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„Olympos“,
2005, deutsche Erstveröffentlichung, aus dem Amerikanischen
von Peter Robert, Heyne TB 52123, 2006, 957 Seiten, 15,00 EUR.
Coverzeichnung: N. N.
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OLYMPOS
ist der voluminöse Nachfolgeband von ILIUM (Heyne TB 8320), um mehr
als 100 Seiten umfangreicher und in einem engeren Satz. Die Romane wiederum
bilden zusammen die Fortsetzung der Kurzgeschichte „Der neunte Av“
aus WELTEN UND ZEIT GENUG (Festa SF 1801), in der die letzten Überlebenden
einer bakteriologischen Katastrophe, dem Rubikon, für mehrere tausend
Jahre gespeichert, weggefaxt werden sollen, damit ihre Nachfolger, die
Nachmenschen, die Verwüstungen auf der Erde beseitigen können.
Die etwa 9.000 Altmenschen sind interessanterweise durchweg Juden, und
die Story deutet an, dass das letzte Fax ihrer Vernichtung dient.
In ILIUM berichtete der ehemalige Philosophie-Professor Thomas Hockenberry
den Musen über den Verlauf des Trojanischen Krieges, vor allem über
die Abweichungen zu Homers ILIAS-Epos. Hockenberry wird klar, dass er
sich nicht in dem historischen trojanischen Krieg befindet, außerdem
gerät er die Intrigen der (klassischen) griechischen Götter.
Von denselben Göttern wird die Expedition der Moravecs, organisch-kybernetischen
Lebensformen, die vor Jahrtausenden von den Menschen erbaut und in das
Sonnensystem entsandt wurden, im Marsorbit abgeschossen. (Der Olymp ist
tatsächlich der Olympus Mons auf dem terraformten Mars.) Auf der
Erde macht sich eine Gruppe von Altmenschen zu einer Odyssee über
die entvölkerte Erde und auf einen Asteroiden in der Erdorbit auf,
in dem sie dem Zauberer Prospero begegnen und das Monster Caliban bekämpfen
müssen.
ILIUM endet mit dem gemeinsamen Kampf der Griechen, Trojaner und Moravecs
gegen die Götter. Der Roman zeichnet sich durch eine zügige
Handlung und einige interessante Ideen aus, weckt freilich auch Erwartungen,
nämlich nach einer zufriedenstellenden Erklärung für die
Handlungsteile, die ohne weiteres kaum zusammenpassen wollen.
In OLYMPOS zerbricht zunächst die Allianz zwischen den Griechen und
den Trojanern. Die Moravecs setzen ihre Expedition fort, und zwar zur
Erde, auf der sie die Verursacher der Quantenaktivitäten vermuten,
mit der die Götter des Olymp arbeiten (die ILIUM-Erde ist eine Parallelwelt).
Dort müssen sich die Altmenschen den Zusammenbruch der Technik, die
ihnen bislang ein sorgenfreies Leben ermöglichte, bewältigen,
und sich der Angriffe der roboterähnlichen Voynixe erwehren, die
bislang ihre Diener waren. Über diversen Orten entstehen zudem große,
bläuliche Eiskuppeln: Setebos kehrt zurück. Zwischen dem Olymp,
der ILIUM-Erde und der Moravec-Expedition pendelt natürlich Thomas
Hockenberry.
Während der Leser manche Zusammenhänge erahnen kann –
die Götter sind aus den Nachmenschen hervorgegangen, die die Altmenschen
auf der Erde zurückließen, immerhin gut versorgt –, stellt
sich die Frage nach dem Sinn der Existenz von Figuren wie Prospero, Setebos,
Caliban u. a., die ursprünglich aus einem Stück William Shakespeares
stammen (Simmons hat in vielen seiner früheren Romane bereits Bezug
auf Werke der klassischen Literatur genommen). Die Antwort des Autors
fällt dürftig aus: „Die Nachmenschen haben Bran-Löcher
in alternative Universen geöffnet, die durch die konzentrierten Linsen
bereits existierender holografischer Wellenfronten entstanden oder zumindest
wahrgenommen worden waren. Menschliche Fantasie. Menschliches Genie.“
(Seite 638).
Dieses Zitat illustriert sehr schön, wo durch sich OLYMPOS –
noch mehr als ILIUM – auszeichnet, nämlich durch inhaltliche
Beliebigkeit. Simmons verwendet eine so große Zahl von Ideen, das
dem Leser bei der Lektüre schwindlig werden könnte. Teilweise
kopiert er sich sogar selbst: das Konzept des Bewusstseins als stehende
Wellenfront, die Verwendung teleportierender Menschen als organische Rechenkapazitäten,
das Teleportieren ohne technische Hilfsmittel u. a. hat Simmons bereits
in anderen, gelungeneren Roman verwandt. In OLYMPOS fehlt dieser Ideenflut
– Ideenfeuerwerk zu sagen wäre nicht angemessen – jedoch
die Kohärenz und ein Konzept. Es scheint, als habe Autor erst entschieden,
wie er dieses Konglomerat an Einzelteilen zusammenfügt, als sie komplett
vor ihm lagen.
Allein der alternative Verlauf des trojanischen Krieges hätte genügend
Stoff für einen (kompakteren) Roman geboten. Mit Romanen wie DAS
SCHLANGENHAUPT (Goldmann TB 41405) und FIESTA IN HAVANNA (Goldmann Paperback
54126) hat Simmons bereits bewiesen, dass er auch Stoffe jenseits der
Science Fiction und des Horrors souverän beherrscht.
Immerhin gelingt es Simmons, die Handlung in OLYMPOS zu einem Ende zu
führen, das keine inneren Widersprüche aufweist. Der Roman bleibt
allerdings zu umfangreich: Die Geschehnisse auf der Erde nehmen großen
Raum ein, sind im Vergleich zu den übrigen Teilen jedoch die unwichtigsten.
Die Bemühungen Achilles’ um die Auferstehung der Amazone Penthelisea
führen zum Tod von Zeus’, sind für diesen Zweck jedoch
auch zu langwierig. Die Bergung von Schwarze Loch-Sprengköpfen aus
einem U-Boot des „Globalen Kalifats“ gibt Anlass für
einen zwiespältigen Eindruck, zumal Simmons zuvor die Info gab, dass
de Rubikon von der islamischen Welt ausgelöst wurde. Ist das „nur“
eine Konzession an die vermeintliche Stimmung in der (US-amerikanischen)
Leserschaft des Autors?!
OLYMPOS befriedigt nicht die Erwartungen, bestätigt aber die Skepsis,
die ILIUM hinterließ, und würde weniger enttäuschen, wenn
Simmons sowohl auf die literarischen Anleihen als auch auf Infos aus dem
geschichtlichen Hintergrunds der Erde der Altmenschen und auf einen großen
Teile der dort spielenden Handlung verzichtet hätte. Aber auch in
diesem Fall könnte OLYMPOS (und mit ihm auch ILIUM) mit den brillantesten
Romanen des Autors wie den HYPERION- und ENDYMION-Bände (u. a. als
Heyne SFTB 8005 und 8806 bzw. als Goldmann Paperback 43351 und 43352)
nicht einmal ansatzweise gleichziehen. Für Leser, die Dan Simmons
schätzen gelernt haben, dürfte OLYMPOS eine große Enttäuschung
sein.
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