Grainger
– einen Vornamen trägt er nicht – ist der Protagonist
eines sechsbändigen Romanzyklusses des englischen SF-Autors Brian
M. Stableford. Die Einzeltitel: DAS WRACK IM HALCYON (THE HALCYON DRIFT),
DER SCHATZ DES SCHWARZEN PLANETEN (RHAPSODY IN BLACK), DIE WELT DER VERHEISSUNG
(PROMISED LAND), DAS PARADIES-PRINZIP (THE PARADISE GAME), DAS GÖTTERDÄMMERUNGS-PROGRAMM
(THE FENRIS DEVICE ) und SCHWANENGESANG (SWAN SONG).
Ihre deutsche Erstveröffentlichung erlebten die Romane als Bastei/Lübbe-Taschenbücher
21101, 21105, 21109, 21118, 21123 und 21126; die Wiederveröffentlichung
erfolgte kürzlich in einem Sammelband – mit einem Umfang von
satten 972 Seiten, aber nur zu einem Preis von lächerlichen 10,00
DM! Im Übrigen bleibt vorzutragen: Der Wälzer erschien als Bastei/Liibbe-Taschenbuch
23062, die Übersetzungen stammen von Rosemarie Hundertmarck, die
Coverzeichnung fertigte David B. Mattingly an und als Originaltitel ist
STAR PILOT GRAINGER angegeben (mir ist allerdings nicht bekannt, ob es
auch eine englische Originalausgabe des GRAINGER-Samplers gibt).
Der Romanzyklus gehört, wie sein Titel bereits andeutet, zu dem Subgenre
der Space Opera. D. h., zu der der modernen Prägung, die von unmotivierten
Kriegen zwischen Menschen und Aliens ebenso frei ist wie von technischem
Gigantismus. So bemüht sich Stableford in DIE SAGA VOM RAUMPILOTEN
GRAINGER auch nicht darum, pseudowissenschaftliche Erklärungen für
die diversen Methoden, schneller als das Licht zu fliegen – „(...)
Tachyonen-Transfer, Wahrscheinlichkeitstransformation, Dimensionsspringen.“
(Seite 52) –, zu finden. Der Autor studierte nach einschlägigen
biografischen Informationen Soziologie und Biologie, und das merkt man
den GRAINGER-Romanen auch an.
DIE SAGA VOM RAUMPILOTEN GRAINGER läßt sich zweiteilen: Der
erste und der letzte Roman bilden den inhaltlichen Rahmen, im dem sich
die übrigen vier Bände bewegen.
DAS WRACK IM HALCYON beginnt mit der Rückkehr Graingers aus der Verschollenheit.
Zwei Jahre hatte er als Folge einer Notlandung auf einem unwirtlichen
Planeten verbracht, während sein Partner bei dem Absturz um sein
Leben kam. Man stellt Grainger die Bergungskosten in Rechnung, so das
er gezwungen ist, in den Dienst Titus Charlots, einem führenden Wissenschaftler
der Galaxis, zu treten: Grainger wird der Pilot der DRONTE, eines neuartigen
Raumschiffes, das allen anderen Raumfahrzeugen technisch weit überlegen
ist. Sein erster Auftrag führt ihn in den Halcyon-Nebel.
Die Aufgabe des Romans ist offensichtlich die Einführung des Lesers
in den Zyklus. Die Handlung, der Wettflug mehrerer Raunschiffe nach einem
Wrack, das wertvolle Dokumente und Artefakte bergen soll, ist simpel und
daher wenig bemerkenswert. Immerhin lernt der Leser die Hauptfigur des
Zyklusses kennen, seinen Zynismus, der aus den Tod seines Partners, seinem
zweijährigen Exil und aus der unfreundlichen Behandlung nach der
Bergung resultiert, die übrigen wichtigen Romanpersonen und –
den Wind, ein Wesen, das sich als Symbiont im Geist und im Körper
Graingers festgesetzt hat.
DER SCHATZ DES SCHWARZEN PLANETEN ist eine Höhle des Schauplatzes
der Romanhandlung, des Planeten Rhapsodia, die ein einzigartiges ökologisches
System beherbergt: Am Ende der (kurzen) Nahrungskette steht ein Wurm,
der Metall frißt und sich unter bestimmten Voraussetzungen explosionsartig
vermehrt – eine fürchterliche Waffe. Wieder findet ein Wettlauf
zwischen Titus Charlot und seinen Konkurrenten statt, der jedoch durch
die inneren Konflikte der Rhapsodia-Bewohner empfindlich gestört
wird. Der Höhlenplanet wird von einer Religion beherrscht, deren
höchstes Ideal die Armut ist, was den Einwohnern Rhapsodias die sich
anbahnenden, gewinnbringenden Geschäfte im Grunde verbietet. Und
Grainger stellt sich zwischen die Fronten.
