Ich muss gestehen, dass ich das Erscheinen der zehnbändigen, kompletten Kurzgeschichtensammlung Philip K. Dicks in den Jahren 1993 bis 2000 im Haffmans Verlag komplett ignorierte. Ich kann die Gründe dafür nicht mehr nennen: Ich kann mir kaum vorstellen, dass mich die Stories nicht interessierten; wahrscheinlich waren mir die Hardcoverbände im Taschenbuchformat mit einem Preis von jeweils 36,00 DM zu teuer.
Vermutlich war ich nicht der einzige potentielle Käufer, den der Preis abschreckte, denn als ich mir die Bände wenige Jahre später über Ebay kaufte konnte ich sie, von einer Ausnahme abgesehen, ungelesen und teilweise sogar noch eingeschweißt erwerben. Auch die Auktionspreise waren niedriger als die seinerzeitigen Verlagspreise. Aber auch hier muss ich einräumen, dass es eine Ausnahme gab: Es handelt um den gelesenen Band, für denn ich soviel ausgab wie nie für ein Buch zuvor. Nein, den exakten Betrag verschweige ich.
Unter dem Strich habe ich vermutlich genauso viel, eventuell auch mehr bezahlt, als wenn ich die Bücher seinerzeit direkt nach ihrem Erscheinen gekauft hätte.
Im Original erschienen die kompletten Stories Dicks fünf Jahre nach seinem Tod, also 1987, und zwar in fünf Bänden. Der Haffmans Verlag machte aus jeweils einem Buch zwei. Die deutschen Bände erschienen nicht in der korrekten Reihenfolge; so wurden zunächst AUTOFAB (Band 7) und ZUR ZEIT DER PERKY PAT (Band 8) publiziert, also das vierte Buch der Originalausgabe.
2001 druckte die Storysammlung 2008 nach, und zwar in fünf Bänden und als Paperbacks, die teilweise noch erhältlich sind. Ich hätte für diese Ausgaben weniger bezahlen müssen als für die Haffmans-Bände. Aber ich bin – im Gegensatz zu manchen Protagonisten Dicks – kein Präkog. Mir hätte wohl auch die Geduld gefehlt, um auf das Erscheinen zu warten, und hätte dann auch keine Hardcoverausgaben in meinen Regalen stehen.

VOLUME ONE: BEYOND LIES THE WUB (1947 - 1952)

Mit UND JENSEITS – DAS WOBB beginnt die deutsche Ausgabe. (Die Kurzgeschichten sind in der Sammlung nach den Entstehungszeitpunkten angeordnet, nicht soweit feststellbar, ansonsten nach denen der Erstveröffentlichungen.) Der Band enthält die erste Kurzgeschichte Dicks, „Stabilität“ (1947), die nach ihrer Entstehung unveröffentlicht blieb. In ihr bedroht die Erfindung des Protagonisten das Gefüge der Welt. Da die Story zum Schluss in die Mystery – wie wir heute sagen würden – abgleitet, wirkt sie widersprüchlich. „Roog“ (1951) ist die erste Story Dicks, die veröffentlicht wurde, die humorvolle Schilderung des aussichtslosen Kampfes eines Hundes gegen außerirdische Plünderer von – Mülltonnen.
In den übrigen Stories nimmt Dick Themen seiner späteren Arbeiten vorweg und/oder bedient sich gängiger Motive der Science Fiction jener Epoche: in „Die Kanone“ (1952) Roboter, die sich selbst reparieren, in „Der Schädel“ (1952) eine Zeitreise, die zu einem geschlossenen Kreis von historischen Ereignissen führt, in „Die Verteidiger“ (1951[?]) ein Atomkrieg, der die Menschen in Tiefbunker zwang, in „Mr. Raumschiff“ (vor 1953) ein interstellarer Krieg, die Symbiose von Mensch und Maschine u. a., in „Die Unendlichen“ (vor 1953) die beschleunigte Evolution.
