Ich muss gestehen, dass ich
das
Erscheinen der zehnbändigen, kompletten
Kurzgeschichtensammlung
Philip K. Dicks in den Jahren 1993 bis 2000 im Haffmans Verlag
komplett ignorierte. Ich kann die Gründe dafür nicht
mehr nennen:
Ich kann mir kaum vorstellen, dass mich die Stories nicht
interessierten; wahrscheinlich waren mir die Hardcoverbände im
Taschenbuchformat mit einem Preis von jeweils 36,00 DM zu teuer.
Vermutlich war ich nicht der einzige
potentielle Käufer, den der Preis abschreckte, denn als ich
mir die
Bände wenige Jahre später über Ebay kaufte
konnte ich sie, von
einer Ausnahme abgesehen, ungelesen und teilweise sogar noch
eingeschweißt erwerben. Auch die Auktionspreise waren
niedriger als
die seinerzeitigen Verlagspreise. Aber auch hier muss ich
einräumen,
dass es eine Ausnahme gab: Es handelt um den gelesenen Band,
für
denn ich soviel ausgab wie nie für ein Buch zuvor. Nein, den
exakten
Betrag verschweige ich.
Unter dem Strich habe ich vermutlich
genauso viel, eventuell auch mehr bezahlt, als wenn ich die
Bücher
seinerzeit direkt nach ihrem Erscheinen gekauft hätte.
Im Original erschienen die kompletten
Stories Dicks fünf Jahre nach seinem Tod, also 1987, und zwar
in
fünf Bänden. Der Haffmans Verlag machte aus jeweils
einem Buch
zwei. Die deutschen Bände erschienen nicht in der korrekten
Reihenfolge; so wurden zunächst AUTOFAB (Band 7) und ZUR ZEIT
DER
PERKY PAT (Band 8) publiziert, also das vierte Buch der
Originalausgabe.
2001 druckte die Storysammlung 2008
nach, und zwar in fünf Bänden und als Paperbacks, die
teilweise
noch erhältlich sind. Ich hätte für diese
Ausgaben weniger
bezahlen müssen als für die Haffmans-Bände.
Aber ich bin – im
Gegensatz zu manchen Protagonisten Dicks – kein
Präkog. Mir hätte
wohl auch die Geduld gefehlt, um auf das Erscheinen zu warten, und
hätte dann auch keine Hardcoverausgaben in meinen Regalen
stehen.
VOLUME ONE: BEYOND LIES THE
WUB (1947 -
1952)
Mit UND JENSEITS
– DAS WOBB beginnt
die deutsche Ausgabe. (Die Kurzgeschichten sind in der Sammlung nach
den Entstehungszeitpunkten angeordnet, nicht soweit feststellbar,
ansonsten nach denen der Erstveröffentlichungen.) Der Band
enthält
die erste Kurzgeschichte Dicks,
„Stabilität“ (1947), die nach
ihrer Entstehung unveröffentlicht blieb. In ihr bedroht die
Erfindung des Protagonisten das Gefüge der Welt. Da die Story
zum
Schluss in die Mystery – wie wir heute sagen würden
– abgleitet,
wirkt sie widersprüchlich. „Roog“ (1951)
ist die erste Story
Dicks, die veröffentlicht wurde, die humorvolle Schilderung
des
aussichtslosen Kampfes eines Hundes gegen außerirdische
Plünderer
von – Mülltonnen.
In den übrigen Stories nimmt Dick
Themen seiner späteren Arbeiten vorweg und/oder bedient sich
gängiger Motive der Science Fiction jener Epoche: in
„Die Kanone“
(1952) Roboter, die sich selbst reparieren, in „Der
Schädel“
(1952) eine Zeitreise, die zu einem geschlossenen Kreis von
historischen Ereignissen führt, in „Die
Verteidiger“ (1951[?])
ein Atomkrieg, der die Menschen in Tiefbunker zwang, in „Mr.
Raumschiff“ (vor 1953) ein interstellarer Krieg, die Symbiose
von
Mensch und Maschine u. a., in „Die Unendlichen“
(vor 1953) die
beschleunigte Evolution.
