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Die
einzigen inhaltlich zusammenhängenden Romane in dem Werk des irischen
SF-Autors James White sind die Bände des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses. Das
Orbit Hospital ist ein zylindrisches, 384 Decks umfassendes Weltraumhospital,
das zur Behandlung der verschiedenen Spezies, die die Galaxis bevölkern
oder der Föderation angehören, imstande ist und dessen Personal genauso
gemischt ist. Die ORBIT HOSPITAL-Romane sind die bekanntesten Arbeiten
des Autors.
Die zweite Hälfte der ORBIT HOSPITAL-Serie wird von umfangreicheren Romanen
gebildet. Der siebte Roman des Zyklusses, NOTFALL CODE BLAU, wurde in
der Heyne-Ausgabe als sechster Band veröffentlicht, obwohl er handlungschronologisch
vor DER WUNDERHEILER, dem tatsächlich sechsten Roman des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses,
angesiedelt ist und auch vor letzterem von White geschrieben wurde.
Mit DER WUNDERHEILER ist Dr. Conway gemeint, der im Orbit Hospital zum
Diagnostiker aufsteigen soll. Der Roman beginnt vielversprechend mit dem
"Urlaub" Conways auf dem Planeten Goglesk. Conway löst das (ökologische)
Rätsel des Gogleskaner, die sich in Bedrohungssituationen zusammenschließen,
dabei jedoch verheerende Zerstörungen anrichten, die ihre Zivilisation
erheblich bedrohen. Nach seiner Rückkehr zum Orbit Hospital leitet Conway
eine Reihe von Operation an einer nichtmenschlichen Spezies, die ausführlich
beschrieben werden, bis hin zum spritzenden Blut, was zur Effekthascherei
gerät. Selbstverständlich sind Operationen unverzichtbarer Bestandteil
einer (SF-) Krankenhausserie, in den bisherigen Romanen des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses
hatten sie jedoch ein erheblich geringeres Ausmaß.Erneut ist es auffallend, daß Conway mit Operationsmethoden arbeitet, wie sie in der Realität im Entstehungsjahr des Roman (vermutlich) üblich waren. Da werden ganze Körper aufgeschnitten, da White endoskopische Operationsmethoden oder Roboterassistenten nicht vorausahnte. Ausgerechnet im letzten Band der Serie sollte sich außerdem herausstellen, daß das Orbit Hospital auch in einer anderen Hinsicht ein Krankenhaus der Vergangenheit ist: Es bietet weder Einzel- oder zumindest Mehrbettzimmer, sondern lediglich große Säle auf den Stationen... NOTFALL
CODE BLAU ist im Vergleich zu den übrigen Bänden der ORBIT HOSPITAL-Serie
in einer Hinsicht ausgesprochen innovativ: Es steht nicht mehr Conway
im Mittelpunkt der Handlung, sondern die Sommaradvanerin Cha Thrat, die
auf ihrem Heimatplaneten als "Chirurgin für Krieger" arbeitet. Aus Dankbarkeit
für die Rettung eines Offiziers des Monitorkorps wird sie in das medizinische
Personal des Orbit Hospital aufgenommen, ohne die zuvor üblichen Prüfungen
abgelegt zu haben. So stellt sich schnell heraus, das Cha Thrats medizinische
Ethik mit der des Orbit Hospital nicht kompatibel ist,. Sie vermag sich
jedoch während eines Einsatzes auf Goglesk und einer Mission mit dem Ambulanzschiff
RHABWAR zu bewähren.