 Andere Stories sind zwar auch Pointengeschichten, aber mit ungewöhnlicheren Themen: „Die kleine Bewegung“ (1952), in der Spielzeuge gegeneinander kämpfen, „Und jenseits – das Wobb“ (1952), in der eine marsianische Lebensform einen ungewöhnlichen Weg des Überlebens offenbart, „Pfeifer im Wald“ (1953), in der die Garnison eines Asteroiden von der einheimischen Lebensform friedlich übernommen wird, und „Die Bewahrungsmaschine“ (vor 1953), die nicht so funktioniert, wie es sich ihr Erbauer erhoffte.
„Der variable Mann“ (vor 1953) ist mit etwa 100 Seiten die längste Kurzgeschichte in UND JENSEITS – DAS WOBB. Die Menschheit steht vor einem interstellaren Krieg, als durch ein Zeitreiseexperiment ein Mann aus dem beginnenden zwanzigsten Jahrhundert auftaucht, der die Wahrscheinlichkeitsberechnungen durcheinander bringt. „Der variable Mann“ ist sehr actionreich, kann aber damit nicht verbergen, dass verschiedene Motive mehr schlecht als recht zusammengefügt wurden.
KOLONIE enthält die Kurzgeschichte „Zahltag“ (1952), die als Vorlage des Filmes PAYCHECK diente. Es ist eine actionreiche Story. Der Film greift durchaus inhaltliche Elemente der Kurzgeschichte auf, auch wenn er ab einem gewissen Punkt der Handlung einen anderen Verlauf nimmt und außerdem einen gänzlich abweichenden Schluss aufweist. „Zahltag“, in der ein Elektronikmechaniker mit einem gelöschten Gedächtnis durch diverse Utensilien in seine Vergangenheit zurückgeführt wird, ist nicht ohne Reiz.
Die beste Story ist jedoch „Kolonie“ (1952). Raumfahrer erforschen einen scheinbar paradiesischen Planeten, bis sie von scheinbar unbelebten Gegenständen angegriffen werden. Die einheimischen Lebensformen sind zu perfekter Mimikry fähig.
Die übrigen Stories in KOLONIE sind kurze Pointengeschichten, nicht nur SF, mal mehr, mal weniger originell, was den Plot und/oder den Handlungsablauf betrifft: „Der unermüdliche Frosch“ (vor 1953), der ein Experiment entscheiden soll, „Die Kristallgruft“ (vor 1954), ein ungewöhnliches Attentat auf eine Stadt auf dem Mars, und „Nanny“ (1952), ein Roboterkindermädchen, das gegen die Konkurrenzprodukte antritt. Außerdem: „Das kurze glückliche Leben des braunen Halbschuhs“ (vor 1954), der zuvor lebendig wurde, „Der Erbauer“ (1952), der wie besessen an einem Boot arbeitet, „Eindringling“ (1952), der durch eine Zeitreise erst in die Gegenwart geholt wird, und „Draußen im Garten“ (1952), wo sich eine seltsame Verwandlung abspielt. Schwach sind lediglich „Der Große C“ (1952), ein Computer, der erfolglose Fragesteller seiner Energieversorgung zuführt, und „Beutestück“ (1952), die eine konfuse Zeitreise schildert.
„Der König der Elfen“ (1952) fällt aus dem Rahmen; in der Story dringen klassische Fantasy-Elemente in die Realität ein.

VOLUME TWO: SECOND VARIETY (1952- 1953)

Auch VARIANTE ZWEI, der erste Teil des zweiten Bandes, enthält eine Kurzgeschichte, die als Vorlage für einen actionreichen Film diente. Genau, die Titelgeschichte (1952). Im Film kämpfen ein Konzern und eine Widerstandsorganisation auf einem fernen Planeten gegeneinander, in der Story die Amerikaner gegen die Russen. Der Plot wurde jedoch nicht verändert: Eine Seite setzt Roboter zum Kampf ein, sogenannte „Greifer“, die sich verselbständigen, reproduzieren und sich gegen sich selbst und gegen die wenden. Es ist Dicks erste Story, die die Verselbstständigung von künstlichen Lebensformen thematisiert.