Andere Stories sind zwar auch
Pointengeschichten, aber mit ungewöhnlicheren Themen:
„Die kleine
Bewegung“ (1952), in der Spielzeuge gegeneinander
kämpfen, „Und
jenseits – das Wobb“ (1952), in der eine
marsianische Lebensform
einen ungewöhnlichen Weg des Überlebens offenbart,
„Pfeifer im
Wald“ (1953), in der die Garnison eines Asteroiden von der
einheimischen Lebensform friedlich übernommen wird, und
„Die
Bewahrungsmaschine“ (vor 1953), die nicht so funktioniert,
wie es
sich ihr Erbauer erhoffte.
„Der variable Mann“ (vor 1953) ist
mit etwa 100 Seiten die längste Kurzgeschichte in UND JENSEITS
–
DAS WOBB. Die Menschheit steht vor einem interstellaren Krieg, als
durch ein Zeitreiseexperiment ein Mann aus dem beginnenden
zwanzigsten Jahrhundert auftaucht, der die
Wahrscheinlichkeitsberechnungen durcheinander bringt. „Der
variable
Mann“ ist sehr actionreich, kann aber damit nicht verbergen,
dass
verschiedene Motive mehr schlecht als recht zusammengefügt
wurden.
KOLONIE enthält die Kurzgeschichte
„Zahltag“ (1952), die als Vorlage des Filmes
PAYCHECK diente. Es
ist eine actionreiche Story. Der Film greift durchaus inhaltliche
Elemente der Kurzgeschichte auf, auch wenn er ab einem gewissen Punkt
der Handlung einen anderen Verlauf nimmt und außerdem einen
gänzlich
abweichenden Schluss aufweist. „Zahltag“, in der
ein
Elektronikmechaniker mit einem gelöschten Gedächtnis
durch diverse
Utensilien in seine Vergangenheit zurückgeführt wird,
ist nicht
ohne Reiz.
Die beste Story ist jedoch
„Kolonie“
(1952). Raumfahrer erforschen einen scheinbar paradiesischen
Planeten, bis sie von scheinbar unbelebten Gegenständen
angegriffen
werden. Die einheimischen Lebensformen sind zu perfekter Mimikry
fähig.
Die übrigen Stories in KOLONIE sind
kurze Pointengeschichten, nicht nur SF, mal mehr, mal weniger
originell, was den Plot und/oder den Handlungsablauf betrifft:
„Der
unermüdliche Frosch“ (vor 1953), der ein Experiment
entscheiden
soll, „Die Kristallgruft“ (vor 1954), ein
ungewöhnliches
Attentat auf eine Stadt auf dem Mars, und „Nanny“
(1952), ein
Roboterkindermädchen, das gegen die Konkurrenzprodukte
antritt.
Außerdem: „Das kurze glückliche Leben des
braunen Halbschuhs“
(vor 1954), der zuvor lebendig wurde, „Der Erbauer“
(1952), der
wie besessen an einem Boot arbeitet, „Eindringling“
(1952), der
durch eine Zeitreise erst in die Gegenwart geholt wird, und
„Draußen
im Garten“ (1952), wo sich eine seltsame Verwandlung
abspielt.
Schwach sind lediglich „Der Große C“
(1952), ein Computer, der
erfolglose Fragesteller seiner Energieversorgung zuführt, und
„Beutestück“ (1952), die eine konfuse
Zeitreise schildert.
„Der König der Elfen“ (1952)
fällt
aus dem Rahmen; in der Story dringen klassische Fantasy-Elemente in
die Realität ein.
VOLUME TWO: SECOND VARIETY
(1952- 1953)
Auch VARIANTE ZWEI, der
erste Teil des
zweiten Bandes, enthält eine Kurzgeschichte, die als Vorlage
für
einen actionreichen Film diente. Genau, die Titelgeschichte (1952).
Im Film kämpfen ein Konzern und eine Widerstandsorganisation
auf
einem fernen Planeten gegeneinander, in der Story die Amerikaner
gegen die Russen. Der Plot wurde jedoch nicht verändert: Eine
Seite
setzt Roboter zum Kampf ein, sogenannte „Greifer“,
die sich
verselbständigen, reproduzieren und sich gegen sich selbst und
gegen
die wenden. Es ist Dicks erste Story, die die
Verselbstständigung
von künstlichen Lebensformen thematisiert.
