Der Jäger registriert die ersten Eindrücke, die ihm seine Sinne vermitteln - doch es sind keine Wahrnehmungen, wie sie Menschen kennen. Es sind konfuse Bildern und Töne, die auf ihn eindringen. Er wird sich seiner eigenen Existenz gewahr, ohne jedoch ein Bewußtsein zu erlangen, und er erkennt auch die Existenz weiterer Individuen, deren Emissionen eine eigentümliche Faszination auf ihn ausüben. Der Jäger versucht, sie zu absorbieren, denn das ist der Zweck seiner Existenz.

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Die Nadel der Geschwindigkeitsanzeige stand bei dreißig Stundenkilometern, als ich das gelbe Ortsschild passierte. Ich hatte Reesdorf erreicht, einen kleinen Ort wenige Kilometer nach der Autobahnabfahrt, auf der ich die A 2 nach einem Getriebeschaden verlassen hatte.
Die Geschehnisse, von denen ich berichten will, fanden im Hochsommer des vergangenen Jahres statt. Es war heiß, als ich die Rückreise von Berlin antrat, wo ich mich aus dienstlichen Gründen mehrere Tage aufgehalten hatte. Da ich nicht Mitglied eines Autoclubs war, der "Freie Fahrt für freie Bürger" propagierte, hatte ich mich entschlossen, auf eigene Faust eine Werkstatt für die Reparatur meines Opel Kadett zu suchen.
Ein Linienbus näherte sich mir von hinten, fuhr fast bis auf die Stoßstange meines Wagens auf, hupte und überholte mich. Trotz meines Problems mit meinem Auto mußte ich grinsen, als der Bus etwa dreihundert Meter vor mir an einer Haltestelle stoppte.
Linkerhand befand sich ein chemischer Betrieb. Das Grundstück war nur etwa einhundert Meter breit, erstreckte sich aber mehrere hundert Meter in die Länge, so daß ich die hintere Begrenzung nicht erkennen konnte. An die Einfahrt schloß sich ein Hof an, auf dem mehrere PKW parkten, der wiederum von einem flachen Verwaltungsgebäude begrenzt wurde. Dahinter erhoben sich die chaotischen und verwinkelten Rohrleitungen, Kessel, Betriebsgebäude, Abluftschächte und Schornsteine der chemischen Anlage, aus denen dicker, gelber Qualm quoll.
Über Reesdorf hing eine dichte Dunstglocke, die die Sonneneinstrahlung abschirmte, aber nicht für eine Abkühlung sorgte. Der Gedanke an Smog erschien mir dennoch absurd: Smog in einem kleinen Örtchen in Ostdeutschland, nur verursacht durch einen Betrieb, der nach den strengen westdeutschen Umweltbestimmungen vermutlich nicht produzieren dürfte und offenbar noch keinen Käufer gefunden hatte, der die Technik, die für der Einhaltung jener Vorschriften erforderlich war, bezahlen konnte.
Der Bus fuhr an, bevor ich ihn passieren konnte, und gab den Blick in eine kurze Sackgasse frei, die unmittelbar hinter der Haltestelle nach rechts abbog. An ihrem Ende erblickte ich eine kleine Tankstelle mit nur zwei Zapfsäulen und einem kleinen Werkstattgebäude, über der das Emblem des Herstellers meines Wagens prangte. Ich hielt an, setzte zurück und bog in die Straße ab.
Vor der Werkstatt parkte ein beigefarbener Kleinbus mit der Aufschrift "Universität Berlin", flankiert von einem Polizeiwagen, einem Wartburg. Aus dem geöffneten Dachfenster des Kleinbusses ragten mehrere Antennen und andere Instrumente heraus, in denen ich nur Meßgeräte vermuten konnte. Drei mit Anzügen bekleidete Männer standen in der Seitentür des Fahrzeugs, die Polizisten hinter ihnen.
