Die
einzigen inhaltlich zusammenhängenden Romane in dem Werk des irischen
SF-Autors James White sind die Bände des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses. Das
Orbit Hospital ist ein zylindrisches, 384 Decks umfassendes Weltraumhospital,
das zur Behandlung der verschiedenen Spezies, die die Galaxis bevölkern
oder der Föderation angehören, imstande ist und dessen Personal genauso
gemischt ist. Die ORBIT HOSPITAL-Romane sind die bekanntesten Arbeiten
des Autors.
Das
Leben und die literarische Arbeit James Whites verliefen unspektakulär.
Der Autor wurde 1928 in Belfast geboren, arbeitete, wie er in dem Interview
in BLIZZ 22/23 verriet, über zwei Jahrzehnte als Schneider, bevor er
in die Flugzeugindustrie wechselte und dort letztlich PR-Manager wurde.
Sein Augenleiden führte ihn in die Berufsunfähigkeit, ermöglichte ihm
aber auch, erstmals (mit Beeinträchtigungen) als Autor hauptberuflich
tätig zu werden. White ist mittlerweile viereinhalb Jahrzehnte als SF-Schriftsteller
tätig, ein großer internationaler Preis blieb ihm jedoch versagt. Nach
dem LEXIKON DER SCIENCE FICTION LITERATUR wurde lediglich ein Roman
für den HUGO- und für den NEBULA-Award nominiert. 1972 erhielt White
den EUROPA SPECIAL SCIENCE FICTION-Award, bei dem es sich offenbar um
einen nationalen englischen Preis handelt. White verstarb am 23.08.99.
Der ORBIT HOSPITAL-Zyklus entstand im Laufe von drei Jahrzehnten. Der
Heyne Verlag hat die Serie inzwischen komplett in deutschen Übersetzungen
publiziert, die ersten vier Bände als Neuübersetzungen und Neuausgaben,
die übrigen als deutsche Erstausgaben. Der Zyklus umfaßt die Bücher
HOSPITAL STATION, STAR CHIRURG, GROßOPERATION, AMBULANZSCHIFF, SECTOR
GENERAL, NOTFALL CODE BLAU, DER WUNDERHEILER, RADIKALOPERATION, CHEF
DE CUISINE und DIE LETZTE DIAGNOSE, vier Kurzgeschichtensammlungen und
sechs Romane.
HOSPITAL STATION enthält die ersten fünf ORBIT HOSPITAL-Kurzgeschichten.
"Der Mediziner" und "Das Orbit Hospital" stellen zwei der wichtigsten
Protagonisten des Zyklusses vor, O'Mara und Conway. "Der Mediziner"
spielt noch in der Bauphase des Orbit Hospitals. O'Mara wird gezwungen,
ein Hudlarer-Baby, dessen Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen, in
seiner Kabine aufzunehmen. Die Hudlarer sind eine ausgesprochen widerstandsfähige
und kräftige Spezies, bereits das Baby wiegt eine halbe Tonne... O'Maras
Lösungen für die speziellen Bedürfnisse des Hudlarer-Babies und auch
seine treffenden Beurteilungen der psychischen Probleme mancher seiner
Kollegen sorgen für seine Beförderung zum Psychologen. In der zweiten
ORBIT HOSPITAL-Story, "Das Orbit Hospital", ist er bereits der Chefpsychologe
des Weltraumkrankenhauses, im Mittelpunkt der Kurzgeschichte steht jedoch
der Arzt Conway, der erst seit zwei Monaten im Orbit Hospital arbeitet,
und seine ersten, noch wenig spektakulären Fälle.
Die
übrigen drei Stories, "Probleme mit Emily", "Ein außergewöhnlicher Besuch"
und "Ein Schiffbrüchiger", zeigen bereits auf, woraus der Großteil der
ORBIT HOSPITAL-Serie besteht: nämlich aus der Lösung eher ökologischer
denn medizinischer Probleme der Patienten Dr. Conways. In der Regel
sind es nämlich nicht Krankheiten, die Dr. Conway zu heilen hat, sondern
die Probleme seiner Patienten ergeben sich aus ihren Lebensbedingungen
und ihrer evolutionären Entwicklung, worin Conway auch zumeist die Lösungen
findet. In "Probleme mit Emily" hilft er einem winzigen, PSI-begabten
Arzt, das Überleben einer Dinosaurierrasse zu sichern, in "Ein außergewöhnlicher
Besuch" gelingt es ihm, den psychisch bedingten Auflösungsprozeß einer
amöbischen Lebensform zu beenden und in "Ein Schiffbrüchiger", der aus
dem Wrack eines Ambulanzschiffes einer fremden Spezies geborgen wurde,
ist er der einzige der Orbit Hospital-Ärzte, der den tatsächlichen Zustand
des vermeintlichen Patienten erkennt.