Mit
„Jons Welt“ (1952) setzt er
„Variante zwei“ fort, handlungschronologisch
Jahrzehnte oder
Jahrhunderte später. Zwei Zeitreisende sollen in der
Vergangenheit
die Unterlagen stehlen, die den Bau künstlicher Gehirne erst
ermöglichten. Das geht schief, die Zeitreisenden kehren in
eine
paradiesische Welt zurück, die von dem Krieg verschont wurde.
Das
ist natürlich keine Fortsetzung, sondern ein
Rückschritt des
Autors.
Mit „Der Pendler“ (1952) und „Die
Welt, die sie wollte“ (1952) greift Dick zum ersten Mal
Realitätsveränderungen auf, die von Individuen
ausgehen. In beiden
Fällen mit einem versöhnlichen Ende, „Die
Welt, die sie wollte“
ist außerdem sehr ironisch. Ironisch sind auch
„Gewisse
Lebensformen“ (1952), in der die Erde entvölkert
wird, und, wenn
auch in einem geringeren Maß, „Die kosmischen
Wilderer“ (1952),
in der die Menschen eine Insektenrasse mit vermeintlich invasorischen
Absichten missverstehen. Der Plot dieser Story ist offensichtlich,
genau wie die in „Ein Raubzug auf der
Oberfläche“ (1952) und
„Projekt Erde“ (1952). „Die
Keksfrau“ (1952) und „Jenseits
der Tür“ (1952) lassen sich aus heutiger Sicht als
Mysterystories
bezeichnen, während „Nachwuchs“ (1952) und
„Marsianer kommen
in Wolken“ (1952) Ausblicke auf unmenschliche
Zukünfte sind.
Die Titelgeschichte des zweiten Bandes,
„Menschlich ist ...“ (1953) variiert ein
klassisches Motiv: die
Rückkehr eines charakterlich veränderten Mannes zu
seiner Frau, was
die Frage aufwirft. ob der Protagonist noch der ist, den er zu sein
vorgibt. Die Identitätsfrage liegt auch der Story
„Hochstapler“
(1953) zugrunde, allerdings in Form eines klassischen SF-Motivs.
MENSCHLICH
IST ... enthält viele post
doomsday-Geschichten: „Frühstück im
Zwielicht“ (1953), „Planet
für Durchreisende“ (1953),
„Vermessungsteam“ (1953) und, mit
einem größeren zeitlichen und räumlichen
Abstand, „Der
unmögliche Planet“ (1953). Das Motiv einer
totalitären
Gesellschaft findet sich in „Der Haubenmacher“
(1953) und in
„Souvenir“ (1953), in letztere in interstellaren
Maßstab.
Der Höhepunkt des Bandes ist „Kleine
Stadt“ (1953), in der sich der frustrierte Protagonist in
seine
Modellwelt zurückzieht – mit Auswirkungen auf die
Realität,
versteht sich –, gefolgt von „Ein Geschenk
für Pat“ (1953), in
dem eine ganymedianische Gottheit (sic!) auf der Erde aktiv wird.
„James P. Crow“ (1953) ist eine
unbefriedigende Story über eine fundamentale, wenn auch nicht
kriegerische Auseinandersetzung zwischen Menschen und Robotern, ohne
Perspektiven für beide Seiten. In „Prominenter
Autor“ (1954)
wird die Entstehung der Bibel erklärt, nicht unbedingt
originell.
„Der Ärger mit den Kugeln“ (1953) und
„Umstellungsteam“
(1953) beschäftigen sich etwas schwerfällig mit der
Frage, der die
Realität bestimmt, und „Von verdorrten
Äpfeln“ (1953) ist eine
Mysterystory.
1953 brachte Dick den Roman KOSMISCHE
PUPPEN zu Papier, der als Fantasy angesehen werden kann. (Ich bleibe
bei dem Ordnungssystem, das die Storybände vorgeben und weise
die
Romane auch nach den Entstehungszeitpunkten aus. Die Titel
entsprechen denen der letzten deutschen Übersetzung.)
VOLUME THREE: THE FATHER
THING (1953 -
1954)
Auch DAS VATER-DING
enthält eine der
bekanntesten Kurzgeschichten Dicks: „Der goldene
Mann“ (1953).