Ich hielt an der gegenüberliegenden Straßenseite, überquerte die Straße und betrat das Kassiererhäuschen der Tankstelle. Ich erklärte dem Besitzer, einen großen, vierschrötigen Mann in einem verschmutztem Overall, den Schaden an meinem Auto und erteilte den Reparaturauftrag.
Die äußere Erscheinung des Mannes, sein unrasiertes, verschmutztes Gesicht und sein Körpergeruch ließen mich schließen, daß seine letzte Dusche ein paar Tage zurücklag. Ich wollte deshalb aber nicht eine weitere Werkstatt suchen. Daß er mir zusagte, die Reparatur meines Fahrzeugs noch heute zu erledigen, wenn er nicht Ersatzteile besorgen müsse, machte ihn mir nur etwas unsympathischer.

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Die Wahrnehmungen des Jägers werden präziser und differenzierter. Er lernt, wie er seine Ziele ausmachen und sich ihnen nähern kann, deren Faszination sich umso mehr verstärkt, wie er die Distanz zu ihnen verkürzen kann. Der Jäger berührt sie erneut. Ihre konfusen, dunklen, aber auch bunten Emissionen verheißen ihm Leben. Der Jäger fühlt, wie er stärker wird, er registriert auch eine unbestimmte Emotion, er bewegt sich auf jenen Punkt zu, an dem er sich selbst bewußt werden wird.

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Ich verließ die Werkstatt und wandte mich die Straße hinauf. Der Universitäts-Bus und das Polizeifahrzeug hatten den Hof während meiner Verhandlungen mit dem Eigentümer der Werkstatt verlassen; nur einige achtlos weggeworfene Zigarettenstummel erinnerten an die Anwesenheit der Wissenschaftler, der Behördenvertreter oder Lokalpolitiker und der Polizisten.
Als ich die Hauptstraße erreichte, hielt ich mich rechts. Vor der Bushaltestelle befanden sich mehrere einstöckige Wohnhäuser; ihnen gegenüber lag die Chemiefabrik. In der leicht gewölbten Straßenmitte hatte der Teerbelag zu schmelzen begonnen und war zähflüssig geworden. In der trägen, schwarzen Masse waren breite Reifenabdrücke zu erkennen, vermutlich die des Busses, der zu meinen ersten Eindrücken von Reesdorf gehört hatte.
Ich erreichte eine Kneipe, die auf den ausgehängten Karten auch Speisen anbot, und trat ein.  Vor dem Tresen an der Stirnwand des Schankraums waren fünf lange, unbedeckte Tische aufgestellt worden, die von nackten Holzstühlen gesäumt wurden. Die Luft war schal und trocken. Nur drei Männer saßen an dem Tisch rechts von mir, halbleere Biergläser vor sich. Sie hielten die Köpfe gesenkt und sprachen nicht.
Ich ließ mich auf einen der Stühle fallen, winkte den Wirt heran, einen kleinen, untersetzten Mann, der eine fleckige Schürze trug, und gab meine Bestellung auf. Als der Wirt sich abwandte, betrat in einem guten Anzug gekleideter, fünfzigjähriger  Mann das Lokal. Seine Miene war ernst; in seiner rechten Hand trug er eine schwarze Ledertasche. Er orderte einen Kaffee, blickte sich um und trat auf mich zu.
Der Mann begrüßte mich, stellte sich als Dr. Kellermann vor und setzte sich. "Sie wohnen und leben hier nicht," begann er das Gespräch. "Ich bin der einzige Arzt hier, und kenne deshalb fast jeden Reesdorfer. Bis zum Beitritt, oder, wie manche meiner Mitbürger meinen, bis zum Anschluß, habe ich in einer Poliklinik in Berlin gearbeitet." Ich nickte, nannte meinen Namen und schilderte die Unbill, die mich in diesen Ort geführt hatte.
