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Ursula K. LeGuin
DIE
WILDE GABE
„Gifts“,
2004, deutsche Erstveröffentlichung, aus dem Amerikanischen
von Florin F. Marzin, Piper Hardcover, 2006, 295 Seiten, 19,80
EUR.
Coverzeichnung: Cliff Nielson.
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Ursula
K. LeGuin ist eine Autorin, die es nie für nötig hielt, mehrere
hundert Seiten umfassende Wälzer zu verfassen. Ihre Romane sind erfreulich
kompakt und inhaltlich umfassend. DIE WILDE GABE ist zwar ein Fantasy-Roman,
spielt aber (leider...) nicht in der Erdsee, jener Welt, die u. a. zur
Popularität der Autorin beitrug. In ihrem neuen Roman kreiert Ursula
K. LeGuin eine sehr konventionelle (Fantasy-) Welt. In der Tiefebene leben
die Menschen in Städten, im Hochland in feudalistisch geprägten
kleinen Gruppen, die über ihre Landstriche, Domänen genannt,
herrschen.
Die Familie jeder Domäne besitzt eine besondere Gabe, beispielsweise
das Rufen (von Tieren), das Feuerschleudern, das Verdrehen (von Körpern
und Körperteilen), das Messer (verwunden auf Distanz) u. a. m. Die
Gabe des Oberhauptes der Domäne Caspromant ist die Auflösens,
also des Tötens, doch bei seinem Sohn Orrec will sie sich zunächst
nicht entwickeln. Später setzt Orrec die Gabe offenbar unkontrolliert
ein, so dass ihm die Augen verbunden werden müssen. Seine nächsten
Lebensjahre sind geprägt von dem Leben im Dunkeln, bis er die Wahrheit
über seine Fähigkeit entdeckt.
DIE WILDE GABE ist ein Entwicklungsroman über einen Jugendlichen,
routiniert erzählt, aber inhaltlich unspektakulär. Orrecs Probleme
gehen zwar über die eines Pubertierenden hinaus, da er ein Spielball
in Machtkämpfen ist, aber die sind ebensowenig innovativ wie das
Konzept der „Gaben“, dem immerhin ein neuer Aspekt abgewonnen
wird. Am Ende des Romans offenbart die Autorin (wie bereits in ihrem zuletzt
erschienenen Buch, dem letzten ERDSEE-Roman, RÜCKKEHR NACH ERDSEE
[Heyne Fantasy 9229]) eine gewisse – altersbedingte?! – Sentimentalität:
Orrec kann seinen eigenen Weg gehen, ohne ungelöste Konflikte zurücklassen
zu müssen, auch wenn die Autorin zu diesem Zweck seinen Vater sterben
lassen muss (was andererseits ihr Gerechtigkeitsempfinden und das mancher
Leser befriedigen mag).
Es überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit die Autorin
das Konzept der Domänen, in deren Familien übersinnliche Fähigkeiten
beheimatet sind, benutzt. Es ähnelt frappierend den Domänen
aus den DARKOVER-Zyklus von Marion Zimmer Bradley. Sogar die Wortwahl
ist identisch... Auf Darkover sind es zwar „nur“ sieben Domänen,
deren Territorien aber größer sind und deren Familienmitglieder
verschiedene Laran-Fähigkeiten (im Grunde PSI-Begabungen) aufweisen.
Auch in manchen DARKOVER-Romanen mussten die Protagonisten ihre Begabungen
erst zu akzeptieren lernen. Da der DARKOVER-Zyklus über 20 Romane
umfasst und im Laufe von vier Jahrzehnten entstand, ist kaum anzunehmen,
dass er Ursula G. LeGuin nicht bekannt war und es sich lediglich um eine
Parallelität von eigenständig entwickelten Ideen und Plots handelt.
DIE WILDE GABE mag ein gutes phantastisches Jugendbuch sein. Die Parallelität
des Domänen- und Gaben-Konzeptes zu dem DARKOVER-Zyklus wird nicht
nur Kenner des Werkes von Ursula K. LeGuin zumindest stark irritieren.
Es scheint, dass mit dem zunehmenden Alter (77 inzwischen) nicht ihre
Sentimentalität zu, sondern auch ihre Ansprüche und ihre Ideenreichtum
abgenommen hat. Ich bin mir nicht schlüssig, ob ich unter diesen
Umständen das Abwarten der preisgünstigeren Taschenbuchausgabe
von DIE WILDE GABE empfehlen soll.
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