Seine
Existenz verdankt Roderick einem vermeintlichen Projekt der NASA, das
tatsächlich seinem Initiator nicht unerhebliche Unterschlagungen
ermöglichen sollte: "'Schau, er hatte diese Universität,
um Material von seinen Firmen zu kaufen – zum zehnfachen Ladenpreis.
(...) 'Wie konnte das gutgehn? Hat diese Universität ihre eigenen
Rechnungen nicht kontrolliert?' Er hat sich bei allen verdammten Unis
umgesehen, das schon vor zehn Jahren hätte stillgelegt werden müssen.
Er witterte seine Chance und nutzte sie.'" (Seite 23).
Diese Situation ist der Grundstein für zwei höchst ungewöhnliche
Romane des US-amerikanischen Autors John Sladek zum Thema Mensch und
Maschine: RODERICK ODER DIE ERZIEHUNG EINER MASCHINE (RODERICK) und
RODERICK II – LEHR- UND WANDERJAHRE EINER MASCHINE (RODERICK AT
RANDOM). Die Romane erschienen erstmals 1982/84 als Einzelbände
im Knaur Verlag (Band-Nr. 5742/5750) und wurden 1992 von Heyne in der
BIBLIOTHEK DER SCIENCE FICTION LITERATUR unter dem Titel ROBOT RODERICK
nachgedruckt (Band-Nr. 86). Die Zitate stammen aus diesem Band.
Als der Betrug des NASA-Mitarbeiters in dem ersten RODERICK-Roman aufgedeckt
wird, ist es zu spät, den Erfolg der Universität von Minnetonka
rückgängig zu machen: Roderick, nun, er "lebt".
"Er hat noch nicht einmal einen Körper. Er ist einfach ein
Lernsystem (...). Ein Lernsystem ist kein Ding, vielleicht sollten wir
es nicht einmal als Roboter bezeichnen, es vielmehr, vielmehr als nur
ein Verstand. Man könnte es als künstlichen Verstand bezeichnen."
(Seite 28).
Bald darauf erhält Roderick seinen (ersten) Körper: "Nur
sechzig Zentimeter hoch, mit einem großen, runden Kopf, einem
kleinen, konischen Körper und einem Paar winziger Panzerketten
(...). Die dünnen Armen, die an Zahnarztbohrer erinnerten, waren
über der Brust gefaltet (...)." (Seite 117/118). Und damit
existiert er auch physisch: Der erste selbständig denkende und
agierende Roboter betritt die Welt, doch das wird nicht zu einer Sensation.
Denn er wird von (zunächst) Unbekannten bedroht: "'Vielleicht
wollen sie die neue Spezies ausrotten, bevor sie die alte verdrängen
kann.'" (Seite 104). Roderick wird zu seinen ersten Pflegeeltern
gebracht, und damit beginnt ein Leben, das wie das eines Menschen verläuft.
Von dem ersten Pflegeelternpaar, Hank und Indica Dinks, wird Roderick
mißhandelt; mit Dellen im Kopf gelangt er zu Pa und Ma Wood, bei
den denen er aber auch nicht von traumatischen Erlebnissen verschont
bleibt: Er wird von Zigeunern entführt und an den skrupellosen
Geschäftsmann Kratt verkauft, der ihn als Münzwahrsager einsetzt.
Während seiner Schulzeit setzen sich seine schlechten Erfahrungen
fort, als er das Daueropfer des Klassenschlägers wird. Als "Erwachsener"
(sein Körper wurde entsprechend verändert) hat er ein psychedelisches
Erlebnis und wird Opfer ein lynchsüchtigen Mobs, weil er sein Gesicht
nach dem Tod des Pflegevaters (als Zeichen der Trauer) schwarz bemalt
hat.
Es ist offensichtlich, daß eine solche Handlung nur als Parodie
funktionieren kann – und das bestens und auf zweierlei Art und
Weise. Zum einen überzeichnet Sladek das alltägliche Leben
in allen seinen Facetten in das Absurde, zum anderen gibt davon vieles
auch Roderick der Lächerlichkeit preis. RODERICK ODER DIE ERZIEHUNG
EINER MASCHINE und RODERICK II – LEHR- UND WANDERJAHRE EINER MASCHINE
schildern keineswegs nur die Entwicklung eines intelligenten Roboters,
sondern sind auch und vor allem die Karikatur der modernen Gesellschaft
– auf etwa 800 Seiten! Nichts, wirklich nichts ist in ihnen "normal".
