Bernhard Kellermann rückte das verrutschte Jackett zurecht, nahm den Aktenkoffer in die linke Hand und drückte auf den Türsummer.
Hinter der gegenüberliegenden Tür der Nachbarwohnung verstummten die Gespräche, die er zuvor noch deutlich vernommen hatte. Kellermann hatte ein neues Mehrfamilienhaus aufgesucht, das offenbar sehr hellhörig war. Vertreter waren nicht besonders beliebt und Kellermann wußte natürlich, daß niemand daran interessiert war, von ihnen unaufgefordert aufgesucht zu werden. Kellermann zog es ohnehin vor, Einzelpersonen zu kontaktieren, da diese am besten vom Kauf seines Produktes zu überzeugen waren. Ehefrauen machten ihren Männern dagegen regelmäßig Vorwürfe über den hohen Preis.
Die Tür vor ihm öffnete sich einen Spalt. Eine Frau, deren Alter Kellermann auf sechzig bis fünfundsechzig Jahre schätzte, musterte ihn. Ihr Gesicht war zerfurcht. Als sie den Aktenkoffer erblickte, begann sie die Tür zu schließen.
Kellermann stellte kurzerhand einen Fuß in die Spalte. Das war natürlich nicht seriös, spielte aber keine Rolle, da er wußte, daß sich keiner seiner Kunden bei seinem Arbeitgeber über ihn beschweren würde. "Guten Morgen, Frau Scheffczik," sagte er. "Ich komme von der Göttenboten GmbH & Co. KG, um ihnen unser Produkt, obwohl es genau genommen nicht unser Produkt ist, vorzustellen." Die Erwähnung seiner Firma hatte ihm schon viele Türen geöffnet.
Frau Scheffczik atmete tief durch. "Nehmen sie ihren Fuß aus der Tür," sagte sie. "Ich kann sie sonst nicht öffnen." Kellermann zog den Fuß zurück, doch er empfand keine Befriedigung über diesen bereits oft gekosteten Sieg. Die Frau drückte die Tür zu und er hörte, wie eine Kette entriegelt und beiseite geschoben wurde, bevor sich die Tür in ihrer vollen Breite öffnete.
Kellermann trat ein. Vor ihm lag ein schmaler, etwa drei Meter langer Flur, der lediglich einen kleinen, hüfthohen Schrank und eine unscheinbare Hutablage enthielt. Der blaue Teppichboden war stumpf. Kellermann folgte Frau Scheffczik in das Wohnzimmer, in dem zwei Sessel und ein kleines Sofa um einen runden Tisch gruppiert waren. Die braunen Veloursbezüge waren an manchen Stellen abgewetzt. Die Terrassentür stand offen, die Gardinen bewegten sich in dem schwachen Luftzug, der in das Zimmer strich.
Kellermann ließ sich in einen der Sessel sinken, ohne die Aufforderung seiner Gastgeberin abzuwarten, die ihm gegenüber auf dem Sofa Platz nahm. Er lächelte unverbindlich, legte seinen Aktenkoffer auf den Tisch und begann mit dem Verkaufsgespräch.
"Ich kann es durchaus verstehen, Frau Scheffczik, daß sie über mein unangemeldetes Erscheinen aufgebracht sind, auch wenn sie es nicht zeigen wollen. Aber sehen sie, ich gehöre nicht zu jenen Außendienstmitarbeitern, die ihnen Staubsauger, die spätestens nach einem halben Jahr defekt sind, oder Zeitschriften, die sie nicht benötigen, verkaufen wollen. Ich komme, wie schon gesagt, von der Göttenboten GmbH & Co. KG, die aufgrund der letzten historischen Ereignisse weit mehr als kommerzielle Bedeutung erlangt hat."
Kellermann machte eine kurze Pause. "Vor einigen Monaten wurde jenes Ereignis Wirklichkeit, welches bislang nur von den Science Fiction-Autoren und den Lesern ihrer Werke für möglich gehalten, von der übrigen Bevölkerung der Erde jedoch als Spinnerei abgetan wurde," fuhr er fort. "Doch auch Autoren sind nur Menschen und können sich irren, denn die erste Begegnung mit einer extraterrestischen Lebensform lief völlig anders ab als sie es sich vorgestellt hatten."
Er öffnete den Aktenkoffer und entnahm ihm ein kleines, geschlossenes rechteckiges Kästchen, das jeweils zehn Zentimeter breit und lang sowie fünf Zentimeter hoch war, und setzte es vorsichtig auf dem Tisch ab.
"Die Begegnung mit den Fremden brachte der Menschheit Fortschritte auf vielen Gebieten. Als Geschenk und als Zeichen ihrer Freundschaft hinterließen sie uns ungeheure Mengen jenes Gerätes, das Götterbote genannt wird. Die Vereinten Nationen haben eine Reihe von Firmen in allen Teilen der Erde exklusiv mit dem Vertrieb der Götterboten beauftragt, so auch die Götterboten GmbH & Co. KG. Unsere Firma bestand bereits vor dem Kontakt mit den Fremden," fügte Kellermann hinzu," aus naheliegenden Gründen haben wir den Firmennamen geändert, nachdem wir die Lizenz zum Verkauf der Götterboten erhalten hatten."
