|
"Inheritor",
1996, deutsche Erstausgabe, Übersetzung aus dem Amerikanischen
von Michael Windgassen, Heyne SFTB 5653, 524 Seiten, 1999, 19,90
DM.
Coverzeichnung: Dorian Vallejo.
|
ERBE
ist der dritte Roman des ATEVI-Zyklusses. In den ersten Romanen, FREMDLING
(Heyne SFTB 5651) und EROBERER (Heyne SFTB 5652), ließ die Autorin
ihren Protagonisten Bren Cameron bereits im Spannungsfeld zwischen den
Atevi und den Menschen agieren.
Die menschlichen Kolonisten auf der Heimatwelt der Atevi sind die Nachfahren
eines Teils der Besatzung der PHÖNIX, eines fehlgeleiteten Raumschiffs.
Nach der Landung der Kolonisten kam es zu einem Krieg zwischen den Menschen
und den Atevi, den letztere für sich entschieden. Die Menschen erhielten
die Insel Mospheira zugesprochen und mußten sich verpflichten, die
Atevi, die den Kolonisten physisch überlegen sind und in einer feudalistischen
Gesellschaft leben, schrittweise mit ihrer überlegenen Technologie
vertraut zu machen.
Die Romane des Zyklusses sind etwa zwei Jahrhundert nach der Landung der
Kolonisten angesiedelt. In FREMDLING geriet Bren Cameron als Botschafter
Mospheiras in Machtkämpfe zwischen diversen Atevi-Gruppen, in EROBERER
tauchte die PHÖNIX wieder auf und schuf eine Konkurrenzsituation
zwischen den Menschen und den Atevi um die Kontaktaufnahme und den Informationsaustausch
mit dem Raumschiff, was den Roman interessanter als den ersten Band des
Zyklusses machte.
In ERBE beginnt ein technologischer Wettlauf zwischen den Atevi und Mospheira
um den Bau des ersten Shuttles. Ziel ist die Inbetriebnahme der verlassenen
Raumstation im Orbit den Planeten und die Unterstützung der PHÖNIX
im Austausch gegen Technologie und Wissen. Zudem setzte die PHÖNIX
(am Ende von EROBERER) ihrerseits Botschafter bei den Menschen und den
Atevi ab.
Auch in ERBE wird das Geschehen aus der Sicht Bren Camerons geschildert,
der erneut, aber diesmal gemeinsam mit dem Abgesandten der PHÖNIX
in die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Atevi-Fraktionen gerät,
in denen auch Einflüsse Mospheiras spürbar sind, das den Wettlauf
zur Raumstation zu verlieren droht. Die Intrigen und Kämpfe bleiben
auch diesmal teilweise undurchsichtig, was im übrigen auch in anderen
Romanen der Autorin auffällt. Erfreulicherweise übernimmt der
Abgesandte der PHÖNIX trotz seiner Unerfahrenheit und Einsamkeit
nicht die Stelle von Bren Cameron als von Selbstzweifeln übermäßig
geplagter Botschafter in einer ihm fremden Kultur (was vor allem in FREMDLING
die Geduld des Lesers beanspruchte). Rührselig wirkt lediglich das
Ende des Romans, in dem die Familie Camerons und sein Ex-Chef auf den
Kontinent der Atevi übersiedeln.
Die Autorin versucht auch in ERBE, die Unterschiede zwischen den Menschen
und den Atevi herauszuarbeiten, wenn auch erfreulicherweise nicht in demselben
Ausmaß wie in den ersten zwei Romanen des Zyklusses. Der wichtigste
Unterschied zwischen den zwei Spezies scheint lediglich das Konzept des
Man'chi zu sein, ein- oder gegenseitige Verpflichtungen, die die Häuser
der Atevi untereinander eingehen; Freundschaft ist den Atevi dagegen fremd.
Damit ist das Sozialverhalten der Atevi allenfalls einfacher strukturiert
als das der Menschen, andersartig ist es nicht. Die Konflikte in der Gesellschaft
der Atevi spielen sich vielmehr zwischen Konservatismus und Pragmatismus
ab.
Die Frage, warum die PHÖNIX zurückkehrte und auf die Reaktivierung
der Raumstation drängt, wird erst gegen Ende des Romans aufgegriffen
und mit einem Uralthandlungsmuster beantwortet: Die PHÖNIX ist im
All auf offenbar feindlich gesinnte Aliens gestoßen, gegen die sie
sich wappnen muß. Das übrige Werk der Autorin läßt
immerhin darauf hoffen, nein, läßt annehmen, daß sich
dieser Handlungsstrang als wesentlicher differenzierter herausstellen
wird. (Sofern er in dem vierten Band des ATEVI-Zyklusses, PRECUSOR –
bislang ist weder der deutsche Titel noch der Erscheinungstermin der deutschen
Übersetzung bekannt –, fortgesetzt werden sollte.)
Einige Unplausibilitäten umgeht der Roman auf einfache Art und Weise:
Bei der Landung verfügten die Kolonisten nicht über den vollständigen
Technologie- und Wissensfundus der PHÖNIX, ein Teil ging zudem im
Krieg mit den Atevi verloren. Warum die PHÖNIX selbst keine Shuttles
einsetzen kann, wird dagegen nicht klar; vielleicht sind sie bei der Landung
der Kolonisten zu Bruch gegangen...
Hob sich EROBERER durch die Einführung weiterer Handlungselemente
zugunsten der Nabelschau des Protagonisten bereits positiv von FREMDLING
ab, so gilt dies auch im Vergleich zwischen FREMDLING und ERBE. Außerdem
ist C. J. Cherryh eine routinierte Autorin, die zu erzählen weiß
und damit immerhin einige Mängel von ERBE zu kompensieren vermag.
|