NOTFALL
CODE BLAU ist durch die Schilderung des Aufeinanderprallens unterschiedlicher
Normen und des eigenwilligen Weges der kompetenten Cha Thrat durch das
Orbit Hospital, die schließlich zur Mitarbeiterin O'Maras wird, das beste
Buch des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses.In RADIKALOPERATION wiederholt White das Handlungsmuster aus NOTFALL CODE BLAU, nämlich die Selbstfindung eines nichtmenschlichen Mitarbeiters des Orbit Hospitals. (Wurden in der Heyne-Ausgabe der sechste und siebte Band der ORBIT HOSPITAL-Serie vielleicht deshalb miteinander vertauscht, um zwei inhaltlich ähnliche Romane nicht unmittelbar aufeinander folgen zu lassen?) Die Hauptfigur des Romans ist der tarlanische Arzt Lioren, der durch einen Kunstfehler die Spezies der Cromsaggi auslöscht. Doch die übrigen Protagonisten sind anderer Meinung darüber, ob es verwerflich ist, Patienten zu heilen, die ihre wiedergewonnene Gesundheit dazu nutzen, sich gegenseitig umzubringen. Lioren jedenfalls will seinen Beruf nicht mehr ausüben und fordert sogar seine Bestrafung, wird stattdessen aber in die psychologische Abteilung des Orbit Hospital versetzt. Lioren führt eine Reihe von Gesprächstherapien mit diversen Patienten des Orbit Hospitals durch, die teilweise theologischen Charakter haben, aber nicht sonderlich tiefschürfend sind, trotzdem zur Besserung des Gesundheitszustandes der Patienten beitragen. Sein Einsatz ermöglicht auch eine heilende Operation an dem Groalterri-Patienten, die freilich genauso unglaubwürdig wie die operativen Eingriffe in DER WUNDERHEILER ist. Deshalb reicht RADIKALOPERATION, obwohl der Roman fast in demselben Maße ausgereift ist, nicht an NOTFALL CODE BLAU heran. In
CHEF DE CUISINE wartet White mit einem ungewöhnlichen Protagonisten auf:
Der Thraltaner Gurronsevas, der als einer der herausragendsten Köche in
der Föderation gilt. Sein Ziel ist es, die Verpflegung der Patienten des
ORBIT HOSPITAL zu verbessern, um ihre Genesungsprozesse zu unterstützen
– sehr erstaunlich, daß in der Geschichte des ORBIT HOSPITAL bislang
noch niemand denselben Plan entwickelte... Gurronsevas verzeichnet rasch
die ersten Erfolge, doch eine Havarie, die er in einer Ladebucht herbeiführt
sowie eine Art von Lebensmittelvergiftung, die einer seiner Mitarbeiter
verursacht, überfordern offenbar die Innovationsfähigkeit des ORBIT HOSPITAL:
Gurronsevas wird auf die RHABWAR verbannt, in deren nächsten Einsatz er
jedoch die Chance zur Rehabilitation erhält. Die Bewohner des Planeten
Wemar sind vom Aussterben bedroht, und zwar nicht nur deshalb, weil sie
ihren Planeten größtenteils zerstört haben, sondern wegen ihrer Ernährungsgewohnheiten.
Gurronsevas zeigt ihnen Alternativen auf.CHEF DE CUISINE ähnelt von der Handlungsstruktur her NOTFALL CODE BLAU und RADIKALOPERATION: Erneut steht der Protagonist vor der Aufgabe, seinen Platz im Gefüge des ORBIT HOSPITAL zu finden. Immerhin zeigt White einen gewissen Erfindungsreichtum in der Wahl seiner Protagonisten. CHEF DE CUISINE ist neben STAR CHIRURG der einzige Roman der ORBIT HOSITAL-Serie, der den Leser zu provozieren vermag. STAR CHIRURG wirft die Frage nach dem Sinn interstellarer Kriege und ihrer Darstellung auf, in CHEF DE CUISINE stellen sich die Wemarer als Kannibalen heraus, was aber genauso wie die Kämpfe in STAR CHIRURG entschuldigt wird, aber bereits wegen der Wahl dieses Plots zwiespältig bleibt. White hat in dem Interview in BLIZZ 22/23 erklärt, das DIE LETZTE DIAGNOSE den ORBIT HOSPITAL-Zyklus beenden soll. Der Protagonist gehört einer Gruppe an, die in den bisherigen Bänden des Zyklusses eine eher passive Rolle spielt – er ist ein Patient, was sich für den Abschlußroman anbot. Der Terraner Hewlitt wurde in das Orbit Hospital geschickt, weil seine Krankheit, die sich in diversen lästigen, aber nicht lebensbedrohenden Symptomen äußerte, auf der Erde weder diagnostizierbar und behandelbar war. Auch die Ärzte des Orbit Hospital stehen zunächst vor einem Rätsel. DIE
LETZTE DIAGNOSE beschränkt sich nicht darauf, die Anpassung des Protagonisten
an das Leben im Orbit Hospital und seine (zu erwartende) Heilung zu schildern.
