Iain Banks

BLICKE WINDWÄRTS

„Look To Windward“, 2003, deutsche Erstausgabe, aus dem Englischen von Irene Bonhorst, Heyne TB 6443, 2003, 524 Seiten, 8,95 EUR.
C overzeichnung: Chris Moore.

BLICKE WINDWÄRTS ist nach sieben Jahren der erste neue Roman aus dem KULTUR-Zyklus des britischen Autors. Im vergangenen Jahr erschien zwar der Band EXZESSION (Heyne TB 6392), bei dem sich aber um den Nachdruck (mit einem werkgetreuen Titel) des Hardcovers DIE SPUR DER TOTEN SONNE von 1996 handelt. Der Heyne Verlag zählt zwar auch INVERSIONEN (Heyne TB 6346) von 1998 zum KULTUR-Zyklus, doch besteht in diesem Roman allenfalls ein loser Zusammenhang zur Kultur.
Die Kultur ist die Gemeinschaft aus Menschen und KIs, die einen Teil der Galaxis bevölkern und technologisch soweit fortgeschritten sind, daß ihre Mitglieder nur ihrer Selbstverwirklichung nachgehen können. Die Zahl der Menschen in der Kultur wird in keinem KULTUR-Roman auch nur geschätzt, allein auf dem Masaq‘-Orbital, auf dem BLICKE WINDWÄRTS größtenteils spielt, leben 50 Milliarden Menschen. Die KIs leben als Drohnen zwischen den Menschen oder arbeiten als Gehirne von Raumschiffen oder Orbitals.
BEDENKE PHLEBAS (Heyne TB 4609 und 8218), der einige Episoden aus dem Krieg zwischen der Kultur und den Idiranern schildert, ist der erste KULTUR-Roman. Seit seinem Erscheinen gilt Banks als Erneuerer der Space Opera, der ihre Sujets konsequent weiterentwickelte, faszinierende, trotz ihrer mitunter großen Dimensionen plausible Plots anbot, souverän zu erzählen verstand und sich als hervorragender Stilist herausstellte. Mit jedem seiner weiteren SF-Romane wußte er diesen Ruf zu festigen.
Der Krieg zwischen der Kultur und den Idiranern ist in BLICKE WINDWÄRTS Geschichte. Trotzdem ist die Galaxis nicht frei von kriegerischen Konflikten, auch nicht von solchen, an denen die Kultur mehr oder minder direkt beteiligt war. So haben die Chelgrianer einen Bürgerkrieg hinter sich, der durch den ungeschickten Eingriff der Kultur in die ihre Politik ausgelöst wurde. Für die Kultur ist es ein Teil ihrer Wiedergutmachung, den chelgrianischen Gesandten Quilan mit offenen Armen auf dem Masaq‘-Orbital zu empfangen. Quilans Mission besteht vordergründig darin, den chelgrianischen Dissidenten Ziller, der auf dem Orbital lebt, zur Rückkehr in seine Heimat zu bewegen.
Quilans wahres Ziel offenbart sich erst nach etwa zwei Drittel des Romans. (Der Klappentext nimmt es ungeschickterweise vorweg.) Zuvor war durch die Rückblenden, die die Ausbildung Quilans schildern, bereits klargeworden, daß es nicht seine Aufgabe war, Ziller zur Rückkehr nach Chel zu bewegen oder ihn zu töten. Der Plot ist durchaus überzeugend, allerdings werden zumindest die Leser der bisherigen KULTUR-Romane nicht ernsthaft erwarten haben, daß der Anschlag auf das Masaq‘-Orbital angesichts der in den bisherigen KULTUR-Romane demonstrierten technologischen Überlegenheit der Kultur gelingen würde. So brillant die Handlung auch konstruiert und dargeboten wird, so ideenreich und stilistisch herausragend der Roman auch ist, auf diese Art und Weise geht ein großer Teil des Reizes des Plots verloren.
Auch die Zwiespältigkeit der Eingriffe der Kultur in andere Zivilisationen ist kein neuer Baustein im KULTUR-Universum, sondern wurde bereits in dem Roman DAS SPIEL DAS AZAD (Heyne TB 4693) thematisiert, auch wenn die Kultur in dem Band andere Methoden anwendet.
BLICKE WINDWÄRTS bietet also nichts Neues aus der Kultur; isoliert betrachtet ist der Roman freilich ein Meisterwerk mit nur wenigen, eher unbedeutsamen Mankos (lediglich einige alberne Dialoge sind ebenso wie einzelne zu umfangreiche deskriptive Passagen überflüssig, während der Fauxpas des Werbetexters dem Roman fairerweise nicht angelastet werden kann), ansonsten eine spannende, moderne Space Opera mit einem vielfältigen Ideengerüst, die zum Einstieg in das KULTUR-Universum sehr geeignet ist.
Es scheint, daß Banks in BLICKE WINDWÄRTS selbst erkannt hat, daß sein KULTUR-Konzept ausgereizt ist. So läßt er einen seiner Protagonisten aus der Zukunft einen Blick auf die Überreste der Kultur werfen... Und mit den Hintermännern des Anschlags auf das Masaq‘-Orbital, die nicht ermittelt werden können, deren Motive die Kultur allerdings ahnt, hat er sich Stoff für weitere KULTUR-Romane geschaffen.

 

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