Iain Banks

DER ALGEBRAIST

„The Algebraist“, 2004, deutsche Erstausgabe, aus dem Englischen von Irene Holicki, Heyne TB 52201, 2006, 798 Seiten, 15,00 EUR.
Coverzeichnung: N. N.

Mit seinem neuen Roman DER ALGEBRAIST wendet sich Iain Banks von seinem KULTUR-Zyklus ab. In meiner Besprechung über seinen letzten SF-Roman, BLICKE WINDWÄRTS (Heyne TB 6443), der noch in dem KULTUR-Universum angesiedelt war, hatte ich bereits festgestellt, dass der Autor zwar einen souverän konstruierten und erzählten Roman anbot, seinem Zyklus aber keine neue Bausteine hinzuzufügen wusste. Es lag deshalb für ihn nahe, nach anderen Inhalten zu suchen.
So unterscheidet sich das Zukunftsuniversum von DER ALGEBRAIST deutlich von dem des KULTUR-Zyklusses. Die interstellare Raumfahrt ist nur über künstlich erzeugte Wurmlöcher möglich; werden sie zerstört, bleibt nur der unterlichtschnelle Flug und die Neuinstallation eines Wurmloches. An die Stelle der Kultur sind Imperien getreten. Die Milliarden Jahre umfassende Geschichte der Galaxis hat zur Zeit der Handlung die Merkatoria an die Spitze der Machtpyramide gespült, ein totalitäres, von Aliens beherrschtes Regime, in dem aber auch die Menschheit ihren Platz gefunden hat.
Brennpunkt der Handlung ist das Ulubis-System, das mit Nasqueron ein Gasplaneten aufweist, der wie viele andere in der Galaxis von den Milliarden Jahre alten Dwellern bewohnt wird, die außerhalb der galaktischen Hierarchie stehen. Das Wurmloch, das Ulubis mit der übrigen Galaxis verband, wurde vor etwa zwei Jahrhunderten zerstört. Das Ulubis-System behielt aber seinen Status als Zentrum der Dweller-Forschung; einer seiner herausragenden Vertreter ist Fassin Taak, der nach Nasqueron entsandt wird, um dort Gerüchten über ein geheimes Wurmlochsystem der Dweller nachzugehen. Der Archimandrit Lusiferus, ein aufstrebender Diktator, ist mit einer Eroberungsflotte nach Ulubis aufgebrochen, gleichzeitig ist eine Entsatzflotte der Merkatoria unterwegs.
Banks spinnt in DER ALGEBRAIST ein breites Garn. Der Schwerpunkt des Romans ist die Odyssee Fassin Taaks durch den Dweller-Planeten Nasqueron und darüber hinaus, wobei es ihm natürlich gelingt, das Geheimnis des Wurmlochsystems der Dweller zu lüften. Zuvor werden die Vorbereitungen zu seiner Mission geschildert; ihre Endphase fällt mit dem Angriff des Archimandrit Lusiferus auf das Ulubis-System zusammen. Insbesondere in den Handlungsteilen, die in der Atmosphäre Nasquerons spielen, zeigt sich Banks sehr ideenreich und witzig. Ansonsten bedient er sich nicht zu knapp sowohl in dem Ideen- und Plotfundus des Genres als auch in seinem eigenen.
Das stört jedoch nur selten. Auffallend ist die Ähnlichkeit der Dweller-Zivilisation mit der Kultur, was ihre Unangreifbarkeit aufgrund ihrer technologischen Überlegenheit und ihren ungezwungenen Umgang mit sich selbst und mit anderen Spezies angeht. Die Verwendung totalitärer Regime wird erfahrene Banks-Leser irritieren, da der Autor in seinen KULTUR-Romanen bereits ein wesentlich fortschrittlicheres und plausibleres politisches System entwickelte. Die ausführliche Darstellung militärischer Auseinandersetzungen ist in seinen übrigen (SF-) Romanen selten und in DER ALGEBRAIST womöglich einem vermeintlichen oder tatsächlichen Publikumsgeschmack geschuldet. Mit der Darstellung der KIs gelingt Banks auch nicht unbedingt eine Variation: In DER ALGEBRAIST sind sie fast komplett ausgerottet. Wenn die letzten Überlebenden auftreten, agieren sie freilich genauso souverän und überlegen wie in den KULTUR-Romanen.
Ein weiterer „marktgerechter“ Aspekt ist in dem Umfang des Romans zu sehen. Banks scheint sich wohl dem bereits seit geraumer Zeit anhaltenden Trend zu dicken Büchern nicht entziehen zu können. Seine Souveränität in Darstellung und Stil zeigt sich zwar auch in DER ALGEBRAIST, der Plot ist sicherlich spektakulär, aber nicht neu, und die darum konstruierte Handlung hätte durch den Verzicht auf Nebenhandlungen und weitschweifige Deskriptionen auch wesentlich kompakter dargeboten werden können.

 

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