Der Roman verbindet zwei Themen: Zum einen die Zerstörung einer dem
Protagonisten und dem Leser zwar nicht sympathischen, bislang aber funktionierenden
Gesellschaftsstruktur aus kommerziellen Gründen, zum anderen die
Suche nach der ultimativen Waffe. DER SCHATZ DES SCHWARZEN PLANETEN hat
damit einen pessimistischen Unterton, ist aber um eine ironische Wendung
nicht verlegen: Die Würmer, aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen,
gehen zugrunde. Aber Charlot macht dem triumphierenden Grainger deutlich,
daß der Tod der Würmer lediglich eine Verzögerung zur
Folge hat: „Wenn ein Ding erst einmal bekannt geworden ist, kann
man es nicht wieder unbekannt machen.“ (Seite 313).
DIE
WELT DER VERHEISSUNG ist der Planet Chao Phyra. Seine Bewohner, die Nachkommen
der Besatzung eines Generationenraumschiffes, sind ausgesprochen mißtrauisch
gegenüber Fremden. Das Ziel des jahrhundertelangen Fluges –
sie kannten die Methoden, schneller als das Licht zu fliegen, bei ihrem
Start noch nicht – war ein bewohnbarer Planet, den sie fanden, Chao
Phyra tauften und nunmehr als ihr alleiniges Eigentum betrachten. Auf
dem Planeten muß Grainger eine Kindesentführerin jagen. Opfer
ist eine Anacaona, eine Angehörige das Ureinwohner Chao Phyras, die
jedoch – als biologisches Experiment – auf der Heimatwelt
Titus Charlots das Licht der Galaxis erblickte.
Auch DIE WELT DER VERHEISSUNG ist doppelbödig wie der vorangegangene
Roman. Die Ureinwohner paßten sich den Menschen vollständig
an, sie haben keine eigene Identität, was die Chao Phrya-Kolonisten
in ihrer Ignoranz als hochwillkommen akzeptierten. Die Anpassung ist der
Zweck der Anacaona – allerdings sind sie nicht dafür vorgesehen,
sich den Menschen, sondern ihren inzwischen verschollenen Schöpfern
anzupassen, die Charlot mit seinem Experiment kopierte. Auch in DIE WELT
DER VERHEISSUNG schillert der Pessimismus der vorherigen Romane durch:
„Und trotzdem – wie lange werden die Regenwälder wohl
noch stehen? Wie lange wird es dauern, bis die Kolonisten den ganzen Planeten
vereinnahmt haben? Glaubst du im Ernst, die menschliche Rasse würde
ihre Finger von einem einzigen Flecken in der Galaxis lassen?“ {Seite
387).
DAS PARADIES-PRINZIP lernt Grainger auf dem Planeten Pharos kennen. Pharos
ist eine waldreiche Welt mit einem angenehmen Klima und ungefährlicher
Flora und Fauna. Der Planet wird schnell von einer Handelsgesellschaft
entdeckt und zur Besiedlung vorbereitet – bis man seine Ureinwohner
entdeckt. Die Arbeiten werden gestoppt und Titus Charlot mit der Untersuchung
der Angelegenheit beauftragt. Er und Grainger finden heraus, daß
es sich bei Pharos um – dem äußeren Schein zum Trotz
– um eine höchst gefährliche Welt handelt.
Der Roman ist, was die Ironie und seine Hintergedanken angeht, der Höhepunkt
in DIE SAGA VOM RAUMPILOTEN GRAINGER. Die Evolution auf Pharos hat den
Tod abgeschafft, das herrschende Gesetz heißt: „Lebe in Frieden
oder überhaupt nicht.“ (Seite 619). Als eine Eingeborene getötet
wird und die Handelsgesellschaft ihre Soldaten zu Hilfe ruft, reagiert
das System und produziert Viren, die auf Emotionen wie Zorn, Wut und Haß
reagieren. Betroffen sind vornehmlich die Soldaten, bei deren zunächst
nur Verdauungsstörungen – eine grotesk-komische Situation!
– auftreten, aber den Schlachtschiffkapitän und den Mörder
der Eingeborenen ereilt der Tod. Eine Angehörige einer Art von Umweltschutzorganisation
plädiert sogar dafür, das Virus in die übrige Galaxis hinauszutragen.
Auch in DAS GÖTTERDÄMMERUNGS-PROGRAMM geht es um die Eigenarten
einer nichtmenschlichen Rasse. Die Gallacellaner wünschen die Bergung
eines ihrer Raumschiffe, das von mehreren Jahrhunderten auf einem nahezu
unzugänglichen Planeten zurückgelassen wurde. Aber auch ein
Paranoiker interessiert sich – wegen der vermeintlichen Bewaffnung
– für das Fahrzeug, bringt die DRONTE ihren Piloten und ihre
Besatzung in seine Gewalt und gelangt mit Graingers erzwungener Hilfe
an Bord des Gallacellaner-Raumschiffes. Es startet automatisch und benutzt
sogleich seine einzige Waffe: ein undurchdringlicher Schutzschirm, der
jedes Objekt innerhalb seiner gigantischen Ausdehnung zu Staub zermalt.
