DIE WELT DER TAUSEND EBENEN von Philip José Farmer Einer der Zyklen in dem umfangreichen Werk des US-amerikanischen SF-Autors Philip José Farmers ist DIE WELT DER TAUSEND EBENEN – ein übertriebener Titel, denn in den sechs bislang in deutschen Übersetzungen erschienenen Bänden kreiert der Autor keine einzige Welt, die auch nur annähernd eintausend oder auch nur ein Dutzend Ebenen aufweist. Nach den Informationen im LEXIKON DER SCIENCE FICTION LITERATUR ist der Zyklus auf sieben Romane angelegt. Erfahrene SF-Leser werden Philip José Farmer sicherlich bereits mehrfach begegnet sein. In Deutschland sind über 40 Romane und Kurzgeschichtensammlungen aus seiner Feder veröffentlicht worden, darunter der FLUSSWELT-Zyklus und der Roman DIE LIEBENDEN (der erstmals in der Geschichte des Genres Sex zwischen Menschen und Aliens thematisierte). Dem Autor blieben zwar Auszeichnungen nicht versagt (er gewann zweimal den HUGO, u. a. für den ersten Roman des FLUSSWELT-Zyklusses, DIE FLUSSWELT DER ZEIT), jedoch wurde er vornehmlich durch seine Produktivität und seine abenteuerlichen Stoffe im Genre bekannt. Robert Wolff, ein kurz vor seiner Pensionierung stehender Universitätsdozent, wird in MEISTER DER DIMENSIONEN während einer Hausbesichtigung mit einem seltsamen Phänomen konfrontiert: In einem Kellerraum öffnet sich ein Tor, das in eine andere Welt zu führen scheint – aus Frust über sein bisheriges Leben tritt Wolff hindurch. Er findet sich in einer scheinbar paradiesischen Welt wieder, die von Wesen, die der griechischen Mythologie entsprungen scheinen, bevölkert wird und auf ihn die Wirkung eines Jungbrunnens hat. Doch vor seinem Wechsel in diese Welt hatte er bereits die Gworls erblickt, koboldähnliche Kreaturen, die Kickaha, einen weiteren Menschen, hetzten. Die Gworls werden auch auf Wolff und seine (spätere) Begleiterin Chryseis aufmerksam. Sie werden getrennt, und Wolff macht sich gemeinsam mit Kickaha auf die Suche nach Chryseis und nach jenem "Herrn", der nicht nur über die Gworls gebietet, sondern auch diese Welt erschaffen hat. Der Aufstieg in der WELT DER TAUSEND EBENEN beginnt: von dem Garten Eden nach Amerinda, das Nord- und Südamerika vor der europäischen Kolonisation nachempfunden ist, von dort nach Drachenland, einer mittelalterlichen Welt, weiter nach Atlantis, unmittelbar unter dem Palast des Lords, der über die Welt der fünf Ebenen herrscht, die auf kilometerhohen Monolithen aufeinander ruhen. Farmer offenbart bereits in dem ersten Band des DIE WELT DER TAUSEND-Zyklusses viele Hintergrundinformationen. Die Welt von MEISTER DER DIMENSIONEN wurde von einem der zahlreichen Lords erschaffen. Die Lords, eine alte Rasse mit offenbar unermeßlichen technischen Möglichkeiten, hat es sich offenbar zum Vergnügen gemacht, Universen zu erschaffen, die nur wenigen Welten Platz bieten, die sie individuell gestalteten. Dimensionstore stellen Verbindungen zwischen ihnen her. Die Lords sind sich feindlich gesinnt, so daß es nicht überrascht, daß sich Wolff als der vertriebene Herrscher der Welt der fünf Ebenen entpuppt, der am Ende des Romans seinen Palast zurückerobert. In WELTEN WIE SAND wird Chryseis, die Gefährtin Wolffs, entführt. Wolff folgt ihr und dem Kidnapper – seinem Vater Urizen – natürlich und materialisiert nach dem Durchgang auf einer Wasserwelt, die lediglich schwimmende Inseln aus pflanzlichem Material aufweist. Hier trifft Wolff auf seine Geschwister, die ebenfalls von Urizen aus ihren Palästen gelockt wurden. Sie