White schlägt vielmehr einen Bogen zum Beginn des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses
und versucht, seine Serie mit einer Perspektive, die das Orbit Hospital
überflüssig machen könnte, zu beenden. Derselbe Symbiont, der in STAR
CHIRURG dem Alien Lonvellin als Leibarzt diente, hat Hewlitt in seiner
Kindheit "infiziert".Es sind natürlich einige Zufälle zu registrieren, die White für diesen Plot in die Handlung einfügen mußte. Den ersten baute er immerhin bereits in STAR CHIRURG ein, als er den Ärzten des Orbit Hospitals nicht genügend Zeit für die Untersuchung des Symbionten zugestand. Der urspüngliche Wirt des Symbionten starb auf demselben Planeten, auf dem Hewlitt seine Kindheit verbrachte. Da diese Lebensform außerdem durch Körperkontakte die Wirtskörper wechselt, kann sie ihren letzten Wirt – einem Mitglied einer Spezies, die in einer radioaktiven Umgebung leben – nur dadurch erreichen, indem seine Besucher zwar Schutzanzüge, aber keine Handschuhe tragen... Wegen dieser Mankos ist DIE LETZTE DIAGNOSE nur bedingt ein würdiger Abschluß der ORBIT HOSPITAL-Serie. Der Stil Whites ist in den Kurzgeschichten wie in den Romanen sauber, mittelmäßig komplex und sachlich, was auch für die Dialoge gilt. Selten beeinflußen die Emotionen der Protagonisten das Geschehen – vor allem in den Kurzgeschichten, weniger in den Romanen – und die Handlungen fließen gleichmäßig dahin. Bereits ihr Konzept katapultiert die ORBIT HOSPITAL-Bände zu den lesenswerteren Romanen in der Space Opera, jenem Subgenre der Science Fiction, das oft genug nur zur Schilderung von Weltraumkriegen verkommt. Die Serie ist von Menschlichkeit und Toleranz geprägt, was vermutlich eine Reaktion Whites, der in Nordirland lebt, auf die politische Situation in seiner Heimat ist. Ökologische Rätsel gehören zudem zu den Stoffen, mit denen sich gute Space Operas schreiben lassen. Der ORBIT HOSPITAL-Zyklus weist freilich auch eine Reihe von Mängeln auf: Die Protagonisten werden kaum charakterisiert, Handlungsmuster wiederholen sich (sogar diverse Szenen!), manche Problemlösungen sind übertrieben idealistisch, die gesellschaftliche Struktur im ORBIT HOSPITAL-Universum ist veraltet und die Beschreibung der Technik phantasielos. Aber teilweise betrifft daß das Werk Whites nicht allein; es ist vielmehr ein grundsätzliches Problem der Science Fiction, das sie bei ihren technischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Vorausschauen in der Realität ihrer Autorinnen und Autoren verhaftet bleibt. Aus alldem wird jedoch deutlich, daß die Möglichkeiten Whites als Autor hinter seinen Ambitionen zurückgeblieben sind. Bibliographie des ORBIT HOSPITAL-Zyklusses: 1. HOSPITAL STATION HOSPITAL STATION, 1962, Übersetzung von Kalla Wefel, 318 Seiten, Heyne SFTB 4974, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor (Panoramabild), frühere Ausgaben: DIE WELTRAUM-MEDIZINER, Übersetzung von Heinz Zwack, TERRA 390/391, 1965; DIE WELTRAUMMEDIZINER, Übersetzung von Heinz Nagel, Ullstein TB 3331, 1977. 2. STAR CHIRURG STAR SURGEON, 1963, Übersetzung von Kalla Wefel, 270 Seiten, Heyne SFTB 4975, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, frühere Ausgaben: DER KAMPF DER WELTRAUM-MEDIZINER, Übersetzung von Heinz Zwack, TERRA 398/399, 1965; KAMPF DER WELTRAUM-MEDIZINER, Übersetzung von Heinz Zwack, Ullstein TB 3396, 1978. 3. GROßOPERATION MAJOR OPERATION, 1971, Übersetzung von Kalla Wefel, 268 Seiten, Heyne SFTB 4976, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, frühere Ausgaben: DIE ÄRZTE DER GALAXIS, Übersetzung von H. U. Nichau/Rainer Schmid, TERRA TB 203, 1973. 4. AMBULANZSCHIFF AMBULANCE SHIP, 1979, Übersetzung von Kalla Wefel, 319 Seiten, Heyne SFTB 4977, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, frühere Ausgaben: DAS AMBULANZSCHIFF, Übersetzung von Joachim Körber, Moewig SFTB 3507, 1980. 5. SECTOR GENERAL SECTOR GENERAL, 1983, Übersetzung von Kalla Wefel, 304 Seiten, Heyne SFTB 4978, 1993, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor. 6. DER WUNDERHEILER STAR HEALER, 1984, Übersetzung von Kalla Wefel, 318 Seiten, Heyne SFTB 4980, 1995, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor. 7. NOTFALL CODE BLAU CODE BLUE: EMERGENCY, 1987, Übersetzung von Kalla Wefel, 365 Seiten, Heyne SFTB 4979, 1994, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor. 8. RADIKALOPERATION THE GENOCIDIAL HEALER, 1991, Übersetzung von Kalla Wefel, 365 Seiten, Heyne SFTB 4981, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, 1996. 9. CHEF DE CUISINE THE GALACTIC GOURMET, 1995, Übersetzung von Kalla Wefel, 379 Seiten, Heyne SFTB 4982, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, 1997. 10. DIE LETZTE DIAGNOSE FINAL DIAGNOSIS, 1997, Übersetzung von Kalla Wefel, 414 Seiten, Heyne SFTB 5114, Coverzeichnung von Boros Zoltán und Szikszai Gábor, 1999. |