Der zweite Band des ORBIT-HOSPITAL-Zyklusses, STAR CHIRURG, ist ein
Roman, der zunächst mit einem weiteren ökologischen Rätsel beginnt.
Ein bewußtloser, nichtmenschlicher Patient wird in das Orbit Hospital
eingeliefert, auf den die gängigen Behandlungsmethoden jedoch nicht
ansprechen. Es stellt sich heraus, daß der Symbiont des Patienten, der
ihm als Arzt dient, die Behandlungsversuche mißverstanden und vereitelt
hat.
Lonvellin führt nach seiner Heilung Dr. Conway zum Planeten Etla, dessen
Bewohner permanent von Seuchen und anderen Krankheiten heimgesucht werden,
die sie selbst zu bekämpfen offenbar nicht in der Lage sind. Conway
deckt auf, daß Etla einem Sternenimperium angehört, von diesem absichtlich
medizinisch schlecht versorgt wird, um Spenden auf den übrigen Welten
des Imperiums sammeln und veruntreuen zu können. Als das Imperium auf
die Aktivitäten der Ärzte aufmerksam wird, bereitet es einen Angriff
auf das Orbit Hospital vor, um seinen Betrug zu verschleiern. Das Monitorkorps,
die Polizei- und technische Truppe der Föderation, zu der sich die Bewohner
des bekannten Teiles der Galaxis zusammengeschlossen haben und die das
Orbit Hospital betreibt, bereitet die Verteidigung vor.
Das letzte Drittel des Romans schildert die Kämpfe um das Orbit Hospital,
die erst enden, als die Angreifer feststellen, daß ihre Verwundeten
im Orbit Hospital dieselbe Behandlung wie die Verletzten des Monitorkorps
erfahren. Ob der Kriegsgrund plausibel ist, sei dahingestellt, denn
auch für ein autoritäres Regime bindet eine militärische Auseinandersetzung
Ressourcen und birgt die Gefahr einer Niederlage, die zum Zusammenbruch
des Systems führen kann. Das Ende des Krieges ist jedenfalls zu idealistisch,
um überzeugen zu können.
Mit
HOSPITAL STATION und STAR CHIRURG stellt White sein privates Zukunftsuniversum
bereits umfassend vor. Es fällt auf, daß er seinen Kosmos nur soweit
detaillierte, wie es unbedingt nötig war. Mehrfach wird herausgehoben,
daß das Orbit Hospital in der Lage ist, die erforderlichen Umweltbedingungen
für jeden Patienten zu reproduzieren, dennoch arbeiten seine Ärzte teilweise
noch mit Röntgengeräten. Die Raumschiffe sind sowohl mit überlichtschnellen
Antrieben und mit Traktorstrahlen als auch mit Radargeräten und Teleskopen
ausgerüstet. Das politische System der Föderation wird nicht erläutert,
ihre Friedfertigkeit, aber auch ihre Wehrhaftigkeit werden dagegen hervorgehoben.
Das Orbit Hospital ist streng hierarchisch organisiert. Die Romanhandlungen
werden chronologisch nicht bestimmt; White arbeitet nicht einmal mit
einer eigenen Zeitrechnung.
Andere Probleme, die der Betrieb eines Weltraumkrankenhauses für Aliens
und Menschen bereit hält, hat White immerhin erkannt und gelöst. Die
Ärzte des Orbit Hospitals lassen sich Physiologie-Bänder in ihrem Gedächtnissen
speichern, die ihnen die Informationen über jene Spezies vermitteln,
die sie derzeit behandeln. Es handelt sich dabei um die aufgezeichneten
Erinnerungen von Alien-Ärzten, die jedoch nicht nur ihr Wissen enthalten,
sondern auch andere Eindrücke aus ihrem Leben, was zu gewissen Irritationen
führen kann (womit auch Conway in "Das Orbit Hospital" und STAR CHIRURG
entsprechende Erfahrungen macht).