legen ihre Streitigkeiten bei, und ihre Odyssee durch eine Reihe von Dimensionstoren und auf die übrigen Welten dieses Taschenuniversums beginnt, bis sie Urizen in seinem Palast zum Kampf stellen können. Farmer entwirft in WELTEN WIE SAND neue Welten, die über die Dimensionstore zwar einfacher erreichbar als die Ebenen in MEISTER DER DIMENSIONEN sind, sich aber deutlicher voneinander unterschieden. Irdische Vorbilder für die Wasserwelt mit ihren verschiedenen Bewohnern sind ebensowenig wie für die übrigen Planeten dieses Universums, die noch fremdartiger anmuten, kaum auszumachen. Der spielerischen Jagd auf Zeithüpfer (eine Antilopenart, die sich durch die Zeit bewegen kann) stellt der Autor den wenig appetitlichen Kannibalismus seiner Protagonisten gegenüber. In LORD DER STERNE kehrt Farmer in die Welt der fünf Ebenen zurück. Der Protagonist in dem Roman ist Kickaha, der in Amerinda mit der Invasion durch die Bewohner des Drachenlandes konfrontiert wird. Er trifft auf fliehende Lords, u. a. auf Anana, Wolffs Schwester, die ihn davon informieren, daß die Invasion von den schwarzen Schellern gelenkt wird. Die Scheller sind künstliche Intelligenzen, die sich aus Gedächtnisspeichern der Lords entwickelt haben und Schellen ähneln... Sie sind in der Lage, das Bewußtsein eines Individuums auszulöschen und ihres in die nunmehr geistlose Hülle zu transferieren. Kickaha gewinnt (zeitweilige) Verbündete und nimmt den Kampf gegen die Scheller auf, der überwiegend auf Amerinda ausgetragen wird, ihn aber auch auf den Mond der Welt der fünf Ebenen und in den (verlassenen) Palast Wolffs führt, in dem er die übrigen Scheller bis auf einen töten kann, der auf die Erde flieht. LORD DER STERNE spielt auf der aus MEISTER DER DIMENSIONEN bekannten Welt, Farmer betreibt in der Amerinda-Ebene etwas Landschaftsmalerei, lediglich der Mond ist ein neues Ausstattungsstück, der aber ein literarisches Vorbild hat. Das Schreckgespenst der Individuen auslöschenden Scheller mag furchteinflößend gemeint sein, ist aber nur plump. Reizvoll wird LORD DER STERNE eher durch die Figur des Kickaha, der unbekümmerter und lebhafter agiert als Wolff als in den zwei Romanen zuvor. In HINTER DER IRDISCHEN BÜHNE gelangen Kickaha und Anana nicht nur auf die Erde, sondern auch in den Visier Red Orcs, des (heimlichen) Lords der Erde. Genau, das Sonnensystem ist auch ein künstlich geschaffenes Taschenuniversum, was die bemerkenswerteste Information ist, die Farmer in dem Roman über seine WELT DER TAUSEND EBENEN preisgibt. Mehr noch: Das Sonnensystem ist eine exakte Kopie des Ursprungsuniversums der Lords, das wiederum künstlich erschaffen wurde. Die Jagd nach dem überlebenden Scheller endet in der Mitte des Romans und mündet in einem Kampf zwischen Red Orc und seinem Widersacher Urthona, der die Erde zu okkupieren versucht. Farmer hat HINTER DER IRDISCHEN BÜHNE offenbar in den sechziger Jahren angesiedelt und mit einigen chronologisch passenden Klischees versehen: Seine Protagonisten begegnen übelwollenden Motorradgangs und haschrauchenden Hippies, die Lords setzen die Gangster dieser Zeit als Handlanger ein, die zu den ständigen Gegnern Kickahas und Ananas werden. Die obligatorischen Sprünge durch die Dimensionstore führen die Protagonisten auf den Mars, auf die Original-Erde und schließlich auf den PLANET DER SCHMELZENDEN BERGE. Der PLANET DER SCHMELZENDEN BERGE ist die Heimat Urthonas, eine Welt, deren Topographie im ständigen Wandel begriffen ist: Wo heute noch