Ursula K. LeGuin

RÜCKKEHR NACH ERDSEE

„The Other Wind“, 2003, deutsche Erstausgabe, aus dem Amerikanischen von Joachim Pente, Heyne TB 9229, 2001, 283 Seiten, 7,95 EUR.
Coverzeichnung: Don Seegmiller.

Eine RÜCKKEHR NACH ERDSEE findet im fünften Band des ERDSEE-Zyklus (bzw. Im sechsten, wenn die Storysammlung DAS VERMÄCHTNIS VON ERDSEE [Heyne TB 9153] mitgezählt wird) der US-amerikanischen Autorin Ursula K. LeGuin nicht statt. Der Begriff „Rückkehr“ impliziert ja, daß die Erdsee vorher verlassen wurde – allerdings nicht von den Protagonisten, sondern allenfalls von den Lesern und der Autorin... Aber die wählte einen gänzlich anderen – und treffenderen – Titel.
Wohl nur der deutsche Verlag wollte die potentiellen Leser überdeutlich darauf hinweisen, daß nun der fünfte ERDSEE-Roman vorliegt. Als ob es ein simpler Untertitel nicht auch getan hätte...!
Für einen weiteren ERDSEE-Roman boten sich der Autorin mehrere Möglichkeiten an: zum einen, den Band handlungschronologisch vor den bisherigen Romanen anzusiedeln (wie sie es mit dem Großteil der Kurzgeschichten in DAS VERMÄCHTNIS VON ERDSEE getan hat), zum anderen, ihn an die bisherigen anzuschließen. LeGuin entschied sich für letzteres (ohne dadurch natürlich auf die andere Option zu verzichten), und so überrascht es nicht, daß in RÜCKKEHR NACH ERDSEE die bekannten Protagonisten auftauchen: der ehemalige Erzmagier Ged, seine Frau Tenor und seine Pflegetochter Tehanu, der König Lebannen, der Drache Orm Irian u. a.
Die einzige Ausnahme stellt Erle dar, ein Zauberer mit einem bescheidenen Talent, das sich zum Ende des Roman allerdings und natürlich nicht unerwartet als entscheidend herausstellen soll.
Erle wird von einem (Alp-) Traum heimgesucht: Die Toten rufen ihn an die Mauer des trockenen Landes – und beginnen sie abzutragen, also die Grenze zwischen den Lebenden und Toten zu zerstören. Von Furcht getrieben begibt sich Erle auf eine Odyssee, die ihn von Gont, dem Exil Geds, über Havnor, den Hof König Lebannens, bis nach Rock, der Insel der Zauberer, führt. Hier lüften sich die letzten Geheimnisse der Beziehungen zwischen den Menschen und den Drachen, zu denen auch das des trockenen Landes gehört.
Es ist eine friedfertige Lösung, die sowohl die lebenden und die toten Menschen als auch die Drachen zufriedenstellt – womöglich der Ausdruck des Harmoniebedürfnisses einer alternden Autorin?! LeGuin ist immerhin 74 Jahre alt, so daß auch die Thematisierung des Lebens nach dem Tod Ausdruck ihrer Lebenssituation sein mag.
Trotzdem ist der Autorin gelungen, mit RÜCKKEHR NACH ERDSEE ihrem Fantasy-Zyklus einen gelungenen und plausiblen Abschluß zu geben (worin beispielsweise Marion Zimmer Bradley in ihrer DARKOVER-Serie versagte). Der Roman bietet eine Reihe von Informationen, die vor allem die Konflikte und Beziehungen zwischen den Drachen und den Menschen aus den vorherigen Romanen und Kurzgeschichten abschließend erklären. Der Handlungsablauf folgt zwar gängigen Mustern, der Roman wird aber wegen der Themenwahl nicht uninteressant. Auch ist RÜCKKEHR NACH ERDSEE in der bildreichen, stimmungsvollen Sprache verfaßt, die für LeGuin typisch ist.
Daß das Potential der Erdsee dennoch nicht ausgeschöpft ist, hat die Autorin bereits mit DAS VERMÄCHTNIS VON ERDSEE bewiesen. Es ist zu hoffen, daß sie noch mehrmals auf diese Art und Weise zur Erdsee zurückkehrt, auch wenn die letzten Geheimnisse der Erdsee in RÜCKKEHR NACH ERDSEE bereits offenbart wurden.

 

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