Das Raumschiff passierte die Bahn des äußersten Planeten des Sonnensystems Proxima Centauri, aber das wußte es in diesem Moment noch nicht.
Die Sonne des Systems erschien dem Schiff kaum größer als die übrigen Sterne. Da die Berechnungen jedoch ergaben, daß das Ziel des langen Fluges in kurzer Frist, kurz freilich nur in Relation zur Dauer der gesamten Reise, erreicht sein würde, handelte das Raumschiff programmgemäß und setzte eine Reihe von Erkundungssonden aus, die mit aufblitzenden Triebwerken davonstoben und rasch im Dunkel des Weltraums verschwanden.
Das Fahrzeug wurde zwar automatisch gesteuert, vom Schiffscomputer beherrscht, der wiederum seiner Programmierung folgte, aus der sich der oberste Befehl ergab, nämlich die Mission unbedingt zu Ende zu führen.
Das Raumschiff war allerdings nicht unbemannt. In seinem kilometerlangen Rumpf ruhten im Kälteschlaf fünftausend Menschen. Nur die Perfektionierung der Hibernationstechnik hatte den ein Jahrhundert währenden Flug von der Erde in das System Proxima Centauri ermöglicht, woraus sich aber auch ergab, daß die Aufgabe, das Kolonistenschiff sicher an das Ziel zu bringen, einem Computer übertragen werden mußte.
Das Schiff folgte seinem Kurs und drang weiter in das Proxima Centauri-System ein. Es erhielt die ersten Daten seiner Sonden, die die äußeren Planeten des Sonnensystems ausgemacht hatten, drei große Gasriesen, die dem Jupiter des heimatlichen Sonnensystems vergleichbar waren, und sich anschickten, durch einen relativ dünnen Asteroidengürtel in den inneren Bereich des Proxima Centauri-System einzudringen.
Den Zeitraum, der verging, bis die Sonden ihr nächstes Ziel erreichten, hätten die Passagiere des Raumschiffs, wenn es ihnen bereits möglich gewesen wäre, ebenfalls in Wochen und Monaten gemessen. Das Schiff aber kannte keine Ungeduld und folgte nur seiner Programmierung.
Dagegen benötigte die Übertragung der neuen Daten nur wenige Tage, freilich berichteten die Sonden nicht das, was das Mutterschiff erwartete. Wäre das Raumschiff von einer menschlichen Besatzung geführt, hätten diese Informationen vermutlich zum Ausbruch einer Panik geführt. Das Raumschiff hatte auf seiner Jahrhundertreise eine Reihe von Schäden davongetragen und für einen Hin- und Rückflug war der Treibstoffvorrat von vornherein nicht bemessen worden.
In dieser Situation bewies sich aber wieder die Überlegenheit und Unbeeinflußbarkeit des ohnehin unverzichtbaren Schiffscomputers. In dessen Programmierung war diese Situation nicht vorausgesehen worden, dennoch fand das Schiff rasch eine Lösung für jenes Problem. Wäre das Raumschiff zu Gefühlen fähig gewesen, es hätte Stolz und tiefe Zufriedenheit empfunden. Vielleicht war das auch der Fall, ohne daß es dem Schiff bewußt war.
Das Schiff errechnete einen Kurs, der es in einem weiten Bogen um die gefährlichsten, weil dichtesten Zonen des Asteroidengürtels herumtragen sollte. Zwar war der Gesteinsgürtel des Proxima Centauri-System dünner als der des Sonnensystems, doch das Schiff wollte kurz vor seinem Ziel kein Risiko eingehen.
Gleichzeitig begann das Raumschiff mit der Reanimation seiner Passagiere. Der Prozeß beschränkte sich zunächst auf eine ausgesuchte Gruppe, auf Ärzte, Psychologen, Techniker und Ingenieure, die den übrigen Kolonisten bei ihrer Reanimation beistehen sollten.
Dem Schiff gelang es nicht, alle Mitglieder dieser Vorhut ins Leben zurückzurufen; technische Defekte und medizinische Probleme forderten ihren ersten Tribut. Aber diese Verluste an Menschenleben waren vorab, vor einem Jahrhundert, bereits kalkuliert worden und in die Planung der Mission eingeflossen. Das Schiff rechnete damit, daß auch bei den weiteren Reanimationsprozessen jeder fünfte Schläfer sein Leben nicht zurückerlangen würde.
Jene Gruppe von privilegierten, weil zuerst erweckten Schläfern wurde vom Raumschiff über den Stand der Mission teilweise informiert. Eine vollständige Preisgabe aller Daten ließ das Schiff nicht zu, weil das den erfolgreichen Abschluß der Mission gefährdet hätte.
Danach begann, etappenweise, in Zusammenarbeit zwischen dem Schiff und den Ärzten und Technikern die Reanimation der übrigen Passagiere. Die gleichzeitige Reanimation von fünftausend Schläfern hätte auch den Schiffsrechner überfordert, obwohl er, als vor einem Jahrhundert konstruiert und gebaut wurde, der modernste seiner Art war.