ein Fluß seinen Weg sucht, können sich morgen bereits Berge erheben. Es ist die bizarrste Welt, die Farmer in seinem DIE WELT DER TAUSEND EBENEN-Zyklus konstruiert, und die ihm Gelegenheit bietet, eine fremdartige Flora und Fauna zu präsentieren. Der Roman schildert die gemeinsame Suche der Protagonisten (Kickaha, Anana, Urthona, Red Orc und der Gangsterschergen des letzteren) nach dem Palast Urthonas, der auf willkürlichen Bahnen kurz über der Oberfläche des Planeten schwebt, ihre Begegnungen mit den Eingeborenen der Wandelwelt und natürlich ihre Kämpfe untereinander. Wolff und Chryseis, ehemals Gefangene Red Orcs, wurden bereits zuvor auf den PLANET DER SCHMELZENDEN BERGE transferiert. Doch zu einer Wiedervereinigung zwischen ihnen und Kickaha und Anana kommt es nicht. Nach einem Kampf in dem Palast Urthonas kann Red Orc auf die Erde fliehen, während sich Kickaha und Anana auf der Welt der fünf Ebenen in Sicherheit bringen, kurz bevor Urthona stirbt. Doch der Aufenthalt von Wolff und Chryseis ist ebenso (weiterhin) ungeklärt wie Identität des Fremden in Urthonas Palast. Farmer kreiert in den ersten fünf Romane des WELT DER TAUSEND EBENEN-Zyklusses abwechslungsreiche Welten mit einer vielfältigen Flora und Fauna, die jedoch nicht dem Vergleich mit einem fundierten Weltenentwurf wie beispielsweise dem HELLICONIA-Zyklus von Brian W. Aldiss standhalten. Aber das überrascht wegen der unterschiedlichen Intentionen, Ansprüche und Möglichkeiten der Autoren zugegebenermaßen nicht. Die Darstellung der Charaktere ist meist sehr einseitig. Die Lords sind ausgesprochen übelwollend, ohne daß dafür plausible Gründe genannt werden, erst unter dem Einfluß von Menschen ändern sie sich. Genauso wie die Charaktertypen wiederholen sich auch die Handlungsmuster in den fünf Romanen. Warum sich die Lords gegenseitig die Welten in den Taschenuniversen abzunehmen versuchen, bleibt im Grunde rätselhaft, denn immerhin bieten sie genügend Platz für sämtliche Lords. Als Erklärung mag allenfalls dienen, daß den Lords die Technologie für die Erschaffung weiterer Taschenuniversen verlorengegangen ist – aber damit vermeidet es der Autor, diverse Fragen halbwegs plausibel beantworten zu müssen. (Beispielsweise wie denn ein Taschenuniversum geschaffen wird...?!) DER ZORN DES ROTEN LORDS ist keineswegs, auch wenn der Titel das Gegenteil andeutet, die Fortsetzung der Geschehnisse aus PLANET DER SCHMELZENDEN BERGE. Der Roman ist im Grunde auch nicht der sechste Band des WELT DER TAUSEND EBENEN-Zyklusses. Farmer thematisiert in DER ZORN DES ROTEN LORDS vielmehr die (tatsächliche) Verwendung seiner WELT DER TAUSEND EBENEN in der psychiatrischen Therapie. Der Protagonist des Romans ist Jim Garrison, ein Jugendlicher, der in einer katholisch-kleinbürgerlicher Familie aufwächst, von seinem arbeitslosen Vater tyrannisiert wird und in seiner Schule ein Außenseiter ist. Nach diversen Eskapaden steht er vor der Wahl: Gefängnis oder Therapie. Letztere bestand darin, daß die Probanden die Identität einer Figur des WELT DER TAUSEND EBENEN-Zyklusses übernehmen und seine Abenteuer nach- oder neue erleben. Jim wählt Red Orc, allerdings zeitlich weit vor den Geschehnissen aus HINTER DER IRDISCHEN BÜHNE und PLANET DER SCHMELZENDEN BERGE. Red Orc ähnelt Jim, er ist ebenfalls im Jugendalter und hat Probleme mit seinem Vater, der ihn in eine unwirtliche Welt verbannt, von der durch die üblichen Dimensionstore und über weitere Planeten den Rückweg finden muß. Es überrascht, daß