Nach dem Atomkrieg werden sämtliche Mutanten eliminiert; einer
erweist sich den Menschen jedoch als überlegen, weil er ihnen
kaum
noch ähnlich ist. Aus heutiger Sicht ist das Motiv des
Mutanten, der
die Menschen bedroht, nicht mehr innovativ, die Story bleibt aber vor
allem zeitlos, weil „Der goldene Mann“ nicht wegen
eines
aggressiven Vorgehens seine Überlegenheit beweist.
DAS
VATER-DING beginnt schwach mit den
Invasionsstories „Freiwild“ (1953), „Der
Gehenkte“ (1953)
und „Augen auf“ (1953), auch wenn sich Dick dem
Thema aus
verschiedenen Richtungen nähert. Die totalitäre
Gesellschaft in
„Die Drehung des Rades“ (1953) ist wohl eine
Anspielung auf die
„Lehren“ eines
„Religionstifters“, der auch ein SF-Autor war.
In „Der letzte Meister“ (1953) und „Dem
Meister zu Diensten“
(1953) beschreibt Dick erneut unüberbrückbare
Gegensätze zwischen
Menschen und Robotern.
In „Tony und die Käfer“ (1953)
dreht Dick erneut ein klassisches SF-Motiv um: Die Menschen verlieren
einen interstellaren Krieg und werden ihrerseits zu Verfolgten.
„Das
Vater-Ding“ (1953) übernimmt und kopiert des Vater
eines Jungen,
dessen verzweifelte Situation intensiv beschrieben wird. Die Story
erinnert an den Film DIE DÄMONISCHEN, allerdings erschien die
Vorlage, der Roman THE BODY SNATCHERS (deutsch als UNSICHTBARE
PARASITEN) erst. Zynisch ist „Eine todsichere
Masche“ (1953), in
der sich die Menschen Robotervertretern nicht entziehen können
–
selbst dann nicht, wenn sie aus dem Sonnensystem fliehen.
„Null-O“ (1953) ist eine der
schlechtesten Kurzgeschichten Dicks. Menschen, deren Blick auf die
Realität nicht durch Gefühle getrübt wird,
versuchen die
Bestandteile des Universums miteinander zu vereinen, indem sie es
zerstören. „Fremdes Paradies“ (1953),
„Ausstellungsstück“
(1953) und „Die Kriecher“ (1953) sind weitere
Pointenstories zu
gängigen Themen in der SF und in Dicks Werk.
FOSTER, DU BIST TOT enthält
überwiegend längere Kurzgeschichten, so
„Kriegsveteran“ (1954),
in der die Erde einerseits und die Kolonisten auf Mars und Venus
andererseits vor einem Krieg stehen, als ein Kombattant aus der
Zukunft auftaucht, der auf der Seite der unterliegenden Erde
kämpfte.
Auch der Hintergrund von „Ein universales Talent“
(1954) ist die
Unabhängigkeitsbestrebung einer Kolonie von der Erde, diesmal
mit
der Hilfe von Mutanten. Ein weiteres Thema in der Story ist aber auch
die Neutralisation von PSI-Fähigkeiten, genau wie
(ausschließlich)
in „Fehleinstellung“ (1954). Eine weitere, konfuse
Mutanten-Story
ist „Psi-Mensch, heil mein Kind!“, die in einer
Post
doomsday-Welt spielt.
Die Titelgeschichte „Foster, du bist
tot“ (1953) ist auch hier die beste des Bandes, die
eindringliche
Schilderung der Situation eines Jungen, der ausgegrenzt wird, weil
sich sein Vater einen eigenen Bunker leisten nicht kann. Ein
kompletter Industriezweig lebt von der Angst, die von der Regierung
vor einem Atomkrieg geschürt wird.
Eine verunglückte, weil zu stark
überspitzte Darstellung eines totalitären Systems ist
„Zwischen
den Stühlen“ (1954). „Alles hat seinen
Preis“ (1954) stellt
eine weitere Version des Zerfalls und des Wiederaufbaus nach einer
(nuklearen?) Katastrophe vor. Dem „Verwirrspiel“
(195) ist die
Besatzung eines abgestürzten Raumschiffes ausgesetzt, nicht
wissend,
dass sie das „Verwirrspiel“ selbst schafft.
„Und Friede auf
Erde“ (1954) ist Horror mit einem katastrophalen, aber
grandiosen
Ende.
1954 schrieb Dick seine ersten (SF-)
Romane, HAUPTGEWINN: DIE ERDE und DIE SELTSAME WELT DES MR. JONES.
