADIO FREE ALBEMUTH (RADIO FREIES ALBEMUTH, Moewig SFTB 3746),
zog er von der Veröffentlichung zurück, und reichte stattdessen
bei seinem Verleger VALIS (VALIS. Moewig SFTB 3649) ein, gefolgt von THE
DIVINE INVASION (DIE GÖTTLICHE INVASION, Moewig SFTB 3650) und THE
TRANSMIGRATION OF TIMOTHY ARCHER (DIE WIEDERGEBURT DES TIMOTHY ARCHER,
Moewig SFTB 3659). Die Erstveröffentlichung von THE TRANSMIGRATION
OF TIMOTHY ARCHER, mit dem Dick in den Mainstream zurückkehrte, erlebte
er ebensowenig wie die Erstaufführung des Films BLADE RUNNER, der
auf DO ANDROIDS DREAM OF ELECTRIC SHEEP? beruht. Dick starb Anfang März
1982 an den Folgen mehrerer Schlaganfälle – keine überraschende
Todesursache, wenn man seine Krankengeschichte bedenkt (Dick war auch
Hypertoniker).
Dicks Werk beschäftigt sich – von VALIS und den folgenden Romane
abgesehen – mit zwei Fragen: Was ist real? Und: Was ist menschlich?
Es gelang ihm, in einer Reihe von Romanen seine Themen mit faszinierenden,
ungewöhnlichen Plots darzustellen und in ihnen überzeugende
Protagonisten, weil meist gewöhnliche Menschen, agieren zu lassen.
Dicks Stil zeichnet sich durch jene Leichtigkeit aus, die für herausragende
Schriftsteller üblich ist. Seine letzten drei Romane haben mich dagegen
befremdet. Außer Zweifel steht, daß die Visionen von Februar/März
1974 für Dick sehr real waren, aber ob sie tatsächlich der Kontakt
zu einer KI o. a. waren...?! Damit sind wir aber wieder bei der Frage:
Was ist real?!
Sutins Biographie geht sehr ausführlich auf das Privatleben Dicks
ein. Das ist auch sinnvoll, da viele Erfahrungen und Erlebnisse Dicks,
seine Freunde und Bekannte, Ehefrauen und Freundinnen mehr oder mehr verfremdet
Eingang in seine Romane fanden. Sutin zeichnet einen Menschen nach, mit
dem das Zusammenleben aufgrund starker Stimmungsschwankungen sehr schwierig
gewesen sein muß (fünf gescheiterten Ehen sind ein unübersehbares
Indiz dafür). Dicks Karriere als Schriftsteller ist lückenlos
dargestellt, seine wichtigsten Romane werden in der Biographie meist auf
mehreren Seiten besprochen. Es bleibt der Eindruck, daß sich Dick
oft an der Grenze zwischen einer gewissen schriftstellerischen Genialität
und einem Abgrund befand, der aus Depressionen, Stimmungsschwankungen,
Erkrankungen und Aufputschmitteln bestand.
Genau wie Darlton und Scheer auf der einen und Dick auf der anderen Seite
in verschiedenen Ligen schrieben, sind auch die Biographien über
sie nicht gleichwertig. Sutins Arbeit ist wesentlich detaillierter und
tiefschürfender als die Biographien von Heiko Langhans. Das resultiert
zum einen natürlich aus der Bedeutung der Autoren, zum anderen aber
auch aus dem Umfang des Quellenmaterials, das den Autoren zur Verfügung
stand. Sutin konnte seine Biographie auf eine wesentlich breitere Basis
stützen; Langhans führte beispielsweise lediglich ein bzw. zwei
Interviews (im Fall der Darlton-Biographie nicht einmal selbst), Sutin
dagegen über einhundert.
In einer Hinsicht gleichen sich Darlton, Scheer und Dick allerdings: Sie
waren Vielschreiber. Während Sutin allerdings Auskunft über
Dicks Honorare und seine finanzielle Situation gibt, werden entsprechende
Angaben in den Biographien über Darlton und Scheer nicht gemacht.
Selbst in den als Faksimiles abgedruckten Verlagsverträgen aus den
sechziger Jahren wurde die Höhe der Honorare geschwärzt...
Für langjährige und interessierte SF-Leser, insbesondere an
den Werken der dargestellten Autoren, bieten die Biographien durchweg
zwar ergänzende, aber nur wenige neue Informationen. Die Rollen Darltons
und Scheers bei der Entwicklung der SF in Deutschland bzw. der PERRY RHODAN-Serie
sind bekannt, über Dick wurde mit seinen Romanen und Kurzgeschichten
sehr viel biographisches Material veröffentlicht. Überraschend
waren für mich vor allem seine ausgeprägten Mainstream-Ambitionen.
Alle drei Biographien sind noch im Buchhandel (zumindest bei BOL oder
AMAZON) erhältlich, auch die über Dick, die immerhin bereits
1994 in Deutschland veröffentlicht wurde, was den Verdacht erweckt,
daß sie für größere Leserkreise nicht interessant
waren. Bei den Biographien über Darlton und Scheer läßt
sich in der Tat fragen, für wenn sie geschrieben wurden: Die Autoren
haben 1991 bzw. 1992 ihre letzten (neuen) Romane veröffentlicht,
und auf der Titelseite der PR-Serie erscheinen ihre Namen bereits seit
1980 nicht mehr, während Dicks bekannteste Arbeiten in unregelmäßigen
Abständen nachgedruckt werden.
Bibliographie:
Heiko
Langhans: CLARK DARLTON – DER MANN, DER DIE ZUKUNFT BRACHTE
Originalausgabe, 2000, 224 Seiten, VPM.
Heiko Langhans: KARL HERBERT SCHEER – KONSTRUKTEUR DER ZUKUNFT
Originalausgabe, 2001, 224 Seiten, VPM
Lawrence Sutin: PHILIP K. DICK – GÖTTLICHE ÜBERFÄLLE
„Divine Invasions: A Life of Philip K. Dick“, 1989. Übersetzung
aus dem Amerikanischen von Michael Nagula, 551 Seiten, Frankfurter Verlagsanstalt,
1994, Umschlagfoto: Frank Ronan.
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