Mit „Jons Welt“ (1952) setzt er „Variante zwei“ fort, handlungschronologisch Jahrzehnte oder Jahrhunderte später. Zwei Zeitreisende sollen in der Vergangenheit die Unterlagen stehlen, die den Bau künstlicher Gehirne erst ermöglichten. Das geht schief, die Zeitreisenden kehren in eine paradiesische Welt zurück, die von dem Krieg verschont wurde. Das ist natürlich keine Fortsetzung, sondern ein Rückschritt des Autors.
Mit „Der Pendler“ (1952) und „Die Welt, die sie wollte“ (1952) greift Dick zum ersten Mal Realitätsveränderungen auf, die von Individuen ausgehen. In beiden Fällen mit einem versöhnlichen Ende, „Die Welt, die sie wollte“ ist außerdem sehr ironisch. Ironisch sind auch „Gewisse Lebensformen“ (1952), in der die Erde entvölkert wird, und, wenn auch in einem geringeren Maß, „Die kosmischen Wilderer“ (1952), in der die Menschen eine Insektenrasse mit vermeintlich invasorischen Absichten missverstehen. Der Plot dieser Story ist offensichtlich, genau wie die in „Ein Raubzug auf der Oberfläche“ (1952) und „Projekt Erde“ (1952). „Die Keksfrau“ (1952) und „Jenseits der Tür“ (1952) lassen sich aus heutiger Sicht als Mysterystories bezeichnen, während „Nachwuchs“ (1952) und „Marsianer kommen in Wolken“ (1952) Ausblicke auf unmenschliche Zukünfte sind.
Die Titelgeschichte des zweiten Bandes, „Menschlich ist ...“ (1953) variiert ein klassisches Motiv: die Rückkehr eines charakterlich veränderten Mannes zu seiner Frau, was die Frage aufwirft. ob der Protagonist noch der ist, den er zu sein vorgibt. Die Identitätsfrage liegt auch der Story „Hochstapler“ (1953) zugrunde, allerdings in Form eines klassischen SF-Motivs.
MENSCHLICH IST ... enthält viele post doomsday-Geschichten: „Frühstück im Zwielicht“ (1953), „Planet für Durchreisende“ (1953), „Vermessungsteam“ (1953) und, mit einem größeren zeitlichen und räumlichen Abstand, „Der unmögliche Planet“ (1953). Das Motiv einer totalitären Gesellschaft findet sich in „Der Haubenmacher“ (1953) und in „Souvenir“ (1953), in letztere in interstellaren Maßstab.
Der Höhepunkt des Bandes ist „Kleine Stadt“ (1953), in der sich der frustrierte Protagonist in seine Modellwelt zurückzieht – mit Auswirkungen auf die Realität, versteht sich –, gefolgt von „Ein Geschenk für Pat“ (1953), in dem eine ganymedianische Gottheit (sic!) auf der Erde aktiv wird.
„James P. Crow“ (1953) ist eine unbefriedigende Story über eine fundamentale, wenn auch nicht kriegerische Auseinandersetzung zwischen Menschen und Robotern, ohne Perspektiven für beide Seiten. In „Prominenter Autor“ (1954) wird die Entstehung der Bibel erklärt, nicht unbedingt originell. „Der Ärger mit den Kugeln“ (1953) und „Umstellungsteam“ (1953) beschäftigen sich etwas schwerfällig mit der Frage, der die Realität bestimmt, und „Von verdorrten Äpfeln“ (1953) ist eine Mysterystory.
1953 brachte Dick den Roman KOSMISCHE PUPPEN zu Papier, der als Fantasy angesehen werden kann. (Ich bleibe bei dem Ordnungssystem, das die Storybände vorgeben und weise die Romane auch nach den Entstehungszeitpunkten aus. Die Titel entsprechen denen der letzten deutschen Übersetzung.)

VOLUME THREE: THE FATHER THING (1953 - 1954)

Auch DAS VATER-DING enthält eine der bekanntesten Kurzgeschichten Dicks: „Der goldene Mann“ (1953). Nach dem Atomkrieg werden sämtliche Mutanten eliminiert; einer erweist sich den Menschen jedoch als überlegen, weil er ihnen kaum noch ähnlich ist. Aus heutiger Sicht ist das Motiv des Mutanten, der die Menschen bedroht, nicht mehr innovativ, die Story bleibt aber vor allem zeitlos, weil „Der goldene Mann“ nicht wegen eines aggressiven Vorgehens seine Überlegenheit beweist.