Wie sich White diesen Speichervorgang technisch vorstellt, wird im gesamten
Zyklus nicht erläutert. Nach der Anzahl der Physiologie-Bänder, die
ein Arzt in seinem Gedächtnis speichern kann, richtet sich sein Rang:
Ein Chefarzt vermag drei bis vier Gehirnaufzeichnungen fremder Ärzte
zu bewältigen, ein Diagnostiker bis zu einem Dutzend. Frauen lehnen
es im ORBIT HOSPITAL-Universum übrigens ab, mit Physiologie-Bändern
zu arbeiten und bleiben damit von leitenden Positionen ausgeschlossen
- nur ein, aber der deutlichste Ausdruck des veralteten Geschlechterverständnisses
des Autors, das vor allem in den ersten Bänden der ORBIT HOSPITAL-Serie
unangenehm bemerkbar ist.
Aber
auch in den folgenden Bänden sollte sich die Darstellung von Frauen
oft auf die lobende Erwähnung gewisser äußerlicher Merkmale reduzieren;
Ärztinnen arbeiten im ORBIT HOSPITAL nicht, Frauen und Vertreterinnen
des weiblichen Geschlechts anderer Spezies sind als Pflegerinnen tätig,
allenfalls als Pathologin. Immerhin finden sich unter den männlichen
Mitarbeitern des Orbit Hospitals keine Pflegekräfte, aber aus ihren
Reihen rekrutieren sich genauso folgerichtig die Arbeitskräfte der technischen
Dienste.
Die Aufgabe des Chefpsychologen O'Mara besteht darin, die Animositäten,
Vorurteile und Angstzustände, die die Mitglieder des medizinisches Personals
gegeneinander hegen können, weil sie unterschiedlichen Rassen angehören,
überwinden zu helfen. Gleichzeitig ist O'Mara jedoch auch der Vorgesetzte
der Orbit Hospital-Ärzte, was etwas seltsam anmutet.
Einen gravierenden Konstruktionsmangel weist übrigens das Orbit Hospital
selbst auf: Um beispielsweise von Ebene 24 nach Ebene 112 zu gelangen,
muß der Betreffende die dazwischen liegenden Decks und Stationen durchqueren.
Wenn sie Umweltbedingungen aufweisen, unter denen er nicht existieren
kann, muß er mehrfach Schutzanzüge anlegen. Sinnvoller wäre es gewesen,
die Außenseite des Orbit Hospitals mit Verbindungsgängen (besser: mit
Fahrstühlen) zu versehen, die für miteinander kompatible Gruppen von
Spezies (etwa für Sauerstoff- oder Cloratmer) bestimmt sind.
Der dritte Band des Zyklusses, GROßOPERATION, besteht aus fünf separaten
Erzählungen, die jedoch ineinander überleiten. "Der Eindringling" ist
ein Werkzeug, das sich auf bloße gedankliche Wünsche und Vorstellungen
hin beliebig verformen kann, was während einer Operation fast zu einer
Katastrophe führt. Conway wird sich der Möglichkeiten dieses Werkzeuges
schnell bewußt und startet zu einer Expedition zum Herkunftsplaneten.
In
"Schwindelgefühl", "Blutsbruder", "Der Fleischkloß" findet die Untersuchung
des Planeten und die Entdeckung der zwei einheimischen intelligenten
Lebensformen statt, zum einen die in den Ozeanen lebenden Dramboner,
zum anderen jener Pflanzenteppich, der die Landfläche bedeckt. "Die
Großoperation" ist die Behandlung der Strahlungsschäden, die die Atombomben
der Dramboner in der Pflanzenintelligenz hinterlassen haben (die sie
abwarfen, um ihren Lebensraum an den Küsten zu vergrößern), anfänglich
gegen den Widerstand des Patienten.
Mit den weiteren Bänden, AMBULANZSCHIFF und SECTOR GENERAL, schafft
White einen weiteren Handlungsschauplatz, und zwar das Ambulanzschiff
RHABWAR, zu dessen medizinischen Leiter Conway ernannt wird. Ambulanzschiffe
verfügen über eine medizinische Ausrüstung, die es ermöglicht, die Erstbehandlung
von Opfern interstellarer Unfälle durchzuführen und sie zum Orbit Hospital
zu schaffen. Die Besonderheit der RHABWAR besteht darin, daß das Ambulanzschiff
nur auf Notrufe reagieren soll, die von Positionen abseits der üblichen
Raumschiffrouten abgesandt werden.