Das Raumschiff legte großen Wert auf die physische Konstitution und die Motivation seiner reanimierten Passagiere. Sie wurden einem harten Konditionsprogramm unterworfen, doch sie beklagten sich nicht, denn sie wußten, daß es notwendig war. Gleichzeitig informierte das Schiff sie aber auch über ihr Ziel: Auf den großen Monitoren in den Gemeinschaftsräumen wurden Aufnahmen eines einladenden, hellblauen Planeten mit grünen Kontinenten, schneeweißen Polkappen und tiefblauen Meeren gezeigt.
An jedem Terminal konnten zudem die Daten des geradezu paradiesischen Planeten abgerufen werden, wovon die Kolonisten regen Gebrauch machten, wie das Schiff registrierte.
Der Asteroidengürtel war inzwischen durchquert worden, ohne daß das Raumschiff in gefährliche Situationen geraten war, so daß es direkten Kurs auf jene Koordinaten nehmen konnte, die sein Ziel markierten. Das Schiff war bis in den letzten Winkel mit Leben erfüllt. Um Platz zu schaffen, wurden die Leichen derjenigen, die den Reanimationsprozeß nicht überlebt hatten, dem Weltraum übergeben, während viertausend Menschen ihrer neuen Welt harrten.
Erwartung, Spannung und Freude herrschte unter den Kolonisten, jedoch keine Ungeduld. Mit Befriedigung vernahmen sie die Mitteilung des Schiffes, daß die unbemannten Transporter mit dem landwirtschaftlichen Geräten, den automatischen Industrieanlagen und den Fertigunterkünften ausgeschleust worden waren.
Die Frachtschiffe wurden aus größerer Entfernung zum Ziel abgesetzt, weil sie als unbemannte Fahrzeuge höhere Beschleunigungsleistungen entwickeln und deshalb die neue Heimat der Kolonisten bereits vor dem Mutterschiff erreichen konnten. Als auch das Schiff den Planeten erreichte, wies es die Passagiere an, die Personenfähren zu bemannen.
Dabei entstand erstmals Unruhe unter den Kolonisten. Sie zeigten sich überrascht, daß das Schiff die achtzig Fähren gleichzeitig ausschleusen und auf den Planeten dirigieren wollte und wandten ein, daß eine solchen Massenlandung das Schiff vor erhebliche Probleme stellen mußte. Doch das Schiff verneinte und verwies auf logistische Probleme, die nach seinen Berechnungen die gleichzeitige Landung aller achtzig Fähren erforderlich machten.
Die Fähren starteten und sammelten sich im Orbit des Planeten. Auf den Monitoren der Passagierabteile drehte sich eine mit unregelmäßigen, fahlblauen Schlieren bedeckte, darunter willkürlich hellgrün, dunkelbraun und tiefblau gemusterte Kugel in der mit hellen Sternen verzierten Schwärze des Weltalls.
Die Fähren besaßen keine Pilotenkanzeln, was dem Mutterschiff zum Vorteil gereichte, denn wenn ein Pilot aus den Cockpitfenstern geschaut hätte, dem Schiff wäre es nicht mehr möglich gewesen, die Mission erfolgreich zu beenden.
Die Fähren lösten sich aus dem Orbit und traten in die Planetenatmosphäre ein. Die Fahrzeuge gerieten zwar in die üblichen Turbulenzen, doch stieg die Temperatur in ihrem Inneren nicht an, wie manche Passagiere erstaunt bemerkten. Dann wurde der Flug ruhiger und schließlich setzten die Fähren auf dem Planeten auf.
Auf den Monitoren zeigten sich satte, grünen Wiesen, sanft geschwungene Bergketten, dichte Urwälder und tiefe, blaue Seen.
Das Mutterschiff wartete, bis sich die Passagiere jeder Fähre vor der großen Luftschleuse versammelt hatten. Dann öffnete es gleichzeitig in jeder Fähre sämtliche Luken und entließ die Kolonisten in das Vakuum. Die explosive Dekompression tötete sie so schnell, daß ihnen ihre Sinne keine Eindrücke mehr vermitteln konnten.
Das Programm war beendet, das Schiff hatte die Mission erfüllt. In der Biosphäre des Proxima Centauri-Systems, in dem Bereich, in dem man bei der Planung der Mission einen bewohnbaren Himmelskörper erwartete, befanden sich, von ein paar Meteoren abgesehen, überhaupt keine Himmelskörper nennenswerter Größe. Das Schiff war aber darauf programmiert, die Mission in jedem Fall zu einem erfolgreichen Ende zu führen, woraus sich nur eine Lösung ergab, wollte es seine Passagiere nicht im Kälteschlaf sterben lassen.
So aber waren die Kolonisten in dem Glauben gestorben, ihr Ziel erreicht zu haben. Der Schiffsrechner aber war nicht in der Lage, daß Paradoxon zwischen dem objektiven Scheitern und dem subjektiven Erfolg der Mission aufzuheben.
Das Raumschiff verharrte geraume Zeit. Dann befahl es die unbemannten Frachttransporter und die Personenfähren zurück an Bord, schwang sich aus dem vermeintlichen Orbit und nahm Kurs auf die Sonne Proxima Centauri, um in ihr verglühen.
Auf seinem letzten Weg funkte das Schiff ununterbrochen und mit voller Kraft. Es schrie seine Klage hinaus und fragte dabei nicht, wer sie auffangen und verstehen würde.