DAS VATER-DING beginnt schwach mit den Invasionsstories „Freiwild“ (1953), „Der Gehenkte“ (1953) und „Augen auf“ (1953), auch wenn sich Dick dem Thema aus verschiedenen Richtungen nähert. Die totalitäre Gesellschaft in „Die Drehung des Rades“ (1953) ist wohl eine Anspielung auf die „Lehren“ eines „Religionstifters“, der auch ein SF-Autor war. In „Der letzte Meister“ (1953) und „Dem Meister zu Diensten“ (1953) beschreibt Dick erneut unüberbrückbare Gegensätze zwischen Menschen und Robotern.
In „Tony und die Käfer“ (1953) dreht Dick erneut ein klassisches SF-Motiv um: Die Menschen verlieren einen interstellaren Krieg und werden ihrerseits zu Verfolgten. „Das Vater-Ding“ (1953) übernimmt und kopiert des Vater eines Jungen, dessen verzweifelte Situation intensiv beschrieben wird. Die Story erinnert an den Film DIE DÄMONISCHEN, allerdings erschien die Vorlage, der Roman THE BODY SNATCHERS (deutsch als UNSICHTBARE PARASITEN) erst. Zynisch ist „Eine todsichere Masche“ (1953), in der sich die Menschen Robotervertretern nicht entziehen können – selbst dann nicht, wenn sie aus dem Sonnensystem fliehen.
„Null-O“ (1953) ist eine der schlechtesten Kurzgeschichten Dicks. Menschen, deren Blick auf die Realität nicht durch Gefühle getrübt wird, versuchen die Bestandteile des Universums miteinander zu vereinen, indem sie es zerstören. „Fremdes Paradies“ (1953), „Ausstellungsstück“ (1953) und „Die Kriecher“ (1953) sind weitere Pointenstories zu gängigen Themen in der SF und in Dicks Werk.
FOSTER, DU BIST TOT enthält überwiegend längere Kurzgeschichten, so „Kriegsveteran“ (1954), in der die Erde einerseits und die Kolonisten auf Mars und Venus andererseits vor einem Krieg stehen, als ein Kombattant aus der Zukunft auftaucht, der auf der Seite der unterliegenden Erde kämpfte. Auch der Hintergrund von „Ein universales Talent“ (1954) ist die Unabhängigkeitsbestrebung einer Kolonie von der Erde, diesmal mit der Hilfe von Mutanten. Ein weiteres Thema in der Story ist aber auch die Neutralisation von PSI-Fähigkeiten, genau wie (ausschließlich) in „Fehleinstellung“ (1954). Eine weitere, konfuse Mutanten-Story ist „Psi-Mensch, heil mein Kind!“, die in einer Post doomsday-Welt spielt.
Die Titelgeschichte „Foster, du bist tot“ (1953) ist auch hier die beste des Bandes, die eindringliche Schilderung der Situation eines Jungen, der ausgegrenzt wird, weil sich sein Vater einen eigenen Bunker leisten nicht kann. Ein kompletter Industriezweig lebt von der Angst, die von der Regierung vor einem Atomkrieg geschürt wird.
Eine verunglückte, weil zu stark überspitzte Darstellung eines totalitären Systems ist „Zwischen den Stühlen“ (1954). „Alles hat seinen Preis“ (1954) stellt eine weitere Version des Zerfalls und des Wiederaufbaus nach einer (nuklearen?) Katastrophe vor. Dem „Verwirrspiel“ (195) ist die Besatzung eines abgestürzten Raumschiffes ausgesetzt, nicht wissend, dass sie das „Verwirrspiel“ selbst schafft. „Und Friede auf Erde“ (1954) ist Horror mit einem katastrophalen, aber grandiosen Ende.
1954 schrieb Dick seine ersten (SF-) Romane, HAUPTGEWINN: DIE ERDE und DIE SELTSAME WELT DES MR. JONES.