Der vierte und fünfte Band des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses enthalten jeweils
vier Stories. Die erste in AMBULANZSCHIFF, "Raumvogel", ist noch im
Orbit Hospital angesiedelt: Die Leiche eines vermeintlich intelligenten
Lebewesens, das treibend im Weltraum gefunden wurde, entpuppt sich als
organisches Raumschiff. Auf "Eine ansteckende Krankheit", die das Orbit
Hospital längst überwunden hat, trifft Conway in einem Jahrhunderte
alten menschlichen Kolonistenraumschiff, seinem ersten Einsatz auf der
RHABWAR. Die "Quarantäne" löst eine Patientin Conways aus, die er kurz
zuvor mit der RHABWAR geborgen und zum Orbit Hospital gebracht hatte,
doch auch diese kritische Situation kann er bewältigen. Auf eine außergewöhnliche
Lebensform stößt Conway in "Das Ambulanzschiff", und zwar auf einen
Telepathen, der nach seiner Geburt seine PSI-Fähigkeit und seine Erinnerung
verliert und zu einer Kampfmaschine wird. (Diesen Mechanismus aufzuheben
gelingt ihm im sechsten Band des Zyklusses, DER WUNDERHEILER).
Auch
die erste Kurzgeschichte in SECTOR GENERAL spielt nicht im Orbit Hospital,
sondern einige Jahrzehnte in der Vergangenheit und beschreibt jenes
Ereignis, das zum Bau des Weltraumkrankenhauses führte, nämlich einen
Unfall auf dem Planeten Nidia, zu dessen Opfern verschiedene Aliens
wurden. Die Story heißt schlicht "Ein Unfall". Die zweite Kurzgeschichte,
"Der Überlebende", funktioniert ähnlich wie "Quarantäne": Ein Patient
der RHABWAR sorgt auf dem Orbit Hospital für unvorhergesehene Ereignisse,
die ebenfalls durch seinen unbewußt eingesetzten Verteidigungsmechanismus
ausgelöst werden. In "Nachforschungen" und "Gemeinschaftsoperation"
muß sich Conway mit außergewöhnlichen Lebensformen befassen: Zunächst
mit einem Raumschiffcaptain, der mit seiner Crew bis zur Havarie seines
Fahrzeuges in einer Symbiose lebte, danach mit einem wurmähnlichen,
aber deutlich größeren Wesen, dessen Raumschiff durch einen Meteoriten
in Einzelteile gesprengt wurde. Der Passagier überlebte nur, weil er
aus Einzelwesen bestand, die jeweils in eigenen Kabine untergebracht
wurden.
Die ökologischen und medizinischen Rätsel, die die Ärzte des Orbit Hospitals
in den Kurzgeschichten zu lösen haben, sind durchaus plausibel, d. h.
die Stories sind in sich nicht widersprüchlich, und reizvoll. Das ist
um so bemerkenswerter, als White kein Arzt ist und auch über keine andere
wissenschaftliche Ausbildung verfügt. Da er aber Aliens zu seinen Patienten
machte, müssen sich die Romane und Kurzgeschichten des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses
jedoch der realen Medizin nicht stellen. Seine Hypothese jedoch, Bakterien
und Viren einer Spezies könnten nicht eine andere befallen, ist im BSE-Zeitalter
sehr gewagt.
Die zweite Hälfte der ORBIT HOSPITAL-Serie wird von umfangreicheren Romanen
gebildet. Der siebte Roman des Zyklusses, NOTFALL CODE BLAU, wurde in
der Heyne-Ausgabe als sechster Band veröffentlicht, obwohl er handlungschronologisch
vor DER WUNDERHEILER, dem tatsächlich sechsten Roman des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses,
angesiedelt ist und auch vor letzterem von White geschrieben wurde.
Mit DER WUNDERHEILER ist Dr. Conway gemeint, der im Orbit Hospital zum
Diagnostiker aufsteigen soll. Der Roman beginnt vielversprechend mit dem
"Urlaub" Conways auf dem Planeten Goglesk. Conway löst das (ökologische)
Rätsel des Gogleskaner, die sich in Bedrohungssituationen zusammenschließen,
dabei jedoch verheerende Zerstörungen anrichten, die ihre Zivilisation
erheblich bedrohen. Nach seiner Rückkehr zum Orbit Hospital leitet Conway
eine Reihe von Operation an einer nichtmenschlichen Spezies, die ausführlich
beschrieben werden, bis hin zum spritzenden Blut, was zur Effekthascherei
gerät. Selbstverständlich sind Operationen unverzichtbarer Bestandteil
einer (SF-) Krankenhausserie, in den bisherigen Romanen des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses
hatten sie jedoch ein erheblich geringeres Ausmaß.
