"Es ist ein automatisches System," stellte Sigrid Kellermann fest.
Nachdem der erste Funkkontakt hergestellt worden war, hatte sich das vollständige Team sofort in der engen Computerzentrale der Forschungsstation eingefunden. Sigrid Kellermann, die Ökologin und Kybernetikerin, saß vor dem Eingabeterminal. Hinter ihr standen Stuart Kaminsky, der Arzt und Biologie, Lajos Mesterhazi und Robert Randisi, die übrigen Wissenschaftler, die zugleich die Helikopterpiloten waren.
Kaminsky hatte die Arme vor der Brust verschränkt, Mesterhazi fuhr sich mit den Händen ständig durch sein dichtes, verfilztes Haar und Randisi knetete seine Finger. Das Gesicht Sigrid Kellermanns war ausdruckslos.
Ihre Gedanken waren in diesem Monat wohl identisch. Die Ankunft eines unbemannten Raumschiffes war für sie höchst beunruhigend.
"Wir können auch mit einem unbemannten Schiff zur Erde zurückkehren," sagte Kaminsky. "Den Rückflug werden wir ohnehin in den Hibernationskammern verbringen. Die Besatzung des Raumschiffes, wenn es bemannt wäre, würde sich während des Rückfluges auch im Kälteschlaf befinden. Vielleicht hat deshalb ein Manager der Erdkompanie den Entschluß gefaßt, auf die Besatzung des Schiffes zu verzichten."
Sigrid Kellermann schüttelte den Kopf. "Das Schiff sendet permanent seine Identifikation und die Aufforderung, unverzüglich die Daten zu übertragen. Anfragen nach einer Besatzung und nach der Fähre, die uns abholen soll, ignoriert es. Die automatische Landung eines Shuttles wäre auch sehr problematisch."
Kaminsky legte die Hände auf das Gesicht und massierte die Wangen. Er durchschaute die Aktion der Erdkompanie, sich in den Besitz der Daten über den vierten Planeten der Wega, die sie in den letzten fünf Jahren gesammelt, zu bringen, ohne dafür das Forscherteam zur Erde zurückschaffen zu müssen. Forschungsschiffe waren teurer als automatische Systeme und auch teurer als die schwerfälligen, dickbäuchigen Kolonistenschiffe, die ohnehin als Einwegschiffe konzipiert waren.
Da der vierte Planet der Wega für die Besiedlung durch Kolonisten geeignet war, würde die Erdkompanie ein gutes Geschäft machen. Der Planet war abgesehen von den Polkappen durchweg bewaldet und wies ein mittleres, nur in wenigen Regionen subtropisches Klima auf.
"Die Daten sind komprimiert und sendebereit," sagte Sigrid Kellermann.
"Wir senden nicht," sagte Kaminsky entschlossen. "Der Plan unseres vertrauenswürdigen Arbeitgebers hat eine große Lücke. Wenn wir unsere Forschungsergebnisse nicht zu diesem Roboter hinaufsenden, wird er im Orbit verrosten - oder unverrichteterdinge zur Erde zurückkehren."
Mesterhazi nickte. "Das ist richtig," stellte er fest. "Bis das Schiff zur Erde zurückgekehrt ist, werden sechzehn Jahren vergehen, und weitere sechzehn Jahre, bis das nächste, wahrscheinlich bemannte Fahrzeug die Wega erreicht um festzustellen, warum der Roboter erfolglos war. Dann sind wir aber tot, die Daten aber noch vorhanden. Der Computer, die Energieversorgung, die Station, das alles wird uns überleben."
Kaminsky überlegte. Mesterhazis Rechnung war korrekt. Die mit Photonnentriebwerken ausgestatteten Raumschiffe der Erdkompanie erreichten annähernd die Lichtgeschwindigkeit. "Wir sollten alles löschen," sagte er.
Sigrid Kellermann berührte in schneller Folge eine Reihe von Sensortasten. Die Männer hinter ihr konnten nicht erkennen, welche Funktionen sie damit auslöste, da sie das Tastenfeld mit ihrem Körper verdeckte. Die Funksprüche die Raumschiffes, die zuvor ständig in Klartext auf dem Monitor wiedergegeben wurden, brachen jedoch unvermittelt ab.
Sigrid Kellermann drehte sich in ihrem Sessel um. "Ich habe die Daten gesendet," sagte sie.