VOLUME FOUR: THE DAYS OF
PERKY PAT
(1954 - 1963)
Der erste Teil des vierten
Bandes,
AUTOFAB, beinhaltet eine Kurzgeschichte, die Grundlage eines
(weiteren) actionreichen Filmes wurde: „Der
Minderheiten-Bericht“
(1954). Dank dreier Präkog-Mutanten können (Schwer-)
Verbrechen
vorhergesehen und verhindert werden, was die Frage aufwirft, ob die
(verhinderten) Täter schuldig sind, im moralischen wie im
juristischen Sinn, die die Story aber nicht beantwortet. Der Leiter
der Präkog-Organisation, Anderton, gerät vielmehr in
eine heikle
Lage, als er als zukünftiger Mörder ausgewiesen wird.
Als Kenner
des Systems weiß er um die Existenz des
„Minderheiten-Berichtes“.
Auch
Anderton stellt das System nicht
in Frage, als es ihm gelingt, seine Unschuld zu beweisen, mit der
Hilfe von drei „Minderheiten-Berichten“. Einem
Unterschied zu der
Verfilmung übrigens, die der Story trotz einer Reihe von
hinzugefügten Handlungselementen im wesentlichen folgt.
„Autofab“ (1954) zeigt die fatalen
Folgen auf, die die Überlebenden eines Atomkrieges hinnehmen
müssen,
als sie der Versorgung durch automatische Fabriken
überdrüssig
werden. Die Bedrohung durch ein totalitäres System
thematisiert Dick
auch in „Kundendienst“ (1954), aber erheblich
origineller als in
„Zwischen den Stühlen“ (in FOSTER, DU BIST
TOT). Die
Manipulation der Gesellschaft durch die Medien in „Nach
Yancys
Vorbild“ (1954) lässt zwar dieselbe
Originalität vermissen, ist
jedoch realitätsnäher, auch wenn die Story auf
Callisto spielt.
„Liefermonopol“ (1954),
„Erinnerungsmechanismus“ (vor 1954),
„Entdecker sind wir“
(1958) und „Kriegsspiel“ (1958) sind Pointenstories
mit bekannten
Themen, aber mit zum Teil überraschenden Wendungen.
„Die
unverbesserliche M“ (1955) ähnelt dem
„Minderheiten-Bericht“:
Ein Unschuldiger wird aufgrund falscher Spuren verfolgt. Ansonsten
verblasst „Die unverbesserliche M“, der
Handlungsverlauf mutet
zudem etwas konfus an.
ZUR ZEIT DER PERKY PAT enthält die
ersten Kurzgeschichten Dicks aus den sechziger Jahren, die
zunächst
enttäuschen. „Wenn Benny Cemoli nicht
wär“ (1963) schildert ein
plumpes Täuschungsmanöver, mit dem sich die
Verantwortlichen für
einen katastrophalen Krieg auf der Erde dem Zugriff ihrer Verfolger
entziehen wollen.
„Komische Nummer“ (1963) und
„Was
die Toten sagen“ (1963) sind langwierige, verworrene Stories.
In
ersterer schafft es der Apartmenthausbewohner Ian Duncan trotz seiner
Handicaps bis zur Präsidentengattin Nicole Thibodeaux (einem
Medienprodukt inzwischen) vorzudringen, nur um festzustellen, dass er
manipuliert wurde. Der Wirtschaftsboss Louis Sarapis stirbt in
„Was
die Toten sagen“, wird eingefroren und soll aus dem
„Halbleben“
heraus sein Unternehmen noch einen gewissen Zeitraum leiten. Doch die
Kontaktaufnahme misslingt, stattdessen fängt man Sendungen
auf,
deren Ursprung außerhalb des Sonnensystems zu liegen scheint.
Es ist
Sarapis' Stimme. Doch der Plot offenbart nichts geheimnisvolles, Ziel
ist „nur“ die Manipulation der nächsten
Präsidentenwahl. Die
Idee des Halblebens sollte Dick in seinem Roman UBIK wiederverwenden.
