H. G. Wells

KRIEG DER WELTEN

„The War of the Worlds“, 1898, Nachdruck, aus dem Englischen von G. A. Crüwell und Claudia Schmölders, Diogenes-Taschenbuch 23537, 2005, 338 Seiten, 9,90 EUR.
Coverfoto: Denis Scott/Corbis.

Selbstverständlich hat der Diogenes Verlag die zweite Verfilmung von KRIEG DER WELTEN zu einer Neuauflage des Romans genutzt (erfreulicherweise wurde auf diesen Zusammenhang nur mit einem abnehmbaren Papiereinband hingewiesen). Obwohl sich natürlich darüber diskutieren lässt, ob es sich tatsächlich um eine Neuverfilmung oder nur um einen Neuaufguss des ersten Films handelt, der bei näherer Betrachtung eine größere Nähe zum Roman als sein Nachfolger aufweist. Aber es soll nicht um vergleichende Besprechung von Roman, den Filmen und den übrigen Umsetzungen (Hörspiel und Musical) gehen...
Wells erzählt seine Invasionsgeschichte aus der Sicht eines namenlos bleibenden Wissenschaftlers und/oder Journalisten: Von dem Aufschlag des ersten Zylinders südlich von London, dem Erscheinen des ersten Marsmenschen, dem ersten Einsatz des Hitzestrahls, über den Vormarsch der marsianischen Kriegsmaschinen auf London und der Begegnung des Protagonisten mit einem Kurator und einem Artilleriesoldaten bis zu dem Ende der Marsmenschen, verursacht durch irdische Bakterien. Nur einen Handlungsstrang erzählt Wells aus der Sicht des Bruders des Protagonisten, und zwar den Angriff auf London und die Flucht seiner Bewohner, wozu auch der Einsatz des Kriegsschiffes THUNDER CHILD auf der Themse gegen die Marsianer gehört.
Wells Schilderungen wirken sehr authentisch. Sein Stil ist sehr zugänglich, etwas verschachtelt, aber das ist kein Problem. Das England gegen Ende des 19. Jahrhunderts entsteht genauso überzeugend vor dem Leser (wichtig bei der Erstveröffentlichung, bemerkenswert heute) wie die Technologie der Marsianer, die z. T. noch heute futuristisch wirkt. Die Giftgasangriffe der Marsmenschen gegen die Verteidiger Englands fanden zwar bereits etwa eineinhalb Jahrzehnte nach dem Erscheinen des Romans ihr reales Pendant; im nachhinein betrachtet war Wells in dieser Hinsicht geradezu prophetisch... Mit dem Tod der Marsianer nahm Wells ein großes Problem der SF vorweg, das interessanterweise kaum thematisiert werden sollte. Nicht nur Invasoren der Erde können an Bakterien und Viren zugrunde gehen, sondern auch Menschen, die andere Planeten betreten – was in den unzähligen Romanen, Zyklen und Serien, in denen sich die Menschheit über das Universum ausbreitet, verblüffenderweise kaum der Fall war.
KRIEG DER WELTEN ist der erste Invasionsroman der SF. Seinen Epigonen lag häufig die Furcht vor tatsächlich existierenden Feinden zugrunde, beispielsweise den kommunistischen Staaten, für die die Außerirdischen stellvertretend agierten. Die Invasion der Marsianer hat bei Wells auch einen politischen Hintergrund, freilich einen ungleich relevanteren, und zwar das Aufeinandertreffen der Kolonialmächte seiner Zeit (und in der Vergangenheit) auf die chancenlosen Bewohner der okkupierten Länder, was Wells in dem ersten Kapitel bereits deutlich macht. In KRIEG DER WELTEN ist England, seinerzeit der mächtigste Staat der Erde, Ziel einer solchen Invasion (weshalb es, nebenbei bemerkt, gar nicht so unsinnig ist, dass in den zwei Verfilmungen des Romans die USA angegriffen werden).
Der Roman ist weder inhaltlich veraltet noch stilistisch verstaubt. KRIEG DER WELTEN nahm vor über einem Jahrhundert viele Themen und Sujets der Science Fiction vorweg, die auch heute noch nicht obsolet sind, und ist auch in politischer Hinsicht aktuell geblieben. Mögen die Formen der Ausbeutung von armen und machtlosen durch reiche und mächtige Staaten im Laufe der Jahrzehnte subtiler geworden sein, so gibt es auch heute noch Länder, die konzeptionslos und aus blosser Gier zu den Waffen greifen: Der Irak-Krieg mit den bislang ungelösten Problemen, die er nach sich zog, ist ein bezeichnendes Beispiel dafür.

 

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