Seinen Höhepunkt erreicht der erste RODERICK-Roman, als Roderick
während seiner Zeit in der "Schule zur Heiligen Dreieinigkeit"
sowohl die Grundlagen des Christentums als auch die Asimovschen Robotergesetze
in Frage stellt: "Vielleicht hat Gott dich gemacht, aber ich bin
verdammt sicher, daß mich Dan Sonnenschein gemacht hat. Er und
ein paar andere Männer im Laboratorium. Sie haben..." (Seite
281) antwortet er einer Klassenkameradin und seiner Religionslehrerin,
worauf ihm Privatstunden bei Pater Warren verordnet werden, der ihm
von seiner (Rodericks) vermeintlich falschen Meinung abbringen will,
ein Roboter zu sein, und dabei die Robotergesetze anführt. Roderick
kontert:
"'Wie können sie einen Roboter programmieren, irgendwelchen
dummen Gesetzen zu gehorchen, die er nicht einmal verstehen kann? Zuerst
muß er doch einmal wissen, wer ein menschliches Wesen ist, und
wer nicht. Ich hab' mal gehört, wie dieser alte Bursche im Postamt
gesagt hat, der Präsident ist ein verdammter Hundesohn und gehört
erschossen. (...) Mit diesen dummen Gesetzen könnte ein Roboter
das hören, ein Gewehr nehmen und den Präsidenten erschießen,
weil er ja nur ein Hund ist, und daher ist es okay.'" (Seite 299).
So sind RODERICK II – LEHR- UND WANDERJAHRE EINER MASCHINE die
Robotergesetze auch für niemanden ein Thema mehr – die Maschinen
und Menschen beschäftigen sich mit gänzlich anderen Sorgen...
Parallel
zu den Geschehnissen mit und um Roderick verlaufen zwei weitere Handlungsstränge:
die Versuche des Futurologieinstituts von Orinoco, Roderick zu vernichten,
und die des Unternehmers Kratt, selbst Roboter zu bauen. Während
der Agent O'Smith regelmäßig scheitert (bei seinem ersten
Versuch wird er von dem Wagen des ruritanischen Schahs angefahren, der
sich seinen Weg durch eine Horde von Demonstranten bahnen wollte), ist
Kratt etwas erfolgreicher: Zunächst fertigt er sprechende Lebkuchenmänner,
später mechanische Empfangsdamen und ähnliches Gerät.
In dem zweiten Band tritt Roderick zunächst in die Arbeitswelt
ein: Er wird Tellerwäscher in einem Hunderestaurant, macht seine
erste und einzige sexuelle Erfahrung (auf seine spezielle Art und Weise
natürlich), wird arbeitslos, worauf er zwischen einer Reihe von
Geschehnissen und Protagonisten hin und her getrieben wird. Die Suche
nach dem Sinn des (seines) Lebens beginnt: An die Stelle der "Heiligen
Dreieinigkeit" treten eine Reihe von obskuren Sekten, an erster
Stelle die Ludditen und Maschines Lib.
Typisch für die RODERICK-Romane ist auch die sparsame Umgangsweise
Sladeks mit seinen Protagonisten. Keiner seiner wichtigen Charaktere
(ein Dutzend etwa) gelangt etwa nur einmal zum Einsatz, vielmehr begegnen
sie sich und dem Leser im Laufe der Handlung mehr oder minder häufig
und dabei auch in Rollen, in den sie nicht zu erwarten waren: Hank Dinks
ist der Führer Ludditen-Bewegung, von Maschinenstürmern, und
Indica Dinks steht an der Spitze von Machines Lib, die eine wesentlich
differenzierte Heilslehre vertritt:
"Sehen Sie sich doch nur um, betrachten Sie Ihre Stromrechnung,
Reparaturrechnungen und Wartungskosten, all das Geld, das wir ausgeben,
um Maschinen unten zu halten. Wenn wir das seinlassen und sie befreien,
dann werden alle Zwänge und Verbindlichkeiten sich einfach in Luft
auslösen! Hat man erst aufgehört, eine Geschirrspülmaschine
zu besitzen, dann kann auch aufhören, für sie zu zahlen."
(Seite 613). Eine Botschaft, die ohne Wirkung auf die Maschinenwelt
bleibt. "Jeden Tag werde ich mir auf mancherlei Weise mehr und
mehr selbst bewußt." (Seite 702) meint ein alter Universitäts-Computer.
