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Jonathan Barnes
DAS
ALPTRAUMREICH DES EDWARD MOON
„The
Somnambulist“, Übersetzung aus dem Englischen von Biggy
Winter, deutsche Erstausgabe, Piper, ISBN 978-3-492-70157-0, 2008,
400 Seiten, 19,90 EUR.
Coverzeichnung: Christophe Madura.
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DAS
ALPTRAUMREICH DES EDWARD MOON ist das Debüt des englischen Autors
Jonathan Barnes. Der Roman spielt in London kurz nach dem Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts. Edward Moon ist ein an Popularität verlierender Zauberkünstler
und ein erfahrener Hobbydetektiv. Er wird von Scotland Yard zur Hilfe
bei der Aufklärung von einem Mord an einem drittklassigen Schauspieler
hinzugezogen, dem bald ein zweiter folgt. Moon gelingt es, den Täter
aufzuspüren, der sich vor seiner Festnahme tötet. Es wird Moon
klar, dass sich hinter den Morden ein größerer Plan verbergen
muss.
Was zunächst wie ein Krimi im (Nach-) Viktorianischen Zeitalter Englands
anmutet weist schnell phantastische und auch morbide Handlungselemente
auf. Da ist zunächst der Partner Moons, der Schlafwandler (der wohl
der Originalausgabe des Romans den Titel gab), ein hochgewachsener, stummer
und unverwundbarer Mann. Oder der Mörder, den Moon auf einem Jahrmarkt
stellt, einen Fliegenmenschen. Im Laufe der Handlung wird Barnes auch
noch das Frankenstein-Motiv verwenden. Thomas Cribb gar könnte einem
Roman von Philip K. Dick entlehnt sein, da er sich in der Zeit rückwärts
bewegt. Dagegen erscheint es geradezu harmlos, dass Moon die Dienste von
bärtigen Prostituierten in Anspruch nimmt und ein Mitglied des (geheimen)
Direktoriums einem Versehrtenclub angehört.
Es überrascht nicht, dass London von einer Verschwörung bedroht
wird. Wohl aber, dass sie auf einer Utopie des englischen Dichters Coleridge,
eines Vertreters der Romantik, beruht – einer missbrauchten natürlich.
DAS ALPTRAUMREICH DES EDWARD MOON bleibt düster: Gingen die Protagonisten
bereits vor dem Endkampf nicht besonders freundlich miteinander um, so
fordert letzterer mehrere hundert Tote.
Dabei strapaziert der Autor mehr als bei den übrigen phantastischen
Elementen die „willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit des
Lesers“. Dies ist eine Theorie Coleridges, die heute mehr Bedeutung
als zu seinen Lebzeiten hat, da sie die Bereitschaft des Lesers bezeichnet,
u. a. phantastische Sujets zu akzeptieren. In diesem Fall sind es zwei
gedrungene Mörder, die nach der Ausführung ihres ursprünglichen
Auftrages die Kontrahenten niedermetzeln. Das passt zwar noch in den Handlungsrahmen
hinein, aber es wäre nicht nötig gewesen, ihnen die Fähigkeit
zu geben, sich nach Belieben durch Zeit und Raum zu bewegen.
DAS ALPTRAUMREICH DES EDWARD MOON ist eine gelungene Hommage. Zunächst
natürlich an das Viktorianische Zeitalter, vor allem aber an die
Romantik, die sich der Realität nicht verpflichtet sah. Damit löst
DAS ALPTRAUMREICH DES EDWARD MOON die vermeintlichen Widersprüche
zwischen Realität und Phantastik auf und wird zu mehr als zu einem
bloßen Kriminalroman. Wer sich auf das Konzept des Romans einzulassen
vermag, wird mit einer reizvollen Lektüre belohnt werden.
Die deutsche Titelgebung verwirrt natürlich. Denn es ist natürlich
nicht DAS ALPTRAUMREICH DES EDWARD MOON, das über London kommen soll,
sondern das seines Widersachers. Der Originaltitel gibt aber auch Rätsel
auf: Ist der Begleiter Moons gemeint, dessen Wesen nicht enthüllt
wird?! Dagegen spricht, dass der Schlafwandler nicht die Hauptfigur des
Romans ist. Oder der (in dem Roman) schlafende Coleridge selbst?! Oder
ist „The Somnambulist“ ein Hinweis auf ein Motiv der Romantik
...?!
DAS ALPTRAUMREICH DES EDWARD MOON wird im Sommer 2009 als preisgünstigere
Taschenbuchausgabe erscheinen (Piper TB 6693).
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