Der Band gibt sich wie die vorangegangenen Romane ironisch. Das, was die
Protagonisten erhoffen und erwarten, trifft nicht ein: Das Gallacellaner-Raumschiff
ist keineswegs ein Schlacht-, sondern ein Fluchtschiff. Seine (passive)
Bewaffnung stellt einen perfekten Schutz für eine Rasse dar, die
nicht aus Raub-, sondern aus Beutetieren hervorging. Aus dieser Mentalität
heraus bemühen sich die Gallaoellaner auch um die Wiederbeschaffung
ihres Raumschiffes. Grainger gelingt es, sich aus der Abhängigkeit
von Titus Charlot zu befreien: Die DRONTE bleibt pilotenlos auf jenem
Planeten zurück. Für ihre Bergung kassiert er eine Prämie.
In SCHWANENGESANG kehrt Grainger – diesmal freiwillig – in
den Dienst Titus Charlots zurück. Er wird mit den Flug in den Nachtigall-Nebel
beauftragt, in dem das Schwesterschiff der DRONTE verschollen ist.
Der Roman knüpft an DAS WRACK IM HALCYON, dem ersten Hand des Zyklusses,
an, ist aber interessanter. Immerhin beendet der Band DIE SAGA VOM RAUMPILOTEN
GRAINGER. Wieder ist ein Sternennebel das Ziel von Graingers Mission,
in deren Verlauf Grainger seinen Symbionten verliert. Der Nachtigall-Nebel
ist ein Organismus, der Fremdkörper langsam absorbiert, weshalb ihm
der Wind, der dafür bestimmt ist, in einen anderen Geist einzudringen,
zwangsläufig zum Opfer fällt. Grainger erfährt weitere
Rehabilitierungen: Das havarierte Schwesterschiff der DRONTE wurde von
der Schwester seines toten Partners gesteuert, und auch sie kannte bei
den Unfall den Tod eines Besatzungsmitgliedes nicht verhindern. Charlot
stirbt während Graingers Aufenthalt im Nachtigall-Nebel.
Sorgfältig und ausführlich entwirft Stableford in DIE SAGA VOM
RAUMPILOTEN GRAINGER Welten, deren soziale und ökologische Konstruktion
zumindest den wis-senschaftlich nicht vorgebildeten Leser plausibel erscheint.
Plausibel ist auch der Handlungshintergrund: Das Geschehen in der Galaxis
ist geprägt von den Konflikten zwischen diversen Handelsgesellschaften
und den beiden wichtigsten Planeten in der Galaxis, die auch handeln –
mit Wissen und mit Recht. Ihre Motive sind durchweg kommerzieller Natur.
Graingers Welt unterscheidet sich also nicht – abgesehen von den
phantastischen Elementen – sonderlich von unserer.
Weitere wichtige Bestandteile der Romane sind der (Haupt-) Protagonist,
seine gelassene Eigenwilligkeit, seine inneren Konflikte, seine Auseinandersetzungen
mit den Menschen in seiner Umgebung, sein exzellentes Raumschiff und der
Wind, den Grainger in den ersten Romanen noch als höchst unwillkommenen
Gast in seinem Kopf betrachtet, danach toleriert, aber nie akzeptiert.
Immerhin verleiht ihm der Wind einige sehr nützliche Fähigkeiten
– Grainger ist nicht mehr der Jüngste. Dies alles ist verbunden
mit den Spannungselementen: in DAS WRACK IM HALCYON der Flug durch einen
gefährlichen Sternennebel, in DER SCHATZ DES SCHWARZEN PLANETEN Graingers
Odyssee durch den Höhlenplaneten, in DIE WELT DER VERHEISSUNG der
Marsch durch einen nicht ungefährlichen Dschungel, in DAS PARADIES-PRINZIP
der Kampf gegen die Killerviren, in DAS GÖTTERDÄMMERUNGS-PROGRAMM
die Landung auf einem unwirtlichen Planeten, der Kampf gegen den Entführer
– eine tragisch-komische Gestalt! – und die Bergung der DRONTE,
in SCHWANENGESANG der Flug in ein Inferno besonderer Art.
DIE SAGA VOM RAUMPILOTEN GRAINGER entbehrt auch in den Action-Szenen jeglicher
Hektik, die nahezu jeden oberflächlichen (SF-) Roman kennzeichnet.
Der GRAINGER-Zyklus ist vielmehr erstaunlich durchdacht und vielschichtig.
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