Erneut ist es auffallend, daß Conway mit Operationsmethoden arbeitet,
wie sie in der Realität im Entstehungsjahr des Roman (vermutlich) üblich
waren. Da werden ganze Körper aufgeschnitten, da White endoskopische Operationsmethoden
oder Roboterassistenten nicht vorausahnte. Ausgerechnet im letzten Band
der Serie sollte sich außerdem herausstellen, daß das Orbit Hospital auch
in einer anderen Hinsicht ein Krankenhaus der Vergangenheit ist: Es bietet
weder Einzel- oder zumindest Mehrbettzimmer, sondern lediglich große Säle
auf den Stationen...
NOTFALL
CODE BLAU ist im Vergleich zu den übrigen Bänden der ORBIT HOSPITAL-Serie
in einer Hinsicht ausgesprochen innovativ: Es steht nicht mehr Conway
im Mittelpunkt der Handlung, sondern die Sommaradvanerin Cha Thrat, die
auf ihrem Heimatplaneten als "Chirurgin für Krieger" arbeitet. Aus Dankbarkeit
für die Rettung eines Offiziers des Monitorkorps wird sie in das medizinische
Personal des Orbit Hospital aufgenommen, ohne die zuvor üblichen Prüfungen
abgelegt zu haben. So stellt sich schnell heraus, das Cha Thrats medizinische
Ethik mit der des Orbit Hospital nicht kompatibel ist,. Sie vermag sich
jedoch während eines Einsatzes auf Goglesk und einer Mission mit dem Ambulanzschiff
RHABWAR zu bewähren.
NOTFALL
CODE BLAU ist durch die Schilderung des Aufeinanderprallens unterschiedlicher
Normen und des eigenwilligen Weges der kompetenten Cha Thrat durch das
Orbit Hospital, die schließlich zur Mitarbeiterin O'Maras wird, das beste
Buch des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses.
In RADIKALOPERATION wiederholt White das Handlungsmuster aus NOTFALL CODE
BLAU, nämlich die Selbstfindung eines nichtmenschlichen Mitarbeiters des
Orbit Hospitals. (Wurden in der Heyne-Ausgabe der sechste und siebte Band
der ORBIT HOSPITAL-Serie vielleicht deshalb miteinander vertauscht, um
zwei inhaltlich ähnliche Romane nicht unmittelbar aufeinander folgen zu
lassen?) Die Hauptfigur des Romans ist der tarlanische Arzt Lioren, der
durch einen Kunstfehler die Spezies der Cromsaggi auslöscht. Doch die
übrigen Protagonisten sind anderer Meinung darüber, ob es verwerflich
ist, Patienten zu heilen, die ihre wiedergewonnene Gesundheit dazu nutzen,
sich gegenseitig umzubringen. Lioren jedenfalls will seinen Beruf nicht
mehr ausüben und fordert sogar seine Bestrafung, wird stattdessen aber
in die psychologische Abteilung des Orbit Hospital versetzt.
Lioren führt eine Reihe von Gesprächstherapien mit diversen Patienten
des Orbit Hospitals durch, die teilweise theologischen Charakter haben,
aber nicht sonderlich tiefschürfend sind, trotzdem zur Besserung des Gesundheitszustandes
der Patienten beitragen. Sein Einsatz ermöglicht auch eine heilende Operation
an dem Groalterri-Patienten, die freilich genauso unglaubwürdig wie die
operativen Eingriffe in DER WUNDERHEILER ist. Deshalb reicht RADIKALOPERATION,
obwohl der Roman fast in demselben Maße ausgereift ist, nicht an NOTFALL
CODE BLAU heran.