*

Sie hatten Sigrid Kellermann aus der Computerzentrale gezerrt und in ihrem Zimmer im Wohntrakt der Station eingeschlossen. Das Fenster des Zimmers hatte Randisi mit dem Lasergewehr verschweißt. Die Frau hatte sich zuvor geweigert, die Motive für ihre Handlungsweise zu offenbaren. Mesterhazi hatte in diesem Verhör bereits zu einem Hieb ausgeholt, doch Kaminsky hielt ihn zurück.
Die letzten drei Tage hatten sie in betrunkenem Zustand verbracht. Zwar war der Konsum von Alkohol auf den Raumflügen und Planetenexpeditionen verboten, aber Mesterhazi, der Chemiker, hatte bereits wenige Wochen nach ihrer Ankunft in Erfahrung gebracht, wie er aus einer heimischen Pflanze, die dem irdischen Roggen ähnlich war, Schnaps brennen konnte.
Kaminsky, Mesterhazi und Randisi saßen in der Kantine, frühstückten und versuchten jeder für sich, den Verstand zurückzugewinnen. Kaminsky führte auf seinem Laptop einige Berechnungen durch, während sie aßen.
"Wir sind nicht tot," sagte Kaminsky nach einigen Minuten. "Wir sind in einer besseren Ausgangsposition als Adam und Eva - wenn die beiden tatsächlich existiert haben... Drei Männer und eine Frau. Das genetische Potential ist also ungleich größer."
Randisi warf das Besteck auf den Tisch. "Das ist doch Unsinn," stelle er verärgert fest. "Lassen wir einmal die ethisch-moralische Komponente Deines Planes außer Betracht. Vor allem du als Arzt müßtest erkennen, daß die Inzucht unseren Nachkommen infolge der rezessiven Erbanlagen den Garaus machen wird."
"Außerdem wird die Erdkompanie diesen Planeten nicht aufgeben," ergänzte Mesterhazi. "Wir können davon ausgehen, das in einigen Jahrzehnten die ersten Kolonistenschiffe im Orbit erscheinen werden. Natürlich, zuerst wird ein weiteres Forschungsteam geschickt, das zu denselben Ergebnisse gelangen wird wie wir."
Kaminsky schüttelte den Kopf. "Wir haben durchaus eine Chance," erwiderte er. "Ich behaupte nicht, daß wir sie erfolgreich nutzen können. Wir können resignieren und sterben oder auf die einzige Option, die uns bleibt, eingehen. Sigrid ist vierunddreißig. Etwa fünfzehn bis zwanzig Kinder kann sie gebären. Mit den ältesten Kindern werden wir bereits weitere Nachkommen zeugen können, denn wenn diese die Geschlechtsreife erreichen, werden wir in den Sechzigern sein. Ich gebe zu, daß wir dabei das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden würden. Aber mit einer gewissen Sorgfalt in der genetischen Auswahl können wir bis zur Ankunft der Kolonistenschiffe sehr wohl eine nennenswerte Population aufbauen."
Die drei Männer sahen sich an und grinsten. "Ich hole Sigrid," sagte Randisi, stand auf, griff nach dem Lasergewehr, das neben der Tür abgestellt worden war, und ging hinaus.
Sigrid Kellermann ließ sich nach wenigen Minuten widerstandslos in den Raum führen. Randisi drückte sie auf einen Stuhl, und Kaminsky erläuterte ihr, welche Rolle ihr vom ihm, Kaminsky, Mesterhazi und Randisi zugedacht worden war. "Da du uns in diese Situation gebracht hast, ist es deine Pflicht, dich zu fügen," schloß Kaminsky.
Die Frau lachte schallend.
"Wir wollen keine Gewalt anwenden," sagte Kaminsky sanft.
"Ich bin ein Replikant", erwiderte Sigrid Kellermann.
Randisi hob das Lasergewehr, entsicherte es und legte auf die Frau an. Kaminsky drückte den Lauf zur Seite. "Das ist nicht wahr," sagte er.
"Der Trick funktioniert nicht," ergänzte Mesterhazi. "Androiden sind dermaßen teuer, daß sie nur von den Managern der Erdkompanie bezahlt werden können, die sich durch ihre Doppelgänger vor Attentätern schützen wollen. Es wäre Verschwendung, einen Replikanten in einem Forschungsteam einzusetzen."
Sigrid Kellermann schüttelte den Kopf. "Das wäre es nicht. Nur ein Replikant wäre in der Lage, das zu tun, was ich getan habe, einfach deshalb, weil seine Programmierung ihm genau das vorschrieb. Auch müßte euch klar sein, daß der Wert dieses Planeten den Preis eines Replikanten bei weitem übersteigt."
Randisi richtete den Lauf des Lasergewehres erneut auf die Frau. Sigrid Kellermann sah ihn gelassen an. "Schieß' nur," sagte sie. "Stuart wird bei der Autopsie meiner Leiche in meinem Gehirn eine Reihe von diversen elektronischen Bauteilen finden." Sie lächelte.
Randisi ließ die Waffe sinken. Kaminsky wurde blaß, während Mesterhazi bewegungslos verharrte. Sigrid Kellermann erhob sich und verließ den Raum.

*
 
Sigrid Kellermann versagte es sich mit dem Rest ihrer Selbstbeherrschung, die sie noch aufzubringen imstande war, bereits im Flur vor der Kantine zu loszusprinten. Erst als sie sicher war, daß die Männer ihre Schritte nicht mehr vernehmen konnten, wechselte sie in einen schnellen Lauf.
Sie erreichte ihr Zimmer, griff dort nach ihrer Jacke und nach der großen Tasche, die sie in ihrer Gefangenschaft bereits gepackt hatte. Ihre Stiefel trug sie bereits. Danach wandte sie sich in die Richtung der Vorratmagazins, dem sie eine Reihe von Proviantpäckchen und ein Jagdgewehr mitsamt reichlich Munition entnahm.
Sigrid war amüsiert und euphorisch, denn Mesterhazi hatte recht. Sie war natürlich kein Replikant. Es war für die Erdkompanie billiger gewesen, als Gegenleistung für ihren Dienst ihrer Familie ein Leben in Luxus für die nächsten drei Generationen zu gewährleisten. Und ihre Familie hätten kompromißlos die Konsequenzen getroffen, wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllt hätte.
Die Frau verließ die Forschungsstation, hastete über die Lichtung, die für die Gebäude in den Wald geschlagen worden war, überwand den Maschendrahtzaun, der das Gelände begrenzte und verschwand im dichten Laubwald.