Tobias Bachmann

NOVALIS` TRAUM

Deutsche Erstausgabe, Atlantis, 2007, 160 Seiten, 11,90 EUR.
Coverzeichnung: Timo Kümmel.

Der vorliegende Band enthält zehn Kurzgeschichten des Autors, der sich offenbar der klassischen Phantastik verpflichtet fühlt. Außerdem spielt in jeder Story das Traum-Thema ein Rolle – in verschiedenen Variationen und mal mehr, mal weniger.
In „Novalis' Traum“ darf der Dichter Friedrich von Hardenberg alias Novalis die Traummaschine des Professor von Bülows ausprobieren, die in der Lage sein soll, die Inhalte von Träumen aufzuzeichnen. Da der Dichter in der Nacht zuvor düstere Zeilen zu Papier brachte, geht das Experiment verheerend aus. „Sonnenfeuer“ ist die Geschichte eines Hauses, dass von einem Wesen, das das Sonnenlicht scheut, bewohnt wird. In den Sonnenlicht gelockt und getötet, rächt es sich in den folgenden Jahrzehnten. In „Die Anstalt des Doktor Ambrosius“ verhilft der Protagonist einer schönen Patientin zur Flucht. Die „Türen der Vergangenheit“ lassen den Protagonisten erkennen, was er in den letzten Jahren getan hat, nämlich die Stelle seiner verstorbenen Großmutter einzunehmen.
Diese vier Texte sind die umfangreichsten und die inhaltlich konventionellsten Beiträge der Sammlung. Tobias Bachmann schreibt jedoch engagiert: Er nimmt sich den Raum, den er benötigt, um die Handlungen und die Plots sorgfältig aufzubauen. Außerdem imitiert er nicht zu sehr den Stil der klassischen Phantastik, der manchmal von ausufernden Deskriptionen geprägt ist, sondern vermag ihre Atmosphäre sehr gut einzufangen. So werden diese vier Stories zu den besten in NOVALIS' TRAUM.
In „Der Nine-Inch-Nail“ spielt Tobias Bachmann mit den Ängsten seiner Leser (zumindest eines Großteils von ihnen, wie zu vermuten ist) – vor Insekten, und das durchaus gekonnt. Der Protagonist wird in seiner Wohnung, die dem Vermieter zurückgeben will, von einer Insektenplage heimgesucht, an ihrer Spitze der mannsgroße Nine-Inch-Nail. Starke Nerven werden seine Leser auch bei der Lektüre von „Der Rhesus-Club“ beweisen müssen. In jenem Club wird Menstruationsblut kredenzt, wenn gewünscht, auch direkt von der, nun ja, Quelle. Dass das provokativ ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung; ich will nur anmerken, dass ich solche Splatter-Effekte in der Phantastik und auch im Horror grundsätzlich nicht schätze, mögen sie in diesem Fall auch „natürlichen“ Ursprungs sein.
Die übrigen Stories in NOVALIS' TRAUM sind kürzer. Neben der zweiseitigen Einleitung mit dem Titel „Traumfänger“ sind dies „Die Treppe“, „Observer“ und „Alle Jahre wieder ...“. „Die Treppe“ ist ein unbefriedigender Albtraum, in dem sich der Protagonist in einem unendlichen Treppenhaus verliert. „Observer“ schildert eine Selbstbeobachtung, deren Sinn unklar bleibt. Erst in „Alle Jahre wieder ...“ schließt Tobias Bachmann an seine besten Kurzgeschichten in der Sammlung an. Der Patient einer psychiatrischen Klinik entpuppt sich als neuer Weihnachtsmann, der nicht nur gewöhnliche Geschenke bringt.
NOVALIS' TRAUM enthält einige schöne, stimmungsvolle und lesenswerte phantastische Kurzgeschichten, in denen der Autor mehr Inspiration beweist als mancher seiner bekannteren und berühmteren Kollegen in ihren neuesten Arbeiten. Die eine oder die andere Story weist zwar zwiespältige Schockelemente auf, doch die kann der Leser überblättern, wenn er will.

 

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