Farmer zunächst eine dichte, authentisch anmutende Schilderung des Lebens einer kleinbürgerlicher Arbeiterfamilie gelingt, die von wirtschaftlichen Änderungen betroffen und benachteiligt ist. Die Geschehnisse in den diversen Taschenuniversen entsprechen dagegen in wesentlichem dem, was Farmer bereits in den fünf Bänden des WELT DER TAUSEND EBENEN-Zyklusses präsentierte. Immerhin bietet er eine Erklärung für die Bösartigkeit der Lords an: Da sie als Kinder und Jugendliche von ihren Eltern tyrannisiert wurden, entwickelten sich ihre Charaktere in dieselbe Richtung. Freilich wird dieser Prozeß zu irgendeinem Zeitpunkt aus einem anderen Grund begonnen haben. So verzeiht Red Orc seinem Vater nicht, Jim dagegen sehr wohl, die Therapie war also erfolgreich. Der WELT DER TAUSEND EBENEN-Zyklus ähnelt in handwerklicher Hinsicht frappierend Farmers FLUSSWELT-Romanen. Beide Zyklen basieren im Grunde nur auf einer guten und reizvollen Idee: hier die Taschenuniversen, dort die Flußwelt, in der Verstorbenen sämtlicher Epochen auferstehen. In den Folgebänden werden die Plots nur wiederholt, was ihre Mankos deutlich werden läßt und weitere provoziert. Die Taschenuniversen muten sogar etwas überflüssig an: Farmer hätte die Welten, die er im Laufe der Romane entwarf, genauso in seiner ersten Welt, der angeblichen Welt der tausend Ebenen, ansiedeln können. Dann würde diese mehr als nur ein knappes halbes Dutzend Ebenen aufweisen... Erst in dem sechsten Band gewinnt Farmer der WELT DER TAUSEND EBENEN einen neuen Aspekt ab, der jedoch nicht von ihm selbst entwickelt wurde. Die
Lektüre der jeweils ersten Bände der Zyklen genügt also, wobei der erste
FLUSSWELT-Roman der interessantere ist. Der sechste Band des WELT DER
TAUSEND EBENEN-Zyklusses entstand 1993 und ist bislang noch nicht in
deutschen Übersetzung erschienen (der Originaltitel lautet MORE THAN
FIRE). Ein siebter Roman scheint dagegen noch nicht zu existieren, was
ebensowenig bedauerlich ist.
MEISTER DER DIMENSIONEN THE MAKER OF UNIVERSES, 1965, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Martin Eisele, Knaur SFTB 5715, 1979, Nachdrucke: Knaur SFTB 5766 (Sammelband DIE WELT DER TAUSEND EBENEN), 1983, Knaur TB 60511, 1996, Bechtermünz Verlag (Hardcover), 1999. WELTEN WIE SAND GATES OF CREATION, 1966, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Martin Eisele, Knaur SFTB 5718, 1979, Nachdrucke: Knaur SFTB 5766 (Sammelband DIE WELT DER TAUSEND EBENEN), 1983, Knaur TB 60512, 1996, Bechtermünz Verlag (Hardcover), 1999. LORD DER STERNE A PRIVATE KOSMOS, 1968, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Martin Eisele, Knaur SFTB 5723, 1979, Nachdrucke: Knaur SFTB 5766 (Sammelband DIE WELT DER TAUSEND EBENEN), 1983, Knaur TB 60513, 1996, Bechtermünz Verlag (Hardcover), 1999. HINTER DER IRDISCHEN BÜHNE BEHIND THE WALLS OF TERRA, 1970, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Walter Erev, Knaur SFTB 5728, 1979, Nachdrucke: Knaur SFTB 5766 (Sammelband DIE WELT DER TAUSEND EBENEN), 1983, Knaur TB 60514, 1996, Bechtermünz Verlag (Hardcover), 1999. PLANET DER SCHMELZENDEN BERGE THE LAVALITE WORLD, 1977, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Walter Erev, Knaur SFTB 5732, 1979, Nachdrucke: Knaur SFTB 5766 (Sammelband DIE WELT DER TAUSEND EBENEN), 1983, Knaur TB 60515, 1996, Bechtermünz Verlag (Hardcover), 1999. DER ZORN DES ROTEN LORDS RED ORC'S RAGE, 1991, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Usch Kiausch, Heyne SFTB 5911, 1997. |