VOLUME FOUR: THE DAYS OF PERKY PAT (1954 - 1963)

Der erste Teil des vierten Bandes, AUTOFAB, beinhaltet eine Kurzgeschichte, die Grundlage eines (weiteren) actionreichen Filmes wurde: „Der Minderheiten-Bericht“ (1954). Dank dreier Präkog-Mutanten können (Schwer-) Verbrechen vorhergesehen und verhindert werden, was die Frage aufwirft, ob die (verhinderten) Täter schuldig sind, im moralischen wie im juristischen Sinn, die die Story aber nicht beantwortet. Der Leiter der Präkog-Organisation, Anderton, gerät vielmehr in eine heikle Lage, als er als zukünftiger Mörder ausgewiesen wird. Als Kenner des Systems weiß er um die Existenz des „Minderheiten-Berichtes“.
Auch Anderton stellt das System nicht in Frage, als es ihm gelingt, seine Unschuld zu beweisen, mit der Hilfe von drei „Minderheiten-Berichten“. Einem Unterschied zu der Verfilmung übrigens, die der Story trotz einer Reihe von hinzugefügten Handlungselementen im wesentlichen folgt.
„Autofab“ (1954) zeigt die fatalen Folgen auf, die die Überlebenden eines Atomkrieges hinnehmen müssen, als sie der Versorgung durch automatische Fabriken überdrüssig werden. Die Bedrohung durch ein totalitäres System thematisiert Dick auch in „Kundendienst“ (1954), aber erheblich origineller als in „Zwischen den Stühlen“ (in FOSTER, DU BIST TOT). Die Manipulation der Gesellschaft durch die Medien in „Nach Yancys Vorbild“ (1954) lässt zwar dieselbe Originalität vermissen, ist jedoch realitätsnäher, auch wenn die Story auf Callisto spielt.
„Liefermonopol“ (1954), „Erinnerungsmechanismus“ (vor 1954), „Entdecker sind wir“ (1958) und „Kriegsspiel“ (1958) sind Pointenstories mit bekannten Themen, aber mit zum Teil überraschenden Wendungen. „Die unverbesserliche M“ (1955) ähnelt dem „Minderheiten-Bericht“: Ein Unschuldiger wird aufgrund falscher Spuren verfolgt. Ansonsten verblasst „Die unverbesserliche M“, der Handlungsverlauf mutet zudem etwas konfus an.
ZUR ZEIT DER PERKY PAT enthält die ersten Kurzgeschichten Dicks aus den sechziger Jahren, die zunächst enttäuschen. „Wenn Benny Cemoli nicht wär“ (1963) schildert ein plumpes Täuschungsmanöver, mit dem sich die Verantwortlichen für einen katastrophalen Krieg auf der Erde dem Zugriff ihrer Verfolger entziehen wollen.
„Komische Nummer“ (1963) und „Was die Toten sagen“ (1963) sind langwierige, verworrene Stories. In ersterer schafft es der Apartmenthausbewohner Ian Duncan trotz seiner Handicaps bis zur Präsidentengattin Nicole Thibodeaux (einem Medienprodukt inzwischen) vorzudringen, nur um festzustellen, dass er manipuliert wurde. Der Wirtschaftsboss Louis Sarapis stirbt in „Was die Toten sagen“, wird eingefroren und soll aus dem „Halbleben“ heraus sein Unternehmen noch einen gewissen Zeitraum leiten. Doch die Kontaktaufnahme misslingt, stattdessen fängt man Sendungen auf, deren Ursprung außerhalb des Sonnensystems zu liegen scheint. Es ist Sarapis' Stimme. Doch der Plot offenbart nichts geheimnisvolles, Ziel ist „nur“ die Manipulation der nächsten Präsidentenwahl. Die Idee des Halblebens sollte Dick in seinem Roman UBIK wiederverwenden.
