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Sergej Lukianenko/Wladimir Wassiljew
WÄCHTER
DES TAGES
„Dnjevnoi
Dozor“, 1998, deutsche Erstausgabe, aus dem Russischen von
Christiane Pöhlmann, Heyne TB 53200, 2006, 526 Seiten, 13,00
EUR.
Coverzeichnung: Dirk Schulz.
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WÄCHTER
DES TAGES ist der zweite Band des inzwischen fünf Bücher umfassenden
WÄCHTER-Zyklusses – im russischen Original, in Deutschland
sind drei Bände erschienen (neben dem vorliegenden WÄCHTER DES
TAGES [Heyne TB 53200] und WÄCHTER DES ZWIELICHTS [Heyne TB 53198])
und einer angekündigt (WÄCHTER DER EWIGKEIT [Heyne TB 52225,
April 2007]).
Wie der Titel andeutet, werden die Geschehnisse diesmal nicht wie im ersten
Band (siehe Rezension im FANDOM OBSERVER 212) aus der Sicht der „lichten“
Magier erzählt. Die Lichten betreiben die „Nachtwache“,
die die Aktivitäten der „dunklen“ Zauberer und Hexen
überwacht. Das Pendant ist die „Tagwache“, in der die
Dunklen arbeiten und in WÄCHTER DES TAGES ihre Aktionen gegen die
Lichten planen. Über den lichten und dunklen Magiern steht die „Inquisition“,
die über den Vertrag, der das Gleichgewicht zwischen den Parteien
bewahren soll. Natürlich leben auch gewöhnliche Menschen in
Moskau und an den übrigen Handlungsschauplätzen, die von den
Anderen in mehr oder minder großem Umfang geschützt und manipuliert
werden.
WÄCHTER DES TAGES hat der russische Autor Sergej Lukianenko gemeinsam
mit seinem ukrainischen Kollegen Wladimir Wassiljew verfasst, was der
Leser freilich erst auf den Innenseiten des Buches erfährt. Es ist
weder erkennbar, welche der drei Kurzromane, die genau wie in WÄCHTER
DER NACHT von einem Handlungsbogen überspannt werden, von Lukianenko
bzw. von Wassiljew geschrieben wurden, noch ob sie beim Verfassen der
einzelnen Episoden zusammen gearbeitet haben. In der zweiten Episode,
„Fremd unter anderen“, fallen freilich einige stilistisch
simplere Passagen auf.
In dem ersten Kurzroman, „Zutritt für Unbefugte erlaubt“,
büßt die Hexe Alissa Donnikowa bei einem Einsatz der Tagwache
ihre magische Kraft ein (das erste Kapitel des Buches wurde in veränderter
Form die Eröffnungssequenz der Verfilmung des ersten Romans), genau
wie der Magier Igor, der auf der Seite der Nachtwache an der Operation
teilnimmt. In dem Ferienlager Artek begegnen sie sich wieder (wo beide
neue Kräfte tanken sollen, die Dunkle z. B. Durch die Alpträume
der ihr anvertrauten Kinder), ohne die wahre Identität des jeweils
anderen zu erahnen, und verlieben sich ineinander. Als Igor erkennt, dass
er einer Hexe, einer Dunklen begegnet ist, fordert er Alissa zu einem
magischen Duell heraus und tötet sie.
Als „Fremd unter Anderen“ erweist sich der Ukrainer Witali
Rohosa, als er in Moskau eintrifft. Seine magischen Kräfte erwachen
und steigern sich. Er schließt sich der Tagwache an. Noch während
Rohosa versucht, sich über seine Identität und seine Bestimmung
klar zu werden (sein bisheriges Leben erscheint wie ausgelöscht),
wird in Bern, dem Sitz der Inquisition, ein mächtiges magisches Artefakt
gestohlen. Die Nachtwache vermutet einen Zusammenhang und greift Rohosa
an, wobei er einen weiteren Lichten tötet. Die Tagwache klagt die
an dem Zwischenfall beteiligten lichten Magier vor der Inquisition an.
In der Verhandlung stellt sich der wahre Charakter Rohosas heraus.
In der dritten und letzten Episode, „Eine andere Kraft“, sind
die Handlungsanteile zwischen den Lichten und den Dunklen ausgeglichen.
Anton Gorodezki, wie Hauptfigur aus WÄCHTER DER NACHT, wird nach
Prag entsandt, in das neue Hauptquartier der Inquisition. Dort soll er
seinen Kollegen Igor verteidigen, dem wegen des Todes der Hexe Alissa
Donnikowa der Prozess gemacht werden soll. Aus den Reihen der Tagwache
macht sich Edgar auf denselben Weg, er soll die Anklage vertreten. Er
durchschaut die wahren Absichten seines Chefs. Der Prozess endet zwar
mit einem Freispruch Igors, dennoch verliert ihn die Nachtwache.
Der zweite Band des WÄCHTER-Zyklusses zeigt sich in einem größeren
Ausmaß als WÄCHTER DER NACHT ambivalent. In ihren Intrigen
gegeneinander unterscheiden sich die Tag- und Nachtwache kaum voneinander,
doch diesmal ist es die Nachtwache, die herbe Niederlagen hinnehmen muss:
Die Hexe Alissa Donnikowa wurde bewusst geopfert, um Igor zu vernichten
und um damit die Pläne der Nachtwache zu durchkreuzen, was zumindest
teilweise gelingt. Die Auseinandersetzungen mit Witali Rohosa fordern
zudem einem empfindlichen Blutzoll. Erst in „Eine andere Kraft“
erleidet die Tagwache einen gewissen Rückschlag. Alles in allem macht
das im Kontext der drei Episoden durchaus Sinn. Mit Alissa Donnikowa,
Witali Rohosa und Edgar betreten starke, eigenwillige Charaktere die Bühne
der WÄCHTER-Romane, auch wenn bei zweien von ihnen bei einem einmaligen
Erscheinen bleibt.
WÄCHTER DES TAGES weist damit zahlreiche Variationen in der Auswahl
und Kreation der Protagonisten, der Handlungskonstellationen und der Plots
auf. Zwar schöpft auch der zweite Band des WÄCHTER-Zyklusses
aus dem großen Fundus der Fantasy- und des Horrors, das aber auf
eine erfreulich schnörkellose, erfrischende und unverbrauchte Art
und Weise. Trotz einiger unnötig langer, weil relativ inhaltsloser
Dialoge stellt WÄCHTER DES TAGES im Vergleich zum ersten Band des
Zyklusses einen deutlichen Fortschritt dar, auch wenn bedauerlicherweise
unklar bleibt, wem er zuzuschreiben ist: Sergej Lukianenko selbst oder
seinem Koautor ...?!
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