„Zur Zeit der Perky Pat“ (1963) ist
eine post doomsday-Story, in der Bunkerbewohner die untergegangene
Welt mit Puppen und dem entsprechenden Zubehör wieder
auferstehen
lassen. In „Wasserspinne“ (1963) wird ein
Präkog der
Vergangenheit in die Gegenwart geholt, um ein Problem zu lösen
–
Poul Anderson ...“Orpheus mit Pferdefuß“
(1963) schildert eine
missglückte Zeitreise, die trotzdem gewisse Optionen
eröffnet. Das
sind die drei originellsten Stories in ZUR ZEIT DER PERKY PAT.
„Allzeit bereit“ (1963) wartet mit
einer interessanten Idee auf: Wie verhält sich ein
durchschnittlicher Mensch, der anstelle eines Computers die Macht
übernehmen muss? „Was machen wir bloß mit
Ragland Park“ (1963)
setzt die Story fort; ein Balladensänger mit einer
ungewöhnlichen
Fähigkeit greift in die gewöhnlichen
Auseinandersetzungen ein.
„Ach, als Blobbel hat man's schwer!“ (1963)
beleuchtet ein
konventionelles Thema der SF aus einer ungewohnten Perspektive, die
Tragik der Story wirkt aber übertrieben.
Von 1955 bis 1963 verfasste
Dick die
Romane DER HEIMLICHE REBELL (1955), UND DIE ERDE STEHT STILL (1955),
ZEIT AUS DEN FUGEN (1958) , SCHACHFIGUR IM ZEITSPIEL (1959), VULKANS
HAMMER (1960), DAS ORAKEL VOM BERGE (1961), MARSIANISCHER ZEITSTURZ
(1962), DIE LINCOLN-MASCHINE (1962), DAS GLOBUS-SPIEL (1963),
SIMULACRA (1963), NACH DER BOMBE (1963) und WARTE AUF DAS LETZTE JAHR
(1963). Die Häufung der Romane im Jahr 1963
überrascht, zumal Dick
zeitgleich nach etwa fünf Jahren wieder Kurzgeschichte schrieb.
VOLUME FIVE: THE LITTLE
BLACK BOX (1963
- 1981)
Der erste Teil des
fünften Bandes,
BLACK BOX, enthält zwei Kurzgeschichten, deren Motive bereits
in
Romanen auftauchten: Die posthum veröffentlichte
„Terranische
Odyssee“ (1965) enthält Szenen aus einer post
doomsday-Welt, die
auch in NACH DER BOMBE ihren Platz hätten finden
können, und „Sie
haben gestern einen Termin“ (1965) nimmt die Idee des
rückwärts
verlaufenden Zeitflusses aus DIE ZEIT: AUF GEGENKURS nochmals auf.
„Die kleine Black Box“ (1963) behandelt dagegen
einen Aspekt (den
„Mercerismus“), der erst in einem späteren
Roman, und zwar in
BLADE RUNNER auftauchen sollte. Immerhin sind die drei Stories
genauso überzeugend wie die Romane.
„Der
Krieg mit den Fnools“ (1964),
„Heiliger Eifer“ (1964) und „Einwand per
Einband“ (1965) sind
satirische Stories, die klassische Themen der SF karikieren –
außerirdische Invasoren, allwissende Computer und
Unsterblichkeit.
In „Rückspiel“ (1965) schießt
ein Flippergerät zurück, doch
diesmal gleitet Dick zu sehr ins Absurde ab.
In „Ein unbezahlbarer Artefakt“
(1966) und „Schuldkomplex“ (1963) deuten sich
weitere Themen der
Romane Dicks an, nämlich die Manipulation der
Realität, durch
Außenstehende und durch den Protagonisten selbst, allerdings
ohne
offensichtliche Parallelen wie in „Terranische
Odyssee“ und „Sie
hatten gestern einen Termin“. Das Opfer des
„Unglücksspiel“
(1963) sind Siedler auf dem Mars, die von interstellaren
Schaustellern ausgebeutet werden. BLACK BOX enthält
außerdem
„Erinnerungen en gros“ (1965), eine leicht
satirische
Pointenstory, die zur Ausgangssituation der Actionorgie TOTAL RECALL
wurde (was diese Verfilmung von den anderen unterscheidet).