„Zur Zeit der Perky Pat“ (1963) ist eine post doomsday-Story, in der Bunkerbewohner die untergegangene Welt mit Puppen und dem entsprechenden Zubehör wieder auferstehen lassen. In „Wasserspinne“ (1963) wird ein Präkog der Vergangenheit in die Gegenwart geholt, um ein Problem zu lösen – Poul Anderson ...“Orpheus mit Pferdefuß“ (1963) schildert eine missglückte Zeitreise, die trotzdem gewisse Optionen eröffnet. Das sind die drei originellsten Stories in ZUR ZEIT DER PERKY PAT.
„Allzeit bereit“ (1963) wartet mit einer interessanten Idee auf: Wie verhält sich ein durchschnittlicher Mensch, der anstelle eines Computers die Macht übernehmen muss? „Was machen wir bloß mit Ragland Park“ (1963) setzt die Story fort; ein Balladensänger mit einer ungewöhnlichen Fähigkeit greift in die gewöhnlichen Auseinandersetzungen ein. „Ach, als Blobbel hat man's schwer!“ (1963) beleuchtet ein konventionelles Thema der SF aus einer ungewohnten Perspektive, die Tragik der Story wirkt aber übertrieben.

Von 1955 bis 1963 verfasste Dick die Romane DER HEIMLICHE REBELL (1955), UND DIE ERDE STEHT STILL (1955), ZEIT AUS DEN FUGEN (1958) , SCHACHFIGUR IM ZEITSPIEL (1959), VULKANS HAMMER (1960), DAS ORAKEL VOM BERGE (1961), MARSIANISCHER ZEITSTURZ (1962), DIE LINCOLN-MASCHINE (1962), DAS GLOBUS-SPIEL (1963), SIMULACRA (1963), NACH DER BOMBE (1963) und WARTE AUF DAS LETZTE JAHR (1963). Die Häufung der Romane im Jahr 1963 überrascht, zumal Dick zeitgleich nach etwa fünf Jahren wieder Kurzgeschichte schrieb.

VOLUME FIVE: THE LITTLE BLACK BOX (1963 - 1981)

Der erste Teil des fünften Bandes, BLACK BOX, enthält zwei Kurzgeschichten, deren Motive bereits in Romanen auftauchten: Die posthum veröffentlichte „Terranische Odyssee“ (1965) enthält Szenen aus einer post doomsday-Welt, die auch in NACH DER BOMBE ihren Platz hätten finden können, und „Sie haben gestern einen Termin“ (1965) nimmt die Idee des rückwärts verlaufenden Zeitflusses aus DIE ZEIT: AUF GEGENKURS nochmals auf. „Die kleine Black Box“ (1963) behandelt dagegen einen Aspekt (den „Mercerismus“), der erst in einem späteren Roman, und zwar in BLADE RUNNER auftauchen sollte. Immerhin sind die drei Stories genauso überzeugend wie die Romane.
„Der Krieg mit den Fnools“ (1964), „Heiliger Eifer“ (1964) und „Einwand per Einband“ (1965) sind satirische Stories, die klassische Themen der SF karikieren – außerirdische Invasoren, allwissende Computer und Unsterblichkeit. In „Rückspiel“ (1965) schießt ein Flippergerät zurück, doch diesmal gleitet Dick zu sehr ins Absurde ab.
In „Ein unbezahlbarer Artefakt“ (1966) und „Schuldkomplex“ (1963) deuten sich weitere Themen der Romane Dicks an, nämlich die Manipulation der Realität, durch Außenstehende und durch den Protagonisten selbst, allerdings ohne offensichtliche Parallelen wie in „Terranische Odyssee“ und „Sie hatten gestern einen Termin“. Das Opfer des „Unglücksspiel“ (1963) sind Siedler auf dem Mars, die von interstellaren Schaustellern ausgebeutet werden. BLACK BOX enthält außerdem „Erinnerungen en gros“ (1965), eine leicht satirische Pointenstory, die zur Ausgangssituation der Actionorgie TOTAL RECALL wurde (was diese Verfilmung von den anderen unterscheidet).