In
CHEF DE CUISINE wartet White mit einem ungewöhnlichen Protagonisten auf:
Der Thraltaner Gurronsevas, der als einer der herausragendsten Köche in
der Föderation gilt. Sein Ziel ist es, die Verpflegung der Patienten des
ORBIT HOSPITAL zu verbessern, um ihre Genesungsprozesse zu unterstützen
– sehr erstaunlich, daß in der Geschichte des ORBIT HOSPITAL bislang
noch niemand denselben Plan entwickelte... Gurronsevas verzeichnet rasch
die ersten Erfolge, doch eine Havarie, die er in einer Ladebucht herbeiführt
sowie eine Art von Lebensmittelvergiftung, die einer seiner Mitarbeiter
verursacht, überfordern offenbar die Innovationsfähigkeit des ORBIT HOSPITAL:
Gurronsevas wird auf die RHABWAR verbannt, in deren nächsten Einsatz er
jedoch die Chance zur Rehabilitation erhält. Die Bewohner des Planeten
Wemar sind vom Aussterben bedroht, und zwar nicht nur deshalb, weil sie
ihren Planeten größtenteils zerstört haben, sondern wegen ihrer Ernährungsgewohnheiten.
Gurronsevas zeigt ihnen Alternativen auf.
CHEF DE CUISINE ähnelt von der Handlungsstruktur her NOTFALL CODE BLAU
und RADIKALOPERATION: Erneut steht der Protagonist vor der Aufgabe, seinen
Platz im Gefüge des ORBIT HOSPITAL zu finden. Immerhin zeigt White einen
gewissen Erfindungsreichtum in der Wahl seiner Protagonisten. CHEF DE
CUISINE ist neben STAR CHIRURG der einzige Roman der ORBIT HOSITAL-Serie,
der den Leser zu provozieren vermag. STAR CHIRURG wirft die Frage nach
dem Sinn interstellarer Kriege und ihrer Darstellung auf, in CHEF DE CUISINE
stellen sich die Wemarer als Kannibalen heraus, was aber genauso wie die
Kämpfe in STAR CHIRURG entschuldigt wird, aber bereits wegen der Wahl
dieses Plots zwiespältig bleibt.
White hat in dem Interview in BLIZZ 22/23 erklärt, das DIE LETZTE DIAGNOSE
den ORBIT HOSPITAL-Zyklus beenden soll. Der Protagonist gehört einer Gruppe
an, die in den bisherigen Bänden des Zyklusses eine eher passive Rolle
spielt – er ist ein Patient, was sich für den Abschlußroman anbot.
Der Terraner Hewlitt wurde in das Orbit Hospital geschickt, weil seine
Krankheit, die sich in diversen lästigen, aber nicht lebensbedrohenden
Symptomen äußerte, auf der Erde weder diagnostizierbar und behandelbar
war. Auch die Ärzte des Orbit Hospital stehen zunächst vor einem Rätsel.
DIE
LETZTE DIAGNOSE beschränkt sich nicht darauf, die Anpassung des Protagonisten
an das Leben im Orbit Hospital und seine (zu erwartende) Heilung zu schildern.
White schlägt vielmehr einen Bogen zum Beginn des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses
und versucht, seine Serie mit einer Perspektive, die das Orbit Hospital
überflüssig machen könnte, zu beenden. Derselbe Symbiont, der in STAR
CHIRURG dem Alien Lonvellin als Leibarzt diente, hat Hewlitt in seiner
Kindheit "infiziert".
Es sind natürlich einige Zufälle zu registrieren, die White für diesen
Plot in die Handlung einfügen mußte. Den ersten baute er immerhin bereits
in STAR CHIRURG ein, als er den Ärzten des Orbit Hospitals nicht genügend
Zeit für die Untersuchung des Symbionten zugestand. Der urspüngliche Wirt
des Symbionten starb auf demselben Planeten, auf dem Hewlitt seine Kindheit
verbrachte. Da diese Lebensform außerdem durch Körperkontakte die Wirtskörper
wechselt, kann sie ihren letzten Wirt – einem Mitglied einer Spezies,
die in einer radioaktiven Umgebung leben – nur dadurch erreichen,
indem seine Besucher zwar Schutzanzüge, aber keine Handschuhe tragen...
Wegen dieser Mankos ist DIE LETZTE DIAGNOSE nur bedingt ein würdiger Abschluß
der ORBIT HOSPITAL-Serie.
Der Stil Whites ist in den Kurzgeschichten wie in den Romanen sauber,
mittelmäßig komplex und sachlich, was auch für die Dialoge gilt. Selten
beeinflußen die Emotionen der Protagonisten das Geschehen – vor
allem in den Kurzgeschichten, weniger in den Romanen – und die Handlungen
fließen gleichmäßig dahin.