Mit „Cadbury, der zu kurz gekommene
Biber“ (1971) und „Das Auge der Sibylle“
(1975) finden sich in
DER FALL RAUTAVAARA weitere zwei Kurzgeschichten, die in der Sammlung
posthum veröffentlicht wurden. Das überrascht nicht,
denn beide
Texte sind verwirrend. Cadbury ist in der Tat ein Biber, und auch
„zu
kurz gekommen“, was befriedigende Beziehungen zu Frauen
betrifft.
Dick stellt in der Story, vorsichtig formuliert, verschiedene
„Frauen-Typen“ vor. „Das Auge der
Sibylle“ schlägt einen
Bogen vom Römischen Reich bis zur Gegenwart, in der die
Tyrannei
(?!) enden soll. „Der Tag, an dem Herrn Computer die Tassen
aus dem
Schrank fielen“ (1977) wurde ebenfalls posthum
veröffentlicht, ist
jedoch verständlicher, satirisch und weist noch deutlichere
persönliche Züge des Autors auf.
„Glaube
unserer Väter“ (1966) ist
eine sehr dichte Story, die Realitätsveränderung
durch Drogen- bzw.
Medikamentenkonsum thematisiert und in einer totalitären
Gesellschaft spielt. In „Die elektrische Ameise“
(1968) bestimmt
ein schlichtes Lochband nicht nur die Realität des
Protagonisten.
Warum in „Ein kleines Trostpflaster für uns
Temponauten“ (1973)
eine Zeitschleife entsteht, die die Temponauten immer wieder eine
Woche vor dem Ende ihrer Mission und vor ihrem Todes
zurückkehren
lässt, wird nicht klar, aber das Ziel Dicks war es wohl eher,
die
psychologische Situation der Protagonisten darzustellen. „Die
Präpersonen“ (1973) ist provokante, aber
außergewöhnliche, weil
aus der Realität heraus konsequent entwickelte Story, in der
Abtreibungen noch bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres
möglich
sind.
„Merkwürdige Erinnerungen an den
Tod“ (1980) ist keine SF, sondern schildert eine Episode aus
Dicks
Leben. Zur SF sind dagegen wieder die übrigen Kurzgeschichte
zu
rechnen: „Der Ausgang führt hinein“ (1979)
hinterfragt blinde
Loyalität, allerdings auf der Grundlage einer durchschaubaren
Handlung. „Ich hoffe, ich komme bald an“ (1980)
stellt die KI
eines Raumschiffes vor ein Problem: Ein Passagier ist aus dem
Kälteschlaf erwacht, kann nicht zurückversetzt werden
und stellt
sich als psychotisch heraus.
„Atherfesseln, Luftgespinste“
(1979) ist die Schilderung der Beziehung der Ein-Personen-Besatzungen
zweier Kommunikationsstationen, natürlich zwischen einer Frau
und
einem Mann, die atmosphärisch dicht ist und sehr authentisch
wirkt.
In „Der Fall Rautavaara“ (1980) wird einer
sterbenden Frau das
theologischen Konzept einer nichtmenschlichen Rasse aufgepfropft.
„Eine außerirdische Intelligenz“
(vor 1980), eine simple Pointenstory, beendet DER FALL RAUTAVAARA und
damit die Dicksche Storysammlung.
Die Romanbibliografie Dicks
umfasst von
1964 bis zu seinem Tod die Bücher ZEHN JAHRE NACH DEM BLITZ
(1964),
DIE CLANS DES ALPHA MONDES (1964), DIE DREI STIGMATA DES PALMER
ELDRITCH (1964), DAS JAHR DER KRISEN (1964), DAS LABYRINTH DER RATTEN
(1964), DER UNTELEPORTIERTE MANN (1965), DIE ZEIT: AUF GEGENKURS
(1965), DIE INVASOREN VON GANYMED (1965), BLADE RUNNER (1966), DER
GALAKTISCHE TOPFHEILER (1968), UBIK (1969), IRRGARTEN DES TODES
(1968), DIE MEHRBEGABTEN (1969), EINE ANDERE WELT (1970), DER DUNKLE
SCHIRM (1973), DER GOTT DES ZORNS (1975), RADIO FREIES ALBEMUTH
(1976), VALIS (1978), DIE GÖTTLICHE INVASION (1980) und DIE
WIEDERGEBURT DES TIMOTHY ARCHER (1981).
