|
Armin Rößler & Heidrun Jänchen (Hrsg.)
MOLEKULARMUSIK
Originalausgabe,
Wurdack Verlag, ISBN 978-3-938065-47-1, 2009, 225 Seiten, 11,95
EUR.
Coverzeichnung: Ernst Wurdack.
|
Mit
verlässlicher Regelmäßigkeit legt der Wurdack Verlag seine
SF-Anthologien vor. MOLEKUARMUSIK ist nach DEUS EX MACHINA, WALFRED GORENG;
ÜBERSCHUSS, GOLEM & GOETHE, TABULA RASA und S.F.X. der siebte
Band und enthält neunzehn Kurzgeschichten.
Ein großer Teil der Stories wird von Tragik, Sozial- und Gesellschaftskritik
beherrscht. Bereits die Titelgeschichte von V. Groß ist ein Beispiel
dafür. Einem Musiker ist es möglich, mit seiner Kunst Materie
zu erschaffen, auch Lebewesen. Der zweite Protagonist meint, in einem
dieser Wesen die Liebe seines Lebens zu erblicken, tötet den Musiker,
gelangt dennoch nicht an sein Ziel. In „Diskrimierung“ wird
ein Blinder gezwungen, seine Behinderung behandeln zu lassen. „Wie
ein Fisch im Wasser“ von Heidrun Jänchen verhält sich
die Mutter der Protagonistin, da erstere aus materiellen Gründen
gezwungen war, sich an das Leben unter Wasser anpassen zu lassen.
„Knapp“ von Antje Ibbensen sind Supermarktimpressionen aus
einer Zukunft, in der Überfluss der Vergangenheit angehört und
die Protagonistin keine Perspektive zu haben scheint. Karina Cajo schildert
in „Der Klang der Stille“ die Diskriminierung von Kindern,
die Menschen mit Außerirdischen zeugten – und denen nichts
Besseres einfällt, als gegen ihre Unterdrücker zu Felde zu ziehen.
Die Kirche, die Kai Riedemann in „Lasset die Kinder zu mir kommen“
schildert, wehrt sich physisch gegen ihre Entweihung. In „Machina“
von Frank Hebben hat sich der jugendliche Protagonist in eine virtuelle
Welt zurückgezogen. Als seine Schwester, die ihn versorgte, einen
Unfall erleidet, stirbt er.
Technologien, die außer Kontrolle geraten, sind ein Thema weiterer
Kurzgeschichten in MOLEKULARMUSIK. Der Protagonist in „Klick, klack,
Kaleidoskop“ von Niklas Peinecke hat sich Gehirnimplantate einsetzen
lassen, die für einen regelmäßigen Wechsel seiner Persönlichkeit
sorgen. Die „Ebene Terminius“ von Arno Endler ist ebenfalls
eine virtuelle Welt, in der jugendliche Straftäter rehabilitiert
werden sollen. Doch von „Ebene Terminus“ gibt es kein Entkommen.
In „Eiskalt“ von Christian Weis metzelt die KI eines Waffensystems
Soldaten und Mitglieder einer Forschungsstation auf Grönland nieder,
während in „Rückkehr ins Meer“ von Bernd Wichmann
ein biologisches Experiment außer Kontrolle gerät und diverse
Meeresbewohner gegen die Menschen rebellieren.
Bernhard Schneider versucht sich in „Schuldfrage“ an einer
humoristischen Variante des Themas. Sind Implantate, die das Bewusstsein
eines Menschen übernehmen und dabei Verbrechen begehen, dafür
zu verurteilen oder ihr Träger?! Gleichzeitig scheint sich „Schuldfrage“
an Handlungsmustern von Gerichtsserien, -shows und -satiren anzulehnen,
was die Story überfrachtet.
Abgesehen davon, dass sich diese Kurzgeschichten in konventionellen inhaltlichen
Bahnen bewegen, fehlt ihnen auch die erzählerische Leichtigkeit,
teilweise in Kombination mit außergewöhnlichen Ideen, die die
besten Stories in MOLEKULARMUSIK auszeichnet. Der Regisseur in „Vactor
Nemesis“ von Uwe Post hat ein großes Problem: Seine Schauspieler
streiken, obwohl sie „nur“ virtuell sind. „Roboter vergessen
nie“ von Uwe Hermann und „Den Letzten frisst der Schredder“
von Arnold H. Bucher sind humoristische, pointierte Robotergeschichten.
Andrea Tillmanns „Der blinde Passagier“ und „Die Fänger“
von Armin Rößler haben gemein, dass die Protagonisten eine
Suche erfolgreich beenden wollen. Während Andrea Tillmanns sich auf
einen Vorfall während eines Raumschifffluges beschränkt, spannt
Armin Rößler einen deutlich größeren und romantischeren
Handlungsbogen.
„Wie man sich ändern kann“ von Benedict Marco ist eine
stilistisch verschachtelte und verspielte, inhaltlich verwirrende und
sprunghafte Story. Der Protagonist ist wohl auf der Suche nach jenem Mann,
der seine Geliebte auf dem Gewissen hat, und wird mit technischen Tricks
manipuliert. „Das Klassentreffen der Weserwinzer“ von Ernst-Eberhard
Manski ist eine Alternativweltgeschichte: Ostwestfalen steht kurz vor
dem Beitritt zum Deutschen Bund und damit auch zur EU. Der Zweite Weltkrieg
wurde 1943 beendet und der politische Flickenteppich von 1815 wieder hergestellt.
Der gemütliche Provinzialismus in Ostwestfalen hat durchaus seinen
Charme, auch wenn die Vorstellung, die Nazis hätten sich 1943 abwählen
lassen, naiv ist.
Leider vermögen in MOLEKULARMUSIK nur ein halbes Dutzend Kurzgeschichten
zu beeindrucken. Für dieses Problem bietet sich freilich eine Lösung
an, nämlich eine Verlängerung des Erscheinungsrhythmusses, möglicherweise
verbunden mit einer Reduzierung des Umfanges, die es dem Herausgeber ermöglichen
würde, aus dem Angebot seiner Autorinnen und Autoren nur die Perlen
auszuwählen.
|