"Wissen Sie," sprach Dr. Kellermann weiter, "mit den Reesdorfer Einwohnern kann ich nicht über das Problem sprechen, das mich beschäftigt. Die Menschen hier betrifft mein Problem, und deshalb nehmen sie es nicht zur Kenntnis und weigern sich, darüber zu diskutieren. Einem ähnlichen Phänomen bin ich in meiner jahrzehntelangen ärztlichen Praxis nicht begegnet."
Dr. Kellermann schwieg für einige Sekunden. "Ich langweile Sie doch nicht?" fragte er. Ich erwiderte, daß ich im günstigsten Fall ohnehin noch einige Stunden in Reesdorf verbringen müsse und er deshalb gerne fortfahren könne.
"In den letzten zwei Tagen hat sich ein seltsames Krankheitsbild unter den Reesdorfern ausgebreitet, eine Apathie, die in einen Schlaf mündet, aus dem die Betroffenen nicht mehr erwachen wollen, auch nicht, um Nahrung zu sich zu nehmen," erklärte Dr. Kellermann. "Es gibt hier keine Familien, in denen solche Fälle nicht aufgetreten sind. Viele Menschen sind noch so aktiv wie zuvor, anderen dagegen dämmern seit zwei Tagen vor sich hin."
Der Wirt trat mit einer Tasse Kaffee zu uns und stellte sie unsanft vor Dr. Kellermann ab. Der Kaffee schwappte dabei über den Rand und bildete eine Lache in der Untertasse, was Dr. Kellermann aber nicht zu bemerken schien.
"Smog?" fragte ich, nur um die Konversation fortzusetzen, weil ich diese Erklärung ernsthaft nicht in Betracht zog. Dr. Kellermann schüttelte den Kopf. "Ich habe vor einer halben Stunde mit unserem Bürgermeister gesprochen," antwortete der Arzt. "Ihnen ist vielleicht der Meßwagen vor der Werkstatt aufgefallen. Nun, die Professoren und Studenten habe keine ungewöhnlichen Emissionen messen können, obwohl Reesdorf seit genau zwei Tagen unter dieser Dunstglocke liegt."
Dr. Kellermann nippte an seinem Kaffee. "Heiß und kräftig ist der aber nicht," stellte er fest, holte ein Geldstück aus der Innentasche seines Jacketts und legte es auf den Tisch. Er erhob sich, sagte, daß er sich noch um weitere Patienten kümmern müsse und verließ die Kneipe.
Der Wirt näherte sich mir mit einem Tablett und stellte es vor mir ab. Die Soße auf den grünen Nudeln, die ich bestellt hatte, mutete wie Schleim an. Ich probierte dennoch einige der verklebten Nudeln, legte die Gabel dann aber verärgert neben den Teller. Mir war nicht klar, ob die Nudeln und die Soße schlecht zubereitet oder nur meine Geschmacksnerven einer Irritation erlegen waren, jedenfalls war das Gericht völlig geschmacklos.

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Den Jäger erfaßt Euphorie, denn er ist dem, was er jagt, so nah wie nie zuvor. Er erkennt, daß seine Opfer ihm nicht mehr entkommen können. Der Anziehungskraft der Bilder, Töne, Gerüche, Erinnerungen, Vorstellungen und Eindrücke, die nicht die seinen sind, wie er nunmehr begreift und die er plastischer als je zuvor wahrnimmt, könnte er sich auch dann nicht entziehen, wenn er es noch wollte. Der Jäger zieht sein Netz zusammen und greift seine Beute.

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Die Männer in der rechten Ecke des Schankraums hockten weiterhin reglos nebeneinander. Bis vor etwa drei Stunden hatte ihnen der Wirt noch regelmäßig neue Biere gebracht, doch nach diesem Zeitpunkt hatte er damit aufgehört, auch meine Bestellungen, die Kaffee und Mineralwasser umfaßten, auszuführen. Der Kaffee war wie der Dr. Kellermanns nur warmes, braunes Wasser gewesen. Der Wirt saß auf einem Stuhl hinter dem Tresen, hatte den Kopf gegen die Wand gelehnt und die Augen geschlossen.
