Andreas Eschbach

EINE BILLION DOLLAR

Nachdruck, 2001, Bastei/Lübbe TB 14050, 2003, 887 Seiten, 9,90 EUR.
Coverzeichnung: Jorg Heykal.

Der bislang umfangreichste Roman Andreas Eschbachs liegt nun auch in der preisgünstigen Taschenbuchausgabe vor. Nach den Informationen des Nachwortes hat der Autor vor der Veröffentlichung sogar noch noch einhundert Seiten gestrichen...! War das DAS JESUS VIDEO (u. a. als Bastei/Lübbe TB 14294) wegen der Idee, die dem Roman zugrundeliegt, noch relativ eindeutig der Science Fiction zuzurechnen (Zeitreise), ist dies bei EINE BILLION DOLLAR schwieriger. Der Roman spielt in der jüngsten Vergangenheit, auch auf der Erde, die aber geringfügig verändert ist, ein Parallelweltroman also... Der Plot hat allerdings, nun, arithmetischen Charakter.
John Fontanelli, Sohn italienischer Einwanderer, Ex-Collegestudent und Pizza-Auslieferungsfahrer, erhält in New York Besuch von vier italienischen Anwälten, die ihn über sein Erbe unterrichten. Dies sind die besten Szenen des Romans: John erbt nicht etwa nur 80.000, auch nicht vier Millionen oder gar zwei Milliarden, sondern eine ganze Billion Dollar (nach deutscher Rechnung...), die sich über fünf Jahrhunderte durch Zins und Zinseszins aufsummierten. Er ist derjenige, der am Stichtag die Voraussetzungen erfüllt, die sein Vorfahr 1495 festlegte. Aus Johns Erbschaft ergibt sich zwangsläufig die größte und einzige Frage des Roman: Zu welchen Zwecken setzt ein Individuum eine solche Summe ein?!
Nun, zunächst um sich in der Welt der Reichen und der Superreichen (letztere definiert John natürlich neu) einzurichten. Anzüge, eine Villa und eine Jacht müssen beschafft und Umgangsformen eingeübt werden, was etwa ein knappes Drittel des Romans in Anspruch nimmt. Dann erst erinnert sich John an die Prophezeiung, mit der sein Vorjahr das Testament versah, nämlich daß das Vermögen dazu bestimmt sei, „den Menschen die verloren gegangene Zukunft wiederzugeben“ (Seite 293). Da er selbst keine Konzepte zu entwickelt vermag, nimmt er das Angebot des Finanzhais Malcolm McCaine zur Zusammenarbeit an.
McCaine ist überzeugt davon, daß die Zivilisation in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts in Folge Rohstoffmangels zusammenbrechen wird, wozu auch der Anstieg der Bevölkerungszahl und die Zunahme der Umweltverschmutzung beitragen werden. John Fontanelli läßt sich von Möglichkeiten überzeugen, die sein Vermögen bietet, gründet die FONTANELLI ENTERPRISES, macht McCaine zu ihrem Geschäftsführer, der mit einem beispiellosen Einkaufszug durch die internationale Konzernlandschaft beginnt. Sollte der Kapitalismus tatsächlich die Probleme der Welt lösen können...?!
Nein, sagt sich John Fontanelli, unter dem Eindruck seiner Reise in die Dritte Welt und einer Entführung stehend, bricht mit McCaine und entwickelt nunmehr ein eigenes Konzept: die Wahl einer Weltregierung, zunächst nur die eines Weltpräsidenten, um den Einfluß der internationalen Konzerne, für die nationale Regierungen zum Spielball geworden sind, Paroli bieten zu können. Besonders überzeugt von diesem naiven Plan war wohl selbst Eschbach nicht: Kurz vor dem Ende des Romans versucht er noch, das Erbe und die Rolle John Fontanellis als Ergebnis einer Verschwörung darzustellen. (Völlig überraschend ist das immerhin nicht, da der Protagonist dieser Szene bereits im ersten Drittel des Romans kurze Auftritte hatte.)
EINE BILLION DOLLAR ähnelt dem JESUS VIDEO stark, aber nicht nur, was den Umfang angeht: Beiden Romanen liegen reizvolle, außergewöhnliche Ideen zugrunde, auf denen Eschbach keine weiteren interessanten Handlungen aufbaut. EINE BILLION DOLLAR hat einen starken Beginn, kippt danach in Belanglosigkeiten ab, spinnt ein kapitalistisches Märchen und endet in einer politischen Standard-Utopie, die (in dem Roman) möglicherweise nicht mehr als eine Theaterposse ist. EINE BILLION DOLLAR und DAS JESUS VIDEO kontrastieren stark gegenüber Eschbachs ausgezeichneten SF-Romanen DIE HAARTEPPICHKNÜPFER (Heyne SFTB 5927) und QUEST (Heyne SFTB 8300), denen ebenfalls interessante Plots zugrunde liegen, in denen der Autor aber auch darüber hinaus regelrechte Ideenfeuerwerke abbrennt.
Unter dem Eindruck von EINE BILLION DOLLAR (und dem von DAS JESUS VIDEO) kann SF-Lesern von der Lektüre von Romanen, die Eschbach offensichtlich und legitimerweise für einen größeren Leserkreis (als von SF-Romanen) konzeptioniert und geschrieben hat, nur abgeraten werden. Möglicherweise wäre EINE BILLION DOLLAR weniger unbefriedigend, wenn sich Eschbach für eine kompaktere Darstellung entschieden hätte, aber auch das hätte nicht jedes inhaltliche Manko beseitigt.

 

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