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Dan Simmons
WELTEN
UND ZEIT GENUG
„Worlds
Enough & Time: Five Tales of Speculative Fiction“, 2002,
deutsche Erstausgabe, aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski,
Festa SF 1801, 2004, 331 Seiten, 9,90 EUR.
Coverzeichnung: BabbaRammDass.
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WELTEN
UND ZEIT GENUG ist einer der ersten Bände der neuen SF-Taschenbuchreihe
aus dem Festa Verlag und nach STYX (Heyne TB 9779, 1995) und LOVEDEATH
(Blitz Verlag, 1999) die dritte Kurzgeschichtensammlung des US-amerikanischen
Autors Dan Simmons, der seine Ausnahmestellung im phantastischen Genre
längst mit seinen HYPERION/ENDYMION-Romanen (u. a. als Heyne SFTB
8005 & 8006, Goldmann Paperback 43351 und 43352), Einzelbänden
wie KINDER DER NACHT (u. a. als Heyne TB 9935) oder DAS LEERE GESICHT
(Heyne TB 9399) unter Beweis gestellt hat. WELTEN UND ZEIT GENUG enthält
genau wie LOVEDEATH fünf Stories.
In „Auf der Suche nach Kelly Dahl“ hat die gleichnamige Ex-Schülerin
des Protagonisten die Fähigkeit entwickelt, sich und ihn in der Zeit
zu versetzen. Bei ihrem ersten Kontakt macht Kelly ihrem ehemaligen Lehrer
deutlich, daß sie ihn töten will. Zwar erinnert „Auf
der Suche nach Kelly Dahl“ teilweise an die Scharfschützenduelle
in Simmons‘ Kriminalroman DAS SCHLANGENHAUPT (Goldmann TB 45105,
2002), weil sich der Protagonist der Story ähnlicher Taktiken und
Waffen bedient, doch ist sie völlig eigenständig, weil die Motivation
von Kelly Dahl eine ganz andere ist als die der Verbrecher in DAS SCHLANGENHAUPT.
Ihren Spannung bezieht „Auf der Suche nach Kelly Dahl“ natürlich
aus der gegenseitigen Bedrohungssituation und den mehrfachen Orts- und
Zeitwechseln.
Mit „Die verlorenen Kinder der Helix“ kehrt Simmons in sein
HYPERION/ENDYMION-Universum zurück. Handlungschronologisch ist die
Story nach dem letzten ENDYMION-Roman, ENDYMION: DIE AUFERSTEHUNG, angesiedelt.
Das Aussiedlerraumschiff HELIX unterbricht seinen Flug, weil es auf einen
Baumring gestoßen ist, von dem ein Notruf ausgeht. (Baumringe sind
in den HYPERION/ENDYMION-Romanen pflanzliche Habitate, die Sonnen umkreisen
und von mehr oder minder an den Weltraum angepaßten Menschen, den
Ousters, bewohnt werden.) In einem regelmäßigen Abstand von
mehreren Jahrzehnten wird der Baumring von einem automatisch gesteuerten
Raumschiff angeflogen, das zielsicher die am dichtesten bewohnten Regionen
des Ringes ansteuert, ausplündert und zerstört. Die Ousters
bitten die Besatzung der HELIX das Raumschiff zu zerstören.
Simmons erwähnt in der Einführung zu „Die verlorenen Kinder
der Helix“, daß die Story ursprünglich als Drehbuch einer
STAR TREK: YOYAGER-Folge konzipiert worden war. Das ist der Story deutlich
anzumerken: STAR TREK-typisch wird das fremde Raumschiff trotz seiner
zerstörerischen Ambitionen nicht einfach von der Besatzung des HELIX
eliminiert, sondern sie versucht, den Grund für die Aktivitäten
herauszufinden. Nichtsdestotrotz schlägt Simmons in „Die verlorenen
Kinder der Helix“ einen Bogen in den kosmologischen Überbau
seiner HYPERION/ENDYMION-Romane, und interessant ist es allemal zu erfahren,
wie sich Simmons die weitere Entwicklung seiner Future History nach dem
letzten ENDYMION-Roman vorstellt.
„Der neunte Av“ ist nicht nur der Titel der dritten Kurzgeschichte
in der vorliegenden Sammlung, sondern auch ein jüdischer Gedenktag
zur Erinnerung an die Zerstörung des ersten und zweiten Tempels in
Jerusalem. Etwa 9.000 „Altmenschen“ haben eine bakteriologische
Katastrophe überlebt, durchweg Juden. Sie leben zusammen mit den
„Nachmenschen“, deren Physiologie nicht erläutert wird,
und den schwebenden, eiförmigen Voynixe, deren Identität und
Funktion ebenso unklar bleibt, auf der Erde. Um die Erde wieder in den
Zustand vor der Katastrophe zu versetzen, sollen die Altmenschen für
etwa 10.000 Jahre weggefaxt, d.h. teleportiert werden. Angeblich soll
für sie in den Faxspeichern nur ein Augenblick vergehen – aber
genauso konnte das eine Methode zur endgültigen Vernichtung der Juden
sein.
Nach „Auf der Suche nach Kelly Dahl“ und „Die verlorenen
Kinder der Helix“, Kurzgeschichten mit Happy-Ends, wirkt „Der
neunte Av“ wie ein unerwarteter, heftiger Schlag auf den Leser.
Nicht nur einige Details bleiben diffus, sondern auch der Grund für
die erneute Judenverfolgung, offenbar setzt sich „nur“ die
Historie fort. Die Kurzgeschichte bietet genügend Anknüpfungspunkte
für eine Fortsetzung!
„Mit Kanakaredes auf dem K2“ ist wohl einmalig in der SF,
nämlich die Schilderung der Besteigung des zweithöchsten Berges
der Erde im Norden Pakistans durch drei Menschen und einem Mantispa, einem
raupenähnlichen Alien (die Mantispa leben seit einigen Jahren in
einer kleinen Kolonie am Südpol). Die Story ist eine sehr plastische
Darstellung der Mühen und Gefahren, die die Besteigung des K2 in
sich birgt, durchsetzt mit einem lakonischen Humor und mit einer Prise
eines kosmologischen Hintergrunds gegen Ende der Handlung.
„Das Ende der Schwerkraft“ ist der Entwurf zu einem Drehbuch.
Sollte es jemals umgesetzt werden, entstände ein ruhiger Film. Der
herzkranke Autor Norman Roth reist nach Moskau, um einen Artikel über
das russische Raumfahrtprogramm zu schreiben. Er besucht Baikonur, spricht
dort mit einem Veteranen der ersten Raketenstarts, bevor er auf einer
Party auf die heutigen Raumfahrer trifft. Das ist durchaus interessanter
als es klingt, zumal Simmons gegen Ende des Textes wieder ein Stück
seines persönlichen kosmologischen Konzeptes einfügt.
Zwar sind nicht alle Kurzgeschichten in WELTEN UND ZEIT GENUG klassische
SF, aber genau wie in seinem Romanen spiegelt sich in der vorliegenden
Sammlung die Vielfältigkeit und die erzählerische Meisterschaft
des Autors wider. Kenner von Simmons Romanen werden womöglich eine
gewisse Komplexität der Handlungen vermissen, aber Kurzgeschichten
bieten dafür naturgemäß weniger Raum, und eine interessante
Ergänzung des Romanwerks sind die Stories in WELTEN UND ZEIT GENUG
allemal. Weitere werden in dem Band LOVEDEATH zu entdecken sein, dessen
Neuauflage der Festa Verlag erfreulicherweise angekündigt hat.
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