Fast fünf Stunden hatte ich in der Kneipe verbracht. Ich hoffte darauf, daß damit die höchsten Temperaturen des Tages hinter mir lagen und inzwischen die Reparatur meines Kadett ausgeführt worden war. Ich rechnete nicht damit, daß der Wirt auf meinen Zuruf reagieren würde und legte deshalb einen Geldschein auf den Tisch.
Ich verließ das Lokal und ging zur Werkstatt zurück. Es war so heiß wie zur Mittagszeit, in der ich Reesdorf erreicht hatte. Über der Straßenmitte schien die Luft zu flimmern. Die Hauptstraße war menschenleer.
Meinen Wagen stand dort, wo ich geparkt hatte, auf dem Seitenstreifen gegenüber der Werkstatt. Ich betrat das kleine Glashäuschen, fand jedoch niemanden vor, ging die Werkstatt nebenan, deren Hebebühne teilweise hochgefahren worden war. Vor dem kleinen Kontrollpult, das in die rechte Wand eingelassen war, lag bewußtlos jener große, vierschrötige Mann.
Ich erinnere mich an die seltsamen Vorgänge, von denen mir Dr. Kellermann erzählt hatte, wandte mich um und wankte hinaus. Ich hatte keinen Gedanken dafür übrig, daß ich einen Menschen bewußtlos zurückließ. Als ich mich in meinen Wagen fallen ließ, umfing mich Schwärze. Die Hitze, die sich in dem Wageninnern gestaut hatte, schien mir das Bewußtsein rauben zu wollen - aber nur für einen Moment, dann nahm ich meine Umwelt wieder wahr.
Ich dachte daran, daß ich von jenem Effekt, wenn es ihn gab und er nicht eine bloße Vermutung Dr. Kellermanns war, nicht in demselben Maße wie die Einwohner Reesdorfern betroffen sein konnte, weil ich mich erst einen halben Tag hier aufhielt. Ich ließ den Wagen an, wendete und verließ Reesdorf mit derselben Geschwindigkeit, mit der ich gekommen war.
Einige Kilometer südlich von Reesdorf überholte mich ein Polizeiwagen, ein Passat, und forderte mich zum Anhalten auf. Ich fuhr an den Straßenrand, bremste und stellte den Motor ab. Mir war klar, daß ich mit meinem defekten Auto ein nicht ungefährliches Verkehrshindernis darstellte. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn mir die Polizisten die Weiterfahrt untersagt hätten.
Der Passat hielt mit laufendem Motor vor mir. Der Beifahrer stieg aus und kam zu mir herüber. Es war ein bärtiger Schutzpolizist, dessen Alter ich auf fünfundvierzig Jahre schätzte. "Sie kommen aus Reesdorf?" stellte er ohne Begrüßung fest. Ich nickte überrascht. Der Polizist studierte das Kennzeichen meines Wagens, wartete einige Sekunden und sagte dann leise: "Fahren Sie weiter.", bevor er sich abwandte, zu seinem Fahrzeug zurückging und einstieg.
Wenige Stunden später vernahm ich die ersten Radiomeldungen über jenes Unglück in Reesdorf, das in den folgenden Tagen in der Presse und in den Medien als der bislang größte Chemieunfall in Deutschland dargestellt werden sollte, der knapp zweihundert Menschen das Leben gekostet hatte.

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Der Jäger triumphiert, doch er nimmt auch eine Schwäche wahr, die sich stetig verstärkt. Er empfindet seine Gefühle so intensiv wie nie zuvor in seinem kurzen Leben und so wird ihm bewußt, daß er Leben vernichtet hat, um zu werden, wie er jetzt ist –anderes Leben zwar, aber immerhin Leben. Dann tritt wieder seine Schwäche in den Vordergrund seines Bewußtseins und er erkennt, daß er nur weiterleben kann, wenn er erneut jagt. Aber er greift in die Substanzlosigkeit und verliert sich.