Kellermann strich mit den Fingern über das Kästchen. Die Oberfläche glomm auf und verbreitete einen hellen, weißlichen Schimmer. Funken sprühten in einer dichten Kaskade auf, als Kellermann mit den Fingern das Kästchen berührte, versengten aber seine Haut nicht. Das Licht vermischte sich mit den Sonnenstrahlen, die durch die Terrassentür in den Raum fielen und bildete bunte Farb- und Lichtspiele, deren Muster ständig wechselten. Die Lichtstrahlen brachen sich, tanzten durch das Zimmer, berührten Kellermann und seine Kundin, überflogen den Tisch, die Sessel, den alten Fernseher und den Schrank, durchliefen die Farben des Spektrums, zerflossen in eine Kaskade und erloschen.
Für Kellermann war dies keine ungewöhnliche Erscheinung mehr, doch Frau Scheffczik saß starr auf dem Sofa und blickte gebannt auf den Götterboten. Kellermann sprach sie nicht an, sondern wartete einige Augenblicke, bis die Frau selbst das Schweigen brach.

"Aber welchem Zweck dient dieses Gerät?" fragte Frau Scheffczik. Dies war eine Bemerkung, die als letzter Widerstand diente, als letzter Versuch, sich nicht vom Kauf eines Götterboten überzeugen zu lassen, wie Kellermann aus seiner Erfahrung heraus wußte. "Ich bin Rentnerin, und meine Rente ist nicht sehr hoch. Ich kann mir einen kostspieligen Götterboten nicht leisten. Die Miete und die Versicherungen..."
"Gute Frau," unterbrach Kellermann sie. Seine Stimme klang geduldig. "Der Götterbote ist ein Zeichen der Verbundenheit mit unseren außerirdischen Freunden. Wir rechnen fest damit, daß sie uns bald wieder besuchen werden. Wie sie uns mitteilten, besitzt jeder von ihnen ein solches Gerät. Ein Götterbote ist unzerstörbar und unvergänglich."
Frau Scheffczik nickte zögernd. Kellermann holte aus dem Aktenkoffer einen Kaufvertrag hervor, füllte den Vordruck aus und legte ihn Frau Scheffczik zur Unterschrift vor. "Sie können den Götterboten selbstverständlich auch in Raten und per Lastschrifteinzug bezahlen. Wären ihnen fünfzehn Monatsraten zu jeweils einhundertzwanzig Mark recht?" fragte Kellermann routiniert und begann damit, einen weiteren Vordruck auszufüllen. Frau Scheffczik leistete die Unterschriften.
Kellermann legte die unterschriebenen Dokumente in den Aktenkoffer und verschloß ihn. Er erhob sich. "Sie haben mit diesem Kauf eine richtige Entscheidung getroffen," sagte er und lächelte. "Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Ich darf mich nun empfehlen."
Frau Scheffczik begleitete ihn hinaus. Kellermann betrat das Treppenhaus, Frau Scheffczik drückte die Tür zu und befestigte wieder die Kette auf der Innenseite. Das Klirren drang dumpf durch die Tür. Kellermann wandte sich der Haustür zu. Er hatte Frau Scheffczik den letzten Götterboten verkauft, der sich in seiner Aktentasche befunden hatte. Aber in seinem Wagen war noch ein Karton Götterboten, dem er einige Geräte entnehmen mußte, bevor er seine Verkaufstour in diesem Haus fortsetzen konnte.
Kellermann trat in den Sonnenschein hinaus. Er hatte seinen schwarzen BMW auf dem Parkplatz vor dem Haus abgestellt, obwohl es sich wahrscheinlich um Privatparkplätze für die Mieter handelte. Er erreichte seinen Wagen und steckte den Schlüssel in das Schloß des Kofferraums, als die Heckscheibe zerbarst und ihn mit Glassplittern überschüttete. Kellermann sprang überrascht zurück. Auf der Rückbank lag ein dunkelroter Pflasterstein.
Ein weiterer Stein traf auf dem Dach des BMW auf, drückte das Blech ein, zerstörte den Lack und prallte ab. Kellermann wirbelte herum. Auf dem Nachbargrundstück bückte sich ein großer, vierschrötiger Mann, der nur mit einer Hose und einem Unterhemd bekleidet war, und riß einen weiteren Stein aus der Pflasterung vor dem kleinen Einfamilienhaus. Er erhob sich, holte aus und warf erneut, diesmal jedoch nicht den Stein, sondern den Gegenstand, den er in der anderen Hand gehalten hatte.
Der Gegenstand rutschte vor Kellermanns Füße. Kellermann erkannte ihn: Es war ein Götterbote, der gewaltsam geöffnet worden war und aus dem Kabel und der Hologrammprojektor herausragten. Kellermann erfaßte auch rasch die Zusammenhänge: Es war einer von dem halben Dutzend Götterboten, die Kellermann dem steinewerfenden Mann vor seinem Besuch bei Frau Scheffczik verkauft hatte. Kellermann hatte ihn für primitiv gehalten, doch er hatte sich als neugierig erwiesen, und es gehörte nicht viel Intelligenz dazu, zu erkennen, daß Kellermanns Götterboten auf der Erde hergestellt worden waren, wenn man sie erst einmal in ihre Bestandteile zerlegt hatte.
Kellermann riß den Schlüssel aus dem Schloß des Kofferraums heraus, hechtete zur Fahrertür und schloß sie auf. Er öffnete die Tür, ein Schwall heißer Luft empfing ihn und er verspürte einen Schlag am Kopf –