Bereits ihr Konzept katapultiert die ORBIT HOSPITAL-Bände zu den lesenswerteren
Romanen in der Space Opera, jenem Subgenre der Science Fiction, das oft
genug nur zur Schilderung von Weltraumkriegen verkommt. Die Serie ist
von Menschlichkeit und Toleranz geprägt, was vermutlich eine Reaktion
Whites, der in Nordirland lebt, auf die politische Situation in seiner
Heimat ist. Ökologische Rätsel gehören zudem zu den Stoffen, mit denen
sich gute Space Operas schreiben lassen.
Der ORBIT HOSPITAL-Zyklus weist freilich auch eine Reihe von Mängeln auf:
Die Protagonisten werden kaum charakterisiert, Handlungsmuster wiederholen
sich (sogar diverse Szenen!), manche Problemlösungen sind übertrieben
idealistisch, die gesellschaftliche Struktur im ORBIT HOSPITAL-Universum
ist veraltet und die Beschreibung der Technik phantasielos. Aber teilweise
betrifft daß das Werk Whites nicht allein; es ist vielmehr ein grundsätzliches
Problem der Science Fiction, das sie bei ihren technischen, wissenschaftlichen
und gesellschaftlichen Vorausschauen in der Realität ihrer Autorinnen
und Autoren verhaftet bleibt. Aus alldem wird jedoch deutlich, daß die
Möglichkeiten Whites als Autor hinter seinen Ambitionen zurückgeblieben
sind.
Bibliographie des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses:
1. HOSPITAL STATION
HOSPITAL STATION, 1962, Übersetzung von Kalla Wefel, 318 Seiten, Heyne
SFTB 4974, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor (Panoramabild),
frühere Ausgaben: DIE WELTRAUM-MEDIZINER, Übersetzung von Heinz Zwack,
TERRA 390/391, 1965; DIE WELTRAUMMEDIZINER, Übersetzung von Heinz Nagel,
Ullstein TB 3331, 1977.
2. STAR CHIRURG
STAR SURGEON, 1963, Übersetzung von Kalla Wefel, 270 Seiten, Heyne SFTB
4975, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, frühere
Ausgaben: DER KAMPF DER WELTRAUM-MEDIZINER, Übersetzung von Heinz Zwack,
TERRA 398/399, 1965; KAMPF DER WELTRAUM-MEDIZINER, Übersetzung von Heinz
Zwack, Ullstein TB 3396, 1978.
3. GROßOPERATION
MAJOR OPERATION, 1971, Übersetzung von Kalla Wefel, 268 Seiten, Heyne
SFTB 4976, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, frühere
Ausgaben: DIE ÄRZTE DER GALAXIS, Übersetzung von H. U. Nichau/Rainer Schmid,
TERRA TB 203, 1973.
4. AMBULANZSCHIFF
AMBULANCE SHIP, 1979, Übersetzung von Kalla Wefel, 319 Seiten, Heyne SFTB
4977, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, frühere
Ausgaben: DAS AMBULANZSCHIFF, Übersetzung von Joachim Körber, Moewig SFTB
3507, 1980.
5. SECTOR GENERAL
SECTOR GENERAL, 1983, Übersetzung von Kalla Wefel, 304 Seiten, Heyne SFTB
4978, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor.
6. DER WUNDERHEILER
STAR HEALER, 1984, Übersetzung von Kalla Wefel, 318 Seiten, Heyne SFTB
4980, 1995, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor.
7. NOTFALL CODE BLAU
CODE BLUE: EMERGENCY, 1987, Übersetzung von Kalla Wefel, 365 Seiten, Heyne
SFTB 4979, 1994, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor.
8. RADIKALOPERATION
THE GENOCIDIAL HEALER, 1991, Übersetzung von Kalla Wefel, 365 Seiten,
Heyne SFTB 4981, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, 1996.
9. CHEF DE CUISINE
THE GALACTIC GOURMET, 1995, Übersetzung von Kalla Wefel, 379 Seiten, Heyne
SFTB 4982, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, 1997.
10. DIE LETZTE DIAGNOSE
FINAL DIAGNOSIS, 1997, Übersetzung von Kalla Wefel, 414 Seiten, Heyne
SFTB 5114, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, 1999.
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