Mit „Cadbury, der zu kurz gekommene Biber“ (1971) und „Das Auge der Sibylle“ (1975) finden sich in DER FALL RAUTAVAARA weitere zwei Kurzgeschichten, die in der Sammlung posthum veröffentlicht wurden. Das überrascht nicht, denn beide Texte sind verwirrend. Cadbury ist in der Tat ein Biber, und auch „zu kurz gekommen“, was befriedigende Beziehungen zu Frauen betrifft. Dick stellt in der Story, vorsichtig formuliert, verschiedene „Frauen-Typen“ vor. „Das Auge der Sibylle“ schlägt einen Bogen vom Römischen Reich bis zur Gegenwart, in der die Tyrannei (?!) enden soll. „Der Tag, an dem Herrn Computer die Tassen aus dem Schrank fielen“ (1977) wurde ebenfalls posthum veröffentlicht, ist jedoch verständlicher, satirisch und weist noch deutlichere persönliche Züge des Autors auf.
„Glaube unserer Väter“ (1966) ist eine sehr dichte Story, die Realitätsveränderung durch Drogen- bzw. Medikamentenkonsum thematisiert und in einer totalitären Gesellschaft spielt. In „Die elektrische Ameise“ (1968) bestimmt ein schlichtes Lochband nicht nur die Realität des Protagonisten. Warum in „Ein kleines Trostpflaster für uns Temponauten“ (1973) eine Zeitschleife entsteht, die die Temponauten immer wieder eine Woche vor dem Ende ihrer Mission und vor ihrem Todes zurückkehren lässt, wird nicht klar, aber das Ziel Dicks war es wohl eher, die psychologische Situation der Protagonisten darzustellen. „Die Präpersonen“ (1973) ist provokante, aber außergewöhnliche, weil aus der Realität heraus konsequent entwickelte Story, in der Abtreibungen noch bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres möglich sind.
„Merkwürdige Erinnerungen an den Tod“ (1980) ist keine SF, sondern schildert eine Episode aus Dicks Leben. Zur SF sind dagegen wieder die übrigen Kurzgeschichte zu rechnen: „Der Ausgang führt hinein“ (1979) hinterfragt blinde Loyalität, allerdings auf der Grundlage einer durchschaubaren Handlung. „Ich hoffe, ich komme bald an“ (1980) stellt die KI eines Raumschiffes vor ein Problem: Ein Passagier ist aus dem Kälteschlaf erwacht, kann nicht zurückversetzt werden und stellt sich als psychotisch heraus.
„Atherfesseln, Luftgespinste“ (1979) ist die Schilderung der Beziehung der Ein-Personen-Besatzungen zweier Kommunikationsstationen, natürlich zwischen einer Frau und einem Mann, die atmosphärisch dicht ist und sehr authentisch wirkt. In „Der Fall Rautavaara“ (1980) wird einer sterbenden Frau das theologischen Konzept einer nichtmenschlichen Rasse aufgepfropft.
„Eine außerirdische Intelligenz“ (vor 1980), eine simple Pointenstory, beendet DER FALL RAUTAVAARA und damit die Dicksche Storysammlung.

Die Romanbibliografie Dicks umfasst von 1964 bis zu seinem Tod die Bücher ZEHN JAHRE NACH DEM BLITZ (1964), DIE CLANS DES ALPHA MONDES (1964), DIE DREI STIGMATA DES PALMER ELDRITCH (1964), DAS JAHR DER KRISEN (1964), DAS LABYRINTH DER RATTEN (1964), DER UNTELEPORTIERTE MANN (1965), DIE ZEIT: AUF GEGENKURS (1965), DIE INVASOREN VON GANYMED (1965), BLADE RUNNER (1966), DER GALAKTISCHE TOPFHEILER (1968), UBIK (1969), IRRGARTEN DES TODES (1968), DIE MEHRBEGABTEN (1969), EINE ANDERE WELT (1970), DER DUNKLE SCHIRM (1973), DER GOTT DES ZORNS (1975), RADIO FREIES ALBEMUTH (1976), VALIS (1978), DIE GÖTTLICHE INVASION (1980) und DIE WIEDERGEBURT DES TIMOTHY ARCHER (1981).

