Sergej Lukianenko

WÄCHTER DER NACHT

„Nochnoi dozor“, 1998, deutsche Erstausgabe, aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann, Heyne TB 53080, 2005, 524 Seiten, 13,00 EUR.
Coverzeichnung: Dirk Schulz.

WÄCHTER DER NACHT ist der erste Band der derzeit drei-, bald vierbändigen WÄCHTER-Reihe des russischen Autors Sergej Lukianenko (dem Buch folgten WÄCHTER DES TAGES [Heyne TB 53200] und WÄCHTER DES ZWIELICHTS [Heyne TB 53198], angekündigt ist WÄCHTER DER EWIGKEIT [Heyne TB 52225], April 2007). Die Verfilmung des Romans – genauer: eines Teiles davon – lief im Herbst 2005 in unseren Kinos. Der Film weckte trotz einer gewissen Konfusion im letzten Drittel, aber u. a. wegen des unerwarteten Endes mein Interesse an dem Roman. Die Erfahrung eines langjährigen Lesers gebot mir freilich, zunächst nur den ersten Band des Zyklusses zu kaufen. Mit SPEKTRUM (Heyne TB 52233) ist übrigens ein SF-Romans Lukianenkos angekündigt.
Das Konzept, das WÄCHTER DER NACHT zugrunde liegt, ist nicht neu, auch wenn es selten benutzt wird. Seit Urzeiten leben neben den gewöhnlichen Menschen auch magisch begabte, „Andere“ genannt. Und selbstverständlich herrscht zwischen ihnen ein ständiger Kampf, zwischen gut und böse, zwischen dem Licht und dem Dunkel. Um diesen Kampf zu beenden und ein Gleichgewicht der Kräfte zu schaffen, schlossen sie den „Vertrag“, der den „Anderen“ bestimmte Aktivitäten gestattet oder untersagt. Damit das auch funktioniert, überwachen sich die Lichten und die Dunkeln gegenseitig.
WÄCHTER DER NACHT enthält drei Episoden, die von einem Handlungsboden überspannt werden. Erzählt werden die Geschichten aus der Sicht Anton Gorodezkis, einem lichten „Anderen“ und Mitarbeiter der Moskauer Nachtwache. In „Das eigene Schicksal“ – der längsten Episode des Bandes und die, die verfilmt wurde – absolviert er seinen ersten Einsatz als Fahnder auf den Straßen Moskaus. Er rettet einen magisch begabten Jugendlichen aus dem Zugriff einer Vampirin und trifft auf die Ärztin Swetlana Nasarowa, über der sich eine magische Katastrophe zusammenbraut (die sich für die normalen Menschen in dem Ausbruch von Naturgewalten, einem Krieg oder in einer atomaren Verseuchung manifestieren kann). Auf dem Dach eines Hochhauses kommt es zur Konfrontation mit den Dunklen.
In der zweiten Geschichte, „Der Magische Kreis“, macht ein bislang unbekannter lichter Magier Jagd auf Dunkle und tötet sie. Anton gerät in Verdacht, der Mörder zu sein, und hat nur eine Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen, indem er nämlich den Täter stellt. Die Moskauer Nachtwache macht in „Im eigenen Saft“ zunächst Urlaub auf dem Land. Gleichzeitig empfängt der Chef der Moskauer Nachtwache Boris Ignajewitsch einen Kurier, der ihm einen magischen Gegenstand überbringt, der die Zukunft ändern soll. Auf demselben Hochhausdach wie in der ersten Episode kommt es zur Auseinandersetzung mit den Dunklen.
Lukianenko ist es in WÄCHTER DER NACHT gelungen, bekannte Sujets der Fantasy und des Horrors detail- und variantenreich zusammenzufügen. Das gilt nicht nur für den Handlungsablauf, sondern auch für die ambivalente Darstellung der Protagonisten. Anton wird von Selbstzweifeln geplagt, ihm erscheinen die Methoden und Motive der Moskauer Nachtwache manchmal genauso verwerflich wie die ihres Pendants, der Tagwache. Auch wenn der „Vertrag“ die Lichten und Dunklen faktisch paralysiert – wird ein Dunkler magisch aktiv, haben die Lichten das Recht zu einer Aktion gleichen Ausmaßes und umgekehrt –, versucht jedoch jede Seite, sich an der Grenze des Legalen Vorteile zu verschaffen. Es kommen zwar einige Dunkle und ein Lichter ums Leben, doch blutig ist WÄCHTER DER NACHT nicht. Das überraschende Ende des Films findet sich im Roman nicht.
Die Struktur der Handlung der drei Episoden ist dagegen weniger vielfältig. Die Geschehnisse, in die Anton Gorodezki verwickelt wird, stellen sich durchweg als von seinem Chef geplant heraus. Die letzten zwei Geschichten sind außerdem im Vergleich zu „Das eigene Schicksal“ relativ gradlinig, und das Krimi-Szenario in „Der Magische Kreis“ geradezu klassisch. Der Stil ist immerhin erfrischend schnörkellos. Dem Autor geht der Trend zum Auswalzen der Handlung durch stilistische und inhaltliche Mittel, dem manche westliche SF-, Fantasy- und Horrorautoren nur zu bereitwillig folgen, ab. Wegen der positiven Aspekte des Romans werde ich Lukianenko noch eine Chance geben, WÄCHTER DES TAGES lesen (diesmal vor dem deutschen Kinostart der Verfilmung) und darauf hoffen, dass sich der Autor beim Aufbau der Handlung weiterentwickelt hat.

 

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