Peter Straub

DER SCHLUND

„The Throat“, 1993, Nachdruck, aus dem Amerikanischen von Edith Walter, Heyne TB 56503, 2005, 811 Seiten, 9,95 EUR.
Coverzeichnung: N. N.

Nachdem der Heyne Verlag im vergangenen zwei neue Romane des US-amerikanischen Horror-Autors Peter Straub veröffentlichte (DAS SCHWARZE HAUS, gemeinsam mit Stephen King [TB 13909], und DAS HAUS DER BLINDEN FENSTER [Paperback 43000]), erschien mit DER SCHLUND nunmehr ein Nachdruck. Der Roman wurde erstmals 1993 als Hardcover vom Zsolnay Verlag publiziert.
Hauptfigur des Romans ist (wie in einigen anderen Büchern des Autors auch) der Schriftsteller Tim Underhill, der von seinem Schul- und Vietnamkriegskameraden John Ransom zur Rückkehr in die gemeinsame Heimatstadt Millhaven gebeten wird: Ransoms Frau April liegt im Koma, sie ist offenbar dem „Blaue Rose“-Mörder zum Opfer gefallen, der in Millhaven bereits vor vier Jahrzehnten sein Unwesen trieb und vermutlich auch Underhills Schwester tötete. Als Mörder wurde seinerzeit ein Polizist ermittelt, der Selbstmord beging, doch Underhill hat weder das eine noch das andere geglaubt. So kann er keine andere Entscheidung treffen als Ransoms Bitte zu folgen.
DER SCHLUND ist ein breit angelegter Roman, der Vergangenheit und Gegenwart, Vietnam und die USA sowie die Protagonisten miteinander verbindet. So kann Underhill nicht nur die Identität des tatsächlichen „Blaue Rose“-Mörders ermitteln, er findet auch heraus, wer zu seinem Nachfolger (nicht Nachahmer!) geworden ist. DER SCHLUND ist stilistisch wie Straub-üblich auf hohen Niveau und bietet dem Autor genügend Raum, um auch seine übrigen Fähigkeiten zu entfalten, insbesondere um eine dichte Atmosphäre aufzubauen, um das Interesse des Lesers zu erwecken und zu erhalten, um die diversen Protagonisten und die Geschehnisse darzustellen, die Underhill zur Aufklärung der Morde führen.
DER SCHLUND ist ein Krimi, kein Horror-Roman in dem Sinne, dass der Schrecken aus einer jenseitigen Welt in unsere eindringt – von einigen Geistererscheinungen in den Rückblenden in diversen Szene im Vietnamkrieg abgesehen. Der Roman bietet einen eher psychologischen Horror, auf der einen Seiten den Schrecken der Morde (vor allem durch ihre Anzahl und ihre Ausführung), zum anderen der Einblick in die Mentalität eines Massenmörders, die freilich nur aufgrund von Indizien und seiner Lebensumstände erfolgt und wahrscheinlich auch nur erfolgen kann.
Als Krimi aber steht DER SCHLUND in logischer Hinsicht, insbesondere zum Schluss, auf etwas wackeligen Füßen. So kommt Underhill über eine Autozulassung auf die Spur einer Holding-Gesellschaft, hinter der sich der (Massen-) Mörder verbirgt. Zwar macht es Sinn, über die Holding Grundstücksgeschäfte zu verschleiern, aber sie auch zur Zulassung von Fahrzeugen zu benutzen, ist ein unnötiges Risiko. Der Roman weist außerdem ein doppeltes Ende auf. Der vermeintliche Mörder wird beim ersten Showdown erschossen, bevor sich herausstellt, dass er von Underhill falsch identifiziert worden war – aufgrund eines Missverständnisses. Den tatsächlichen Mörder stellt Underhill in einer Situation, die er schuf, indem er mehrere Verdächtige anrief und ihnen Informationen über die Morde in Aussicht stellte – eine mehr als klassische Situation.
Einen direkten Vergleich mit den jüngsten Romanen Autors, der unmotivierten Koproduktion DAS SCHWARZE HAUS und dem seichten DAS HAUS DER BLINDEN FENSTER, entscheidet DER SCHLUND für sich. In DER SCHLUND hat Straub – vor mehr als zehn Jahren – mehr Engagement investiert als in seinen neuen Romanen, was zu einem wesentlich befriedigenderen Leseerlebnis führt. Es ist erfreulich, dass Heyne den Roman den deutschen Lesern wieder zugänglich gemacht hat, und es ist zu hoffen, dass Straub in Zukunft wieder zu diesem Können zurückfinden wird. Auch angesichts der günstigen Taschenbuchausgabe neige ich dazu, über die logischen Schwächen in DER SCHLUND hinwegzusehen.

 

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