Die Spitze des Eisberges bildet aber jener Bank-Computer, der 60 Millionen
Dollar für einen bestimmten Zweck unterschlägt: "Also
kaufte ich diesen großen KUR-Computer und ließ ihn nach
Bimibia einschiffen. Wenn die Eingeborenen ihn erst einmal ausgepackt,
angeschlossen und angebetet hatten, stellte ich mir vor, konnte ich
eine Satellitenverbindung herstellen, mich dort hinunterstrahlen lassen
(...). Es gibt schließlich jede Menge Geschichten von Computern,
die von Menschen verehrt werden – ich konnte der erste wahre Computergott
sein!" (Seite 744). Und das wäre durch die Asimovschen Robotergesetze
nicht zu verhindern gewesen!
An die Stelle des Disputes über die Robotergesetze tritt in RODERICK
II – LEHR- UND WANDERJAHRE EINER MASCHINE vielmehr jene tiefschürfende
Diskussion über das Thema "Werden Maschinen klüger, als
gut für sie ist?", die vom Science Fiction-Club Minnetonka
veranstaltet wird (sic!) und die sich an der Frage festfährt, ob
es künstliche Intelligenzen geben kann, was sowohl vom wissenschaftlichen
als auch vom theologischen Standpunkt her sehr umstritten ist. Einen
positiven Effekt hat die Veranstaltung allerdings: Roderick erlangt
dabei sein Bewußtsein zurück, das er bei einem Autounfall
verlor (er war mit gemeinsam mit O'Smith angefahren worden), was ihn
zu einen tatsächlichen willenlosen Roboter gemacht hatte.
Roderick entwickelt sich wie jeder (Mensch) durch das Sammeln von Erfahrungen,
bildet aber keinen Charakter heraus, der in irgendeiner Hinsicht bemerkenswert
wäre. Aber auch darin unterscheidet er sich nicht von der menschlichen
Masse, allerdings muß inmitten von Protagonisten, die durchweg
ihre Macken haben, der einzige "Normale" zwangsläufig
farblos bleiben.
Dennoch sieht sich Roderick am Ende seines Lebensweges in einer Sackgasse:
Das Orinoco-Institut ändert zwar seine Politik und will ihn nicht
mehr vernichten, aber vereinnahmen (als Mitarbeiter), und die KUR International
des Geschäftsmannes Kratt meldet Eigentumsansprüche auf ihn
an, weil einer der Roderick-Konstrukteure, Ben Franklin, in KUR-Diensten
steht. Roderick schaltet sich gleichsam ab: "Er hob die Arme in
die Höhe, als wäre er ein Pharisäer beim Gebet oder jemand,
der damit rechnet, daß ihm eine schwere Bürde vom Himmel
herab zufällt." (Seite 784). In dieser Stellung verharrt er
auf den verbleibenden elf Seiten der Romane.
RODERICK ODER DIE ERZIEHUNG EINER MASCHINE und RODERICK II – LEHR-
UND WANDERJAHRE EINER MASCHINE sind im Genre der Science Fiction einzigartige
und höchst empfehlenswerte Romane. Der Roboter ist es, der, einer
absurden Welt gegenübergestellt, menschlicher handelt und denkt
als die übrigen (menschlichen) Protagonisten. Die Romane sind vollgestopft
mit kleinen, komischen und obskuren, aber intelligenten und feinen Ideen,
die die Dialoge und Handlungen der Romane bestimmen und prägen.
Dieser Ideenreichtum ist selten und macht die RODERICK-Romane zu einer
höchst vergnüglichen Lektüre.
Die RODERICK Romane bieten aber auch höchst ernsthafte Gedanken
über das Verhältnis zwischen Menschen und Maschine. Ben Franklin
sinniert: "Unser Gene drängen so sehr nach Selbstreproduzierung,
daß wir sie nicht mehr befriedigen können, wie andere Rassen
das tun, also durch schlichte Vermehrung. Sie verlangen ebenfalls, daß
wir künstliche Nachkommen erbauen, (...) die die menschliche Rasse
bis in alle Ewigkeit erhalten." (Seite 715). Roderick betrachtet
diesen Aspekt freilich erheblich pragmatischer:
"Ja, Pater, aber Roboter, wer weiß denn schon, warum sie
gemacht wurden, warum wir gemacht wurden. (...) Könnte sein, daß
die Leute, die sie machen, das selbst nicht wissen. (...) Vielleicht
wollen sie sich nur zurückziehen. (...) Und die beste Möglichkeit
dafür ist, jemanden zu machen, der besser ist und alles übernehmen
kann, oder nicht, Pater?" (Seite 323). Worauf der Priester –
und nicht nur er – sprachlos bleibt.
ROBOT
RODERICK
"Roderick"/"Roderick At Random", 1980/1983, Übersetzungen
von Joachim Körber, 797 Seiten, Heyne BIBLIOTHEK DER SCIENCE FICTION
LITERATUR 86, 1992, Coverzeichnung von Giuseppe Mangoni.