Der Fleiß von Dick als Kurzgeschichtenautor erstaunt: Die Haffmans-Ausgabe umfasst immerhin über 3.000 Seiten; etwa drei Viertel seiner Stories entstanden in den fünfziger Jahren. Diese Schaffensphase endet, als Dick Romane schreibt. Als Romanautor war seine Produktivität freilich auch (mit gewissen Pausen) ungebrochen.
Inhaltlich orientierte sich Dick an klassischen Themen der SF: Kriege und Kolonien im Weltraum (wobei ihm überwiegend das heimische Sonnensystems und das Proxima Centauri-System als Handlungsschauplätze genügten), Roboter, Mutanten, Zeitreisen u. a. m. Er begann jedoch schon früh, aus den Konventionen den Genres auszubrechen, jene klassischen Themen zu variieren, sich ihnen auf anderen inhaltlichen Wegen zu nähern und unkonventionelle Plots zu entwickeln, die nicht selten satirisch waren.
Mit den zahlreichen post doomsday-Stories und mit den Kurzgeschichten, in denen Dick seine Protagonisten in totalitäre Systeme stellte, reflektiert er seine Eindrücke und Einschätzungen der seinerzeitigen politischen Situation in seiner Heimat und in der Welt. Er dokumentiert sein großes Misstrauen gegenüber Staaten und Politikern.
In den zehn Storybänden lässt sich sehr schön die Entwicklung der Themen beobachten, die Dicks Romanwerk bestimmen sollten: die Frage nach der Natur der Realität, der Gegensatz zwischen Mensch und Androiden, das Individuum in einer bedrohlichen Gesellschaft, das Überleben nach einem Atomkrieg – das einzige Thema, das sich in einem vergleichbaren Umfang auch in den Romanwerk Dicks wiederfindet, dort aber (ab Mitte der sechziger Jahre) an Bedeutung verliert. Auch Dicks vermeintlicher oder tatsächlicher Kontakt mit einem möglicherweise göttlichen Wesen, der sich 1974 abgespielt haben soll, spiegelt sich in den jüngeren Kurzgeschichten wieder.
Nicht die inhaltliche, sondern auch die stilistische Entwicklung ist augenfällig. Benutzte Dick zu Beginn seiner schriftstellerischen Arbeit einfache Sätze, so weisen seine jüngeren Kurzgeschichten komplexere Satzkonstruktionen auf, ohne dadurch schwerer lesbarer und/oder weniger prägnant (mit Ausnahmen) zu werden.
Natürlich weist eine solche umfangreiche Sammlung auch Mankos auf. schwache, unmotivierte Stories stehen neben Meisterwerken, Plots und Themen wiederholen sich, nicht selten in unmittelbar aufeinander folgenden Kurzgeschichten. Deshalb würde ich Lesern, zu deren Lieblingsautoren Dick nicht gehört, zu Auswahlbänden raten. Z. Z. ist mit DER UNMÖGLICHE PLANET (Heyne TB 13656) eine umfangreiche Storysammlung erhältlich.
Wenn ich eine eigene Dick-Storysammlung zusammenstellen dürfte, würde sie die Kurzgeschichten „Roog“, „Und jenseits – das Wobb“, „Pfeifer im Wald“, „Zahltag“, „Kolonie“, „Die Welt, die sie wollte“, „Gewisse Lebensformen“, „Menschlich ist ...“, „Kleine Stadt“, „Ein Geschenk für Pat“, „Der goldene Mann“, „Tony und die Käfer“, „Das Vater-Ding“, „Eine todsichere Masche“, „Fehleinstellung“, „Foster, du bist tot“, „Alles hat seinen Preis“, „Und Friede auf Erden“, „Autofab“, „Kundendienst“, „Zur Zeit der Perky Pat“, „Wasserspinne“, „Orpheus mit Pferdefuß“, „Sie haben gestern einen Termin“, „Der Krieg mit den Fnools“, „Heiliger Eifer“, „Einwand per Einband“, „Die Präpersonen“, „Atherfesseln, Luftgespinste“ und „Der Fall Rautavaara“ enthalten.
Ich nehme selbstverständlich nicht an, dass ich für sie einen Verleger finden würde. Nicht, dass das nötig wäre .
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