Der
Fleiß von Dick als
Kurzgeschichtenautor erstaunt: Die Haffmans-Ausgabe umfasst immerhin
über 3.000 Seiten; etwa drei Viertel seiner Stories entstanden
in
den fünfziger Jahren. Diese Schaffensphase endet, als Dick
Romane
schreibt. Als Romanautor war seine Produktivität freilich auch
(mit
gewissen Pausen) ungebrochen.
Inhaltlich
orientierte sich Dick an
klassischen Themen der SF: Kriege und Kolonien im Weltraum (wobei ihm
überwiegend das heimische Sonnensystems und das Proxima
Centauri-System als Handlungsschauplätze genügten),
Roboter,
Mutanten, Zeitreisen u. a. m. Er begann jedoch schon früh, aus
den
Konventionen den Genres auszubrechen, jene klassischen Themen zu
variieren, sich ihnen auf anderen inhaltlichen Wegen zu nähern
und
unkonventionelle Plots zu entwickeln, die nicht selten satirisch
waren.
Mit den
zahlreichen post
doomsday-Stories und mit den Kurzgeschichten, in denen Dick seine
Protagonisten in totalitäre Systeme stellte, reflektiert er
seine
Eindrücke und Einschätzungen der seinerzeitigen
politischen
Situation in seiner Heimat und in der Welt. Er dokumentiert sein
großes Misstrauen gegenüber Staaten und Politikern.
In den zehn
Storybänden lässt sich
sehr schön die Entwicklung der Themen beobachten, die Dicks
Romanwerk bestimmen sollten: die Frage nach der Natur der
Realität,
der Gegensatz zwischen Mensch und Androiden, das Individuum in einer
bedrohlichen Gesellschaft, das Überleben nach einem Atomkrieg
–
das einzige Thema, das sich in einem vergleichbaren Umfang auch in
den Romanwerk Dicks wiederfindet, dort aber (ab Mitte der sechziger
Jahre) an Bedeutung verliert. Auch Dicks vermeintlicher oder
tatsächlicher Kontakt mit einem möglicherweise
göttlichen Wesen, der sich 1974 abgespielt haben soll,
spiegelt sich in den jüngeren
Kurzgeschichten wieder.
Nicht die
inhaltliche, sondern auch die
stilistische Entwicklung ist augenfällig. Benutzte Dick zu
Beginn
seiner schriftstellerischen Arbeit einfache Sätze, so weisen
seine
jüngeren Kurzgeschichten komplexere Satzkonstruktionen auf,
ohne
dadurch schwerer lesbarer und/oder weniger prägnant (mit
Ausnahmen)
zu werden.
Natürlich
weist eine solche
umfangreiche Sammlung auch Mankos auf. schwache, unmotivierte Stories
stehen neben Meisterwerken, Plots und Themen wiederholen sich, nicht
selten in unmittelbar aufeinander folgenden Kurzgeschichten. Deshalb
würde ich Lesern, zu deren Lieblingsautoren Dick nicht
gehört, zu
Auswahlbänden raten. Z. Z. ist mit DER UNMÖGLICHE
PLANET (Heyne TB
13656) eine umfangreiche Storysammlung erhältlich.
Wenn ich eine eigene Dick-Storysammlung
zusammenstellen dürfte, würde sie die Kurzgeschichten
„Roog“,
„Und jenseits – das Wobb“,
„Pfeifer im Wald“, „Zahltag“,
„Kolonie“, „Die Welt, die sie
wollte“, „Gewisse
Lebensformen“, „Menschlich ist ...“,
„Kleine Stadt“, „Ein
Geschenk für Pat“, „Der goldene
Mann“, „Tony und die Käfer“,
„Das Vater-Ding“, „Eine todsichere
Masche“,
„Fehleinstellung“, „Foster, du bist
tot“, „Alles hat seinen
Preis“, „Und Friede auf Erden“,
„Autofab“, „Kundendienst“,
„Zur Zeit der Perky Pat“,
„Wasserspinne“, „Orpheus mit
Pferdefuß“, „Sie haben gestern einen
Termin“, „Der Krieg mit
den Fnools“, „Heiliger Eifer“,
„Einwand per Einband“, „Die
Präpersonen“, „Atherfesseln,
Luftgespinste“ und „Der Fall
Rautavaara“ enthalten.
Ich nehme selbstverständlich nicht an,
dass ich für sie einen Verleger finden würde